Das Münchner Publikum hat auch Dank der näheren Vergangenheit allerhand Erfahrung mit verschossenen Elfmetern. An erster Stelle zu nennen sind freilich die Fehlschüsse von Bastian Schweinsteiger und Arjen Robben in jenem Spiel, das als „Finale Dahoam“ bezeichnet wird und aus Münchner Sicht doch am liebsten aus den Annalen gestrichen werden sollte. In der Bereich der Skurrilitäten fällt das Elfmeterschießen aus dem Pokal-Halbfinale 2015, als gleich vier Münchner gegen Dortmund verschossen und dabei sowohl Philipp Lahm als auch Xabi Alonso ausrutschten und den Ball über das Tor setzten.
So etwas wie am Mittwoch aber hatten die Zuschauerinnen und Zuschauer in der Allianz-Arena noch nicht gesehen. Da schob Robert Lewandowski den Ball so sachte und unplatziert in Richtung des Tores, dass ihn Keeper Odysseas Vlachodimos sicher in seinen aufnahmebereiten Armen verwahren konnte. Zu diesem Zeitpunkt wies wenig daraufhin, dass sich Julian Nagelsmann nach dem Spiel ausgiebig über die Extraklasse seines Stürmers auslassen würde. Lewandowski hatte zwar das 1:0 gegen Benfica Lissabon erzielt (26.), war aber "in den ersten 25 Minuten extrem unzufrieden", wie der Trainer berichtete. Schließlich hatte er kaum einen Ball zur Verwertung erhalten. Nachdem er den zweiten Treffer durch Serge Gnabry vorbereitet hatte (32.), besserte sich zwar seine Laune, doch Gegentreffer (38.) und vergebener Strafstoß nervten Lewandowski sichtlich.
Für Nagelsmann ist Lewandowski der "beste Stürmer der Welt"
Nach 90 Minuten aber konstatierte Nagelsmann, dass er eben "den besten Stürmer der Welt" in seinen Reihen habe. Da hatte der Angreifer zwei weitere Treffer erzielt, seine Mannschaft letztlich 5:2 gewonnen und somit vorzeitig die K.o.-Runde der Champions League erreicht. Nach 100 Spielen in der Königsklasse steht Lewandowski nun bei 81 Treffern. So viele schaffte in den ersten 100 Partien bisher niemand. Kein Ronaldo, kein Messi, kein Neymar. "Ich habe nie geglaubt, dass ich so viele Spiele in der Champions League machen kann – und so viele Tore und Vorlagen. Das ist etwas Besonderes", sagte der mit besonderen Marken nicht geizende Lewandowski dazu.
In Serge Gnabry, Leroy Sané und Kingsley Coman hatte er gegen Benfica gleich drei Zuarbeiter auf dem Feld, die ihre Gegenspieler überforderten. Während Coman dem armen Linksverteidiger Alejandro Grimalo immer wieder entwischte, bewegte sich, der für den geschonten Thomas Müller im Zentrum aufgebotene, Gnabry geschickt durch die Räume und Sané überzeugte nun schon wiederholt durch feine Dribblings und "talentfreie Aktionen", wie Nagelsmann sagt. Damit spricht ihm der Trainer keinesfalls die Begabung zum schönen Spiel ab, sondern lobt jene Szenen, in denen der Offensivspieler dem Ball in der Abwehr hinterherhetzt. Aktionen, die keines Talents bedürfen.
Während die Münchner nach dem 0:5 in Gladbach mit den beiden 5:2-Siegen gegen Berlin und Benfica wieder in die serienmäßige Torproduktion eingestiegen sind, ist die Abwehr immer noch durchlässiger, als sie es in München gerne hätten. Gegen Lissabon musste Nagelsmann auf Lucas Hernandez und Niklas Süle verzichten, die mit leichten Blessuren aussetzten. Dafür stand der 19-jährige Tanguy Nianzou auf dem Feld und spielte einen soliden Part. Aber auch er konnte nicht verhindern, dass der Gegner nach einer simplen Flanke und anschließendem Kopfball zum zwischenzeitigen 1:2 durch Morato kam.
Nagelsmann aber wollte nicht zu streng mit seiner Abwehr sein, schließlich sei der zweite Treffer nach einem Fehlpass des eingewechselten Marcel Sabitzer kaum mehr zu verteidigen gewesen und auch der qua seiner Berufswahl um wenig Gegentore bemühte Manuel Neuer war nicht allzu unglücklich: "Wir hatten heute zwei Innenverteidiger verletzungsbedingt nicht mit dabei, aber wir haben dennoch eine gute Defensivleistung gezeigt. Die Spieler, die auf dem Platz standen, haben gut gespielt."
Julian Nagelsmann kehrt beim FC Bayern zurück
Das sah auch sein Trainer so, der erstmals nach seiner zweiwöchigen Corona-Quarantäne wieder an der Seitenlinie stand . "Spaß" habe es gemacht, berichtete er hernach. Das verwundert kaum, denn aus seiner Sichtweise hätte man „das beste Spiel“ gemacht – wenn auch mit "einem kleinen Makel". Damit meinte er nicht Lewandowskis Fehlschuss aus elf Metern, sondern die besagten beiden Gegentreffer.
Am Samstag treffen die Münchner in der Bundesliga auf den SC Freiburg und somit auf jenes Team, das mit sieben Gegentoren die beste Abwehr aufweist. Allerdings können auch die Bayern bei aller Kritik auf die Statistik verweisen. Mit zehn Gegentoren haben sie nämlich am zweitwenigsten kassiert. Im Gegensatz zu den Freiburgern aber haben sie einen Lewandowski, der auch dann noch drei Mal trifft, wenn er einen Elfmeter kläglich vergibt.