Das Prinzip "Karriereplanung" spielt im Leben einer Erzieherin oder eines Bankangestellten eine eher untergeordnete Rolle. Die Tarifleiter so weit wie möglich nach oben klettern, vielleicht einmal eine Filiale leiten und sich im Bekanntenkreis dafür feiern lassen, seinem Arbeitgeber einen Dienstwagen aus dem Budget geschnitten zu haben sind greifbare Ziele und harmlose Gesprächsthemen beim Grillabend mit Bekannten am Ikea-Tisch.
Robert Lewandowski diniert normalerweise in seinem Anwesen in München-Bogenhausen. Seine als Ernährungsberaterin wirkende Frau Anna würde ein Schweinenackensteak nicht einmal in die Nähe des Ceranfeldes lassen und der Dienstwagen ist eher Sponsorenpflicht als Privileg. Selbstverständlich müssen sich auch Profi-Fußballer um derart profane Angelegenheiten wie die Kinderbetreuung kümmern (Nacht- und Wochenenddienste sind vertraglich festgelegt), das monatliche Salär aber ist bei der Suche nach einem Babysitter sicher nicht schädlich. Statt mit Freunden den neuen "Batman" anzuschauen, steht Lewandowski eben in Champions-League-Spielen selbst im Mittelpunkt.
Die Laufbahn eines Fußballers auf höchstem Niveau unterscheidet sich erheblich vom Arbeitsalltag von Büroangestellten. Die Kicker werden bereits im Jugendalter mit dem konfrontiert, was hierzulande als "Leistungsgesellschaft" bekannt ist. Weiter, immer weiter, um auch in die nächst höhere Jugendmannschaft übernommen zu werden. Der Mannschaftsgedanke hat beim persönlichen Streben mitunter nur Platz im Hinterkopf. Messi, Matthäus, Kahn haben keine Weltkarriere gemacht, weil sie ihre eigenen Ambitionen hinter die des Teams gestellt haben. Wer an die Spitze will, tritt auf dem Weg viel Schotter ab auf dem andere ausrutschen.
Lewandowski ist 33 Jahre alt, will endlich über allen thronen und weiß, dass er dafür nicht mehr viel Zeit hat. Die Karriere eines Fußballers endet zwangsläufig vor der eines Versicherungsmaklers. Fans des FC Bayern sehen den polnischen Stürmer freilich am natürlichen Höhepunkt seiner Karriere angekommen. Lewandowski schießt Jahr für Jahr die meisten Tore für den Verein, der Jahr für Jahr die Meisterschaft gewinnt. Er hat in der Champions League triumphiert und den sagenhaften Gerd-Müller-Rekord von 40 Ligatoren in einer Saison gebrochen. Für Bayern-Fans ist der FC Bayern der beste Verein der Welt. Für Lewandowski nicht.
Der FC Bayern strahlt nicht so hell wie andere Vereine
Für Lewandowski ist jener Verein, der beste der Welt, in dem er endlich so zur Geltung kommt, wie er es für angemessen hält. In dem ihm die Möglichkeit gegeben wird, zu weltweit strahlenden Marke zu werden. In München ist das nicht möglich.
Die Engländer spotten über das Niveau der deutschen Liga, weil sich die Münchner ihrer Monopolstellung allzu gewiss sein können. In Spanien rühmt man sich der beiden schillernden Klubs aus Barcelona sowie Madrid und in Frankreich kann Paris St. Germain immerhin für sich geltend machen, in Neymar, Mbappé und Messi drei Weltstars in seinen Reihen zu haben. In London läuft kein Kind mit einem Lewandowski-Trikot durch die Straßen, kleine Benzemas aber sieht man in München, an der Costa Brava und in den schottischen Highlands. Auch aufgrund der mangelnden Konkurrenz ist es eher Anerkennung, die den Bayern zu teil wird als echte Schwärmerei.
Lewandowski ist Leistungssportler. Er möchte in seiner Karriere den maximalen Erfolg erreichen. Das bedeutet, auch in einem Mannschaftssport die größten individuellen Auszeichnungen zu gewinnen. Den FC Bayern erachtet er dafür nicht als die geeignete Adresse, um Weltfußballer zu werden. Um auf einer Stufe zu stehen mit Ronaldo und Messi. Es ist weder Berater Pini Zahavi, der ihn davon überzeugen musste, noch seine Frau.
Lewandowski handelt selbstbestimmt. Den mit Gletscherkälte verhandelnden Zahavi hat er eigens dafür engagiert, um den Wechsel zum FC Barcelona zu arrangieren. Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn bedienen nur deshalb die Erzählung, der Israeli wäre treibende Kraft hinter dem Wechselwunsch, um Lewandowski die Tür zu einem Verbleib in München wenigstens einen Spalt breit offen zu halten.
Den FC Barcelona sieht Lewandowski als besten Verein an. Nicht als besten Verein Europas, aber als perfekte Adresse, um sich selbst zu verwirklichen. Hinter den Katalanen liegen magere Jahre. Abgeschlagen in der Liga hinter Real, in der Europa League an diesen seltsam fanatischen Frankfurtern gescheitert und dann noch 1,3 Milliarden Euro Schulden. Barcelona aber hat in der vergangenen Rückrunde nur einen Punkt weniger als Real geholt. Als Trainer steht Vereinslegende Xavi an der Seitenlinie, das Team scheint allmählich die lähmende Zeit unter Quique Setién und Ronald Koeman abzustreifen, im Kader stehen hochtalentierte junge Spieler. Auch wenn mit dem Verkauf von Frenkie de Jong für rund 100 Millionen Euro an Manchester United erst noch finanzielle Mittel für Lewandowski freigemacht werden müssen, sieht der Angreifer hier die Möglichkeit zu erstrahlen. Einen darniederliegenden Klub an (langsam alternden) Madrilenen vorbeizuführen und wieder im Hochadel des europäischen Fußballs zu verankern.
Lewandowski warf dem FC Bayern mangelnde Wertschätzung vor – was in Anbetracht eines Gehalts von etwa 20 Millionen Euro und den anhaltenden Lobpreisungen von Nagelsmann und Co. eher lächerlicher Natur ist. Wahr ist hingegen, dass Lewandowski seinen Wert global geschätzt wissen will. In Form von persönlichen Auszeichnungen und Anerkennung, die über Respekt hinaus geht. Die Chancen dafür stehen in Barcelona besser als in München. Am Ende wird Lewandowski auch in einem geschmackvollen Anwesen in Barcelona zusammen mit seiner Frau und den beiden Töchtern am Tisch sitzen, sich fettarm ernähren – und für sich die Frage beantworten, ob die Karriereplanung gelungen ist.