Der ehemalige Bremer Bundesligaprofi Sebastian Prödl hat über Spiele gegen den FC Bayern einen Satz geprägt, der das Werder-Dilemma gegen den Rekordmeister anschaulich beschrieb. "München ist wie ein Zahnarztbesuch. Muss jeder mal hin. Kann ziemlich wehtun. Kann aber auch glimpflich ausgehen." Zuletzt gab es für die Grün-Weißen aber vor allem Saures: Der letzte Sieg der Bremer in München datierte vom September 2008, aus den jüngsten 32 Pflichtspielen gegen den Dauer-Meister holte Werder nur vier Unentschieden und bekam ansonsten nur auf die Mütze. Während Prödls Zitat damals als Fußballspruch des Jahres ausgezeichnet wurde, gelang seinen Nachfolgern im Werder-Trikot die dicke Überraschung: Dank eines Treffers von Mitchell Weiser gewann Werder verdient mit 1:0 gegen eine lethargische und einfallslose Münchner-Mannschaft. Der Rückstand auf Leverkusen liegt nun bei sieben Punkten.
Der FC Bayern wirkte vom Start weg so, als ob er das Aufeinandertreffen mit dem Lieblingsgegner auf die leichte Schulter nehmen würde. Nach Spielende übte Trainer Tuchel harte Kritik an seinem Team: "Ich habe keine Lust mehr zu sagen, dass wir gut trainieren – das glaubt dir ja keiner mehr. Wir müssen mal die Spieler fragen." Die Niederlage sei völlig verdient, Die Schlussoffensive kam zu spät – das sah auch Manuel Neuer so: "Wir sind zu spät aufgewacht, waren zu statisch." Bayerns Vorstandschef Jan-Christian Dreesen wurde deutlich: "Wir haben in den ersten 70 Minuten langweiligen Fußball gespielt. Wir haben die Bremer, die am Anfang Respekt hatten, stark gemacht." Speziell in der Defensive leistete sich der FCB viele Lässigkeiten.
Ex-Bayern-Spieler Mitchell Weiser war der beste Spieler des SV Werder
Bremen war von Beginn an frischer, agiler und gefährlicher. Schon nach neun Minuten tauchte Jens Stage frei vor Neuer auf, der Nationalkeeper hielt sicher. Deutlich stärker strecken musste sich der Schlussmann dann bei der nächsten großen Werder-Chance: Mitchell Weiser hatte von der Strafraumgrenze abgezogen. Der abgefälschte Schuss wäre im Kreuzeck gelandet, doch Neuer tauchte ihn zur Ecke heraus (24.). Kurze Zeit später war der Ball sogar in den Münchner Tormaschen: Nach einem Angriff der Bayern konterte Bremen blitzschnell, Justin Njinmah war frei vor Neuer – und verwandelte zur vermeintlichen Führung (25.). Wegen eines Fouls an Jamal Musiala im Vorfeld nahm Schiedsrichter Marco Fritz das Tor zurück – knappe Sache.
Die Bayern versuchten zwar, Druck aufzubauen, hatten deutlich mehr Ballbesitz und Spielanteile. Bremen, das ohne seinen gelbgesperrten Toptorjäger Marvin Ducksch auskommen musste, machte es aber gut und leistete sich kaum Fehler in einer engmaschigen Defensive. Dieses Konzept setzte sich nach der Pause fort: Erneut war es Weiser, der über die rechte Seite Druck machte. Der beste Bremer setzte sich gegen den zu lässig agierenden Alphonso Davies durch, drang in den Strafraum ein und schloss zur verdienten Bremer Führung ab (59.) – ein Schockmoment für die Münchner.
Tuchel reagierte und brachte Tel, Müller und Goretzka für Guerreiro, Kimmich und Davies auf einmal und stellte auf Dreierkette um. Der Druck der Gastgeber wurde größer, zwingende Chancen stellten sich aber lange nicht ein. Sané, Müller (77.) und wieder Sané (79.), Tel (86.) und wieder Kane (90.) hatten in der Abwehrschlacht gute Gelegenheiten, scheiterten aber an sich selbst oder an Michael Zetterer, dem gebürtigen Münchner im Werder-Tor. Am Ende gelang den Bayern zum ersten Mal nach 65 Heimspielen kein Tor vor heimischer Kulisse, Bremen jubelte.
Bei den Bayern wird es in den kommenden Tagen viel Gesprächsstoff geben – und die Diskussionen um Neuzugängen dürften neue Fahrt aufnehmen. Kieran Trippier von Newcastle United soll bei der Suche nach einem neuen Rechtsverteidiger ganz oben auf der Wunschliste stehen. Offenbar kann sich der 33-jährige Engländer einen Wechsel vorstellen, bei seinem Klub sieht das anders aus. Christoph Freund, der Sportdirektor der Bayern, bestätigte bei DAZN lediglich: "Wir sind in Gesprächen mit mehreren Spielern. Aber es muss umsetzbar sein."