Zu gehen ist eine gleichsam komplexe wie auch simple Bewegungsform. Gewöhnlich benötigen Menschen rund ein Jahr, bis sie dazu fähig sind. Wenn die Schrittfolge erst mal automatisiert sind, schaut es meist anstrengungsarm aus. Spielbein und Standbein wechseln in zyklischer Reihenfolge. Das eine kann nicht ohne das andere. Das Fußballspiel des FC Bayern hatte vor wenigen Wochen noch die gleiche Selbstverständlichkeit wie alltägliches Gehen. Scheinbar mühelos dominierten die Münchner ihre Gegner. Zweibeiner gegen Krückstöcke.
Mittlerweile aber sind Spiel- und Standbein nicht mehr optimal aufeinander abgestimmt. Es haben sich Unschärfen in der Ausführung eingeschlichen. Gegen den VfB Stuttgart beispielsweise pendelte das Spielbein nicht mehr lässig nach vorne, sondern stockte in seiner Bewegung, während das für Stabilität sorgende Standbein bei leichteren Unebenheiten überraschend schnell einknickte.
Nagelsmann rotiert beim FC Bayern munter durch
Für einen selbstverständlichen Fluss in der Bewegung ist beim FC Bayern Trainer Julian Nagelsmann zuständig. Doch der hatte mit sechs Wechseln in der Startformation im Vergleich zum Sieg bei Inter Mailand selbst Anteil am Humpeln der Münchner. Dass am Ende ein 2:2 gegen den VfB stand , ist freilich nicht allein dem Trainer zuzuschreiben.
Der in der Sommerpause verstärkte Kader der Münchner bringt die Herausforderung mit sich, einige Spieler mehr bei Laune zu halten als noch in der Vorsaison. Nagelsmann reagierte gegen Stuttgart in der Manier Ottmar Hitzfelds und rotierte tüchtig. Der ehemalige Bayern-Coach musste sich nach einem missglückten Spiel mal von Karl-Heinz Rummenigge anhören, beim Fußball handle es sich nicht um Mathematik, was zu nachhaltigen atmosphärischen Störungen zwischen den beiden gesorgt hat.
Salihamidzic lobt Nagelsmann für Rotation
Die Beziehung zwischen Salihamidzic und Nagelsmann ist anderer Natur. Der Sportvorstand lobte seinen Trainer sogar für die Mischkalkulation. "Das hat der Trainer gut gemacht, dass er den Spielern eine Chane gibt. So merken sie, dass alle wichtig sind", sagte er nach dem Spiel. Mit dem Ergebnis aber war er freilich auch nicht zufrieden. Vier Punkte zu wenig rechnete er nach den Unentschieden gegen Gladbach, Union Berlin und Stuttgart vor. Lediglich die Partie in der Hauptstadt sei ergebnistechnisch in Ordnung gewesen.
Wie sein Trainer verfiel aber auch Salihamidzic in eine eigenwillige Interpretation des Remis gegen Stuttgart. Beinahe wortgleich beklagten die beiden, dass man es nach der 2:1-Führung verpasst hätte, das dritte Tor zu machen. Serge Gnabry hatte sich nach dem Führungstreffer von Jamal Musiala (60.) tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, auf 3:1 zu erhöhen, allerdings waren die Schwaben in der Schlussphase das konzentriertere und auch strukturiertere Team.
Vor dem Ausgleich per Strafstoß in der Nachspielzeit hatte Serhou Guirassy bereits die Latte getroffen. Schon kurz nach der Pause hatte er zudem zum vermeintlichen 1:1 eingeschoben. Doch Schiedsrichter Christian Dingert nahm den Treffer nachträglich zurück, weil er einen minimalen Trikotzupfer Chris Führichs an Joshua Kimmichs Schulter als Foulspiel wertete. Die laxe Einstellung der Münchner zeigte sich beim Treffer zum 1:1, als Alphonso Davies einen schlampigen Ball in Richtung Mittellinie spielte. Führich bestrafte die kleine Sünde mit einem energischen Abschluss zum 1:1 (57.). Für die Münchner Führung hatte in der ersten Halbzeit Mathys Tel gesorgt, der nun mit 17 Jahren und 136 Tagen der jüngste Torschütze des FC Bayern in der Bundesligageschichte ist.
Anschließend aber hatte Nagelsmann auch seinen Anteil daran, dass es das Standbein der Münchner wegzog. Er brachte in Josip Stanisic und Eric-Maxim Choupo-Moting Spieler, deren Laune sich bei Einsätzen gewiss hebt, deren Einfluss auf das Spielgeschehen aber eher übersichtlich ist. Wenig später änderte sich die Statik durch die Einwechslungen von Sadio Mané und Ryan Gravenberch für Musiala und Gnabry. Die zuletzt überzeugenden Benjamin Pavard, Lucas Hernandez und Marcel Sabitzer blieben hingegen 90 Minuten auf der Bank.
Thomas Müller ist sauer auf Bayern-Team
Statt die Laune der Ergänzungsspieler zu heben, sank die Stimmung beim Stammpersonal. "Heute bin ich das erste Mal sauer – auf uns selbst", fasste es Thomas Müller zusammen. Es gibt keinen Ersatz für Erfolge. Nächste Chance am Dienstag. Gegen den FC Barcelona. Bei einer weiteren Enttäuschung greifen die simplen Automatismen des Fußballgeschäfts, Trainerdiskussion inbegriffen. Natürlich ist auch ein Erfolg möglich. Der Weg dorthin ist mühsam und erfolgt Schritt für Schritt.