Was man aus dem Sieg des FC Bayern gegen Juve lernen kann
Weil Pep Guardiola gegen Juventus Turin seine Fehler korrigiert, steht der FC Bayern im Viertelfinale. Die Münchner zeigen eine Tugend, die ihnen in der Vergangenheit abging.
Pep Guardiola schritt ratlos an der Seitenlinie entlang. Keine ausufernden Armbewegungen, mit denen er üblicherweise einem Flugzeuglotsen gleich seine Spieler dirigiert. Keine dezenten Fingerzeige, welche Passwege er bevorzugt.
Guardiola wirkte ratlos. Anfang der zweiten Halbzeit schien jeder seiner taktischen und personellen Kniffe ins Leere zu laufen. Er hatte den reichlich überforderten Medhi Benatia in der Kabine gelassen, um mit Juan Bernat mehr Stabilität in eine fahrige Defensive zu bringen. Er hätte auch Joshua Kimmich und/oder David Alaba auswechseln können. Die Münchner Abwehr strahlte nicht ansatzweise so etwas wie Sicherheit aus.
Das änderte sich auch mit Bernats Hereinnahme nicht. Turins Alvaro Morata foppte weiter mit Eleganz und Lässigkeit die komplette Hintermannschaft. Wären seine Abschlüsse von ähnlicher Klasse wie seine Alleingänge gewesen, hätte seine Mannschaft das Spiel früh entschieden. „Wir wussten, dass wir nach einem dritten Tor keine Chance mehr gehabt hätten“, räumte Guardiola nach der Partie ein. So aber ging er die Linie nicht mit tiefer Enttäuschung entlang, sondern ratlos.
FC Bayern beschwört seine „Mia san mia“-Mentalität
Die Turiner hatten die Münchner mit ihrer offensiven Herangehensweise „ein wenig überrascht“, so Kimmich. Ähnlich überrascht wie der Defensivspieler dürften die 70.000 Fans im Stadion und 9,7 Millionen vor dem Fernseher gewesen sein, als die Turiner dank der Treffer durch Paul Pogba (5.) und Juan Cuadrado (28.) mit 2:0 führten. Die Bayern waren in einer ausweglosen Situation. Zwei Tore Rückstand gegen eine italienische Mannschaft. Ähnlich schwer ist es, ein Seil durch ein Nadelöhr zu schieben.
Nachdem sie später die Partie auf wundersame Weise gedreht hatten, beschworen sie zwar geschlossen die urtümliche „Mia san mia“-Mentalität – in den vergangenen Jahren waren die Münchner aber nicht als Fußball-Hudinis bekannt, die sich aus ausweglosen Lagen befreien. Im Gegenteil: In den letzten beiden Spielzeiten war es auch dem Fehlen wilder Entschlossenheit geschuldet, dass sie gegen Madrid und Barcelona im Halbfinale ausschieden.
Doch in dieser Saison haben die Münchner Arturo Vidal. Mitten hinein in Guardiolas Ratlosigkeit riss der Chilene das Spiel an sich. Der Krieger im Trikot stoppte nun Turins Konter. Von der Auswechselbank kam in Person von Kingsley Coman Unterstützung auf das Feld. Der Franzose beschäftigte Turins linke Abwehrseite mit nervender Konsequenz. Guardiola wegen seiner Wechsel (später kam noch Thiago) zum spielentscheidenden Mann zu erklären, führt aber in die falsche Richtung. Es gehört wenig Kunst dazu, Spieler mit Spezialbegabungen wie Thiago oder Coman einzusetzen. Fragwürdig war hingegen, warum der Trainer das zuletzt harmonierende Innenverteidiger-Duo Alaba/Kimmich sprengte oder den alternden Xabi Alonso dem spritzigeren Thiago vorzog.
Guardiola: „Diese Mentalität von meiner Mannschaft, wow“
Diesmal war es die Mannschaft, die den Trainer rettete. Der hatte in der Vergangenheit sein Team mit Pedanterie und Kreativität zu einem kunstvollen Gebilde geformt. Gegen Turin zahlte die Mannschaft in Form einer fantastischen Willensleistung zurück. Es zeigte sich, dass ein mitreißendes Spiel nicht reihenweise technischer Kabinettstückchen bedarf.
Während die Münchner mit Coman und Thiago spät im Spiel noch wirkungsvoll wechseln konnten, musste Juve-Coach Massimiliano Allegri mit Blick auf seine Bank feststellen, dass ihm diese Möglichkeit abgeht. Beinahe hätte es für die Turiner trotzdem gereicht. Doch weil Robert Lewandowski (73.) und Thomas Müller in der Nachspielzeit überraschend frei zu Kopfballtreffern kamen, retteten sich die Münchner in die Verlängerung.
Hier zeigten sie sich als das fittere Team und können sich dank der Treffer von Thiago (108.) und Coman (110.) über sechs Millionen Euro freuen, die die Uefa für das Erreichen des Viertelfinals der Champions League ausschüttet. Wichtiger allerdings ist die Erkenntnis, neben aller spielerischen Klasse auch noch andere Lösungsmöglichkeiten für verzwickte Ausgangssituationen zu haben. „Diese Mentalität von meiner Mannschaft, wow“, lobte Guardiola nach der Partie seine Elf immer noch etwas ratlos. War dabei aber selbstverständlich glücklicher als zuvor an der Seitenlinie.
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