Auch diejenigen, die Uli Hoeneß in den vergangenen Monaten aus der Nähe erlebten, haben nichts gemerkt. Nichts, was darauf hätte schließen lassen, dass der Präsident des FC Bayern einen Sprengsatz bei sich trägt. Einen, der gezündet, das Leben des 61-Jährigen stärker verändern würde als alles, was Hoeneß bislang widerfahren ist – und das ist schon jetzt mehr, als bei den meisten anderen Menschen. Hoeneß war ganz oben und weit unten. Als Fußballer Welt- und Europameister, mit 27 Sportinvalide und anschließend jüngster Bundesliga-Manager. Der Ulmer Metzgerssohn hat einen Flugzeugabsturz überlebt und zwischendurch den FC Bayern zu einem der erfolgreichsten Fußballklubs der Welt geformt.
Hoeneß hat die Bombe selbst gezündet
Nun hat er noch einen Brocken draufgepackt, den größten vermutlich. Einen, der selbst für Hoeneß zu groß sein könnte. Der Bayern-Boss offenbarte dem Magazin Focus, dessen Herausgeber Helmut Markwort dem Verwaltungsbeirat des Klubs angehört, dass er im Januar beim Finanzamt Selbstanzeige eingereicht habe, „die mit einem Konto von mir in der Schweiz zusammenhängt“. Hoeneß hat die Bombe selbst gezündet, wenn auch nicht aus freien Stücken. Welche Summen er bei den Eidgenossen gebunkert hat, wie viel an Steuern er dem deutschen Staat entzogen hat, ist im Detail noch offen. Bayern - Barcelona im Live-Stream
Laut Münchner Abendzeitung hat der Bayern-Präsident mit der Selbstanzeige sofort sechs Millionen Euro an den Fiskus überwiesen. Der offensichtliche Hintergrund der Aktion: Hoeneß hatte auf das Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz gehofft, das vorsah, Schwarzgeld von Bundesbürgern in der Schweiz aus den vergangenen zehn Jahren von 2013 an pauschal zu besteuern. Das Abkommen scheiterte Ende 2012 am Bundesrat. Im Erfolgsfall wären Sünder anonym geblieben. Seither stand Hoeneß am Abgrund. Nun ließe sich sagen, keiner könne derlei besser kaschieren als der Bayern-Boss. Schließlich wirkt er im Zustand der Erregung häufig so, als werde er jeden Augenblick explodieren. Journalisten wissen um die Gefahr. Gerne wirft er ihnen in diesem Zustand „den Scheiß“, den sie geschrieben hätten, an den Kopf. Er sagt dann mitunter Dinge, für die er sich anderntags entschuldigt.
Ein Gutmensch in der Schale eines reizbaren Löwen
Im vorliegenden Fall allerdings wird das wohl nicht reichen. Schließlich ist Uli Hoeneß nicht nur Erfolgsmensch, Fleischwarenfabrikant und Bayern-Präsident. Er ist auch soziales Gewissen, Kämpfer und Wohltäter. Ein Gut
in der Schale eines reizbaren Löwen. Einer, der Gerd Müller, Deutschlands erfolgreichsten Torjäger, dem Alkohol entrissen hat, der ehemalige Spieler aus finanziellen und privaten Desastern gerettet hat, der den FC Bayern zu Wohltätigkeitsspielen für bedrohte Klubs durch die Republik schickte. „Zu Uli Hoeneß kannst du immer kommen“, hat Mehmet Scholl am Ende seiner Karriere gesagt. Selbst diejenigen, die den Poltergeist als arrogant und selbstherrlich erleben, haben ihn für seine menschliche Ader geschätzt.Das dürfte nun vorbei sein. Nicht zuletzt deshalb, weil der ehemalige Stürmer auch als Moralist offensiv aufgetreten ist. Als es die Münchner Staatsanwaltschaft gewagt hat, den Bayern-Spieler Breno einzusperren, nur weil der Brasilianer – vereinsamt und betrunken – die angemietete Villa abgefackelt hat, sah Hoeneß die Republik am Ende. „Armes Deutschland“, schnaubte er dann. Er wetterte gegen Korruption im Weltfußballverband Fifa und gegen dessen selbstherrlichen Präsidenten Sepp Blatter. Wer eine klare Meinung schätzte, lud Hoeneß in seine Talkshow.
Der Bayern-Boss hat vor nichts und niemandem haltgemacht. Wenn er es für nötig hielt, auch nicht vor den eigenen Fans. Mochten ihm 5000 unzufriedene Mitglieder gegenübersitzen – Hoeneß hat ihnen die Leviten gelesen. Der gebürtige Ulmer scheut keine Überzahl. Hoeneß spaltet die Menschen. Mit einigen verbindet ihn eine lebenslange Gegnerschaft. Diejenigen, die er früher attackiert hat, schlagen nun zurück. Als Erster hat sich Christoph Daum gemeldet, der beinahe schon Bundestrainer war, ehe er über seinen Kokainkonsum gestolpert ist, den Hoeneß an die Öffentlichkeit getragen hatte. „Hoeneß tut mir leid“, äußerte sich Daum nun, „ich verspüre Mitgefühl für ihn und hege keinen Groll“.
Zwölf Millionen Euro nicht angegeben
Man muss nicht jedem Gefühl trauen, das jetzt an den Bayern-Präsidenten adressiert ist. Hoeneß’ Kontrahenten wissen, wie sehr den 61-Jährigen Mitleid trifft. Aber es könnte noch viel schlimmer für ihn kommen. Laut Bayerischer Staatsregierung, deren Chef Horst Seehofer nach eigenen Worten „schon vor geraumer Zeit“ von den Ermittlungen informiert war, hat der Betrugsfall eine „schwerwiegende Größenordnung“. Der Vorsitzende der deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, vermutet, dass „Hoeneß mindestens zwölf Millionen Euro nicht angegeben habe“. Bereits im Januar hatte der Stern von einem „Spitzenvertreter der Fußball-Bundesliga“ berichtet, der ein „Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe auf einem Schweizer Nummernkonto versteckt“ haben soll. Die Rede ist von „bis zu 650 Millionen Euro“. Am 20. März fand eine Razzia auf dem privaten Anwesen des Präsidenten im Tegernseer Tal statt. Staatsanwälte, Steuerfahnder und Kripo-Beamte durchsuchten seine Villa. Im äußersten Fall droht Hoeneß Gefängnis. Bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahre, steht auf Steuerhinterziehung.
Hoeneß will gegen den FC Barcelona wieder im Stadion sein
Wenigstens das: Hinweise auf eine Verbindung zum FC Bayern gibt es bislang nicht. Der Steuerfall scheint seine Privatsache zu sein. Ein Alleingang. Trotzdem wirkt die Geschichte tief in den Verein hinein. Statt über Fußball zu reden, müssen sich Jupp Heynckes & Co. nun zu Steuergeschäften und der moralischen Integrität ihres Präsidenten äußern. Und das gerade vor dem Champions-League-Halbfinale gegen den FC Barcelona, dem nicht nur die Bayern entgegenfiebern.
Beim Münchner 6:1-Bundesligasieg in Hannover fehlte der Präsident. Hoeneß war abgetaucht. Am Sonntag war er wieder da. Über Sport Bild Plus ließ er zweierlei verlauten: An einen Rücktritt als Aufsichtsratsvorsitzender und Vereinspräsident denke er nicht. Und am Dienstag, gegen Barcelona, sei er auch wieder im Stadion. Nicht einmal Franz Beckenbauer kann im Moment helfen. „Ich kann Uli nur die Daumen drücken, dass es gut ausgeht“, äußert der „Kaiser“ hilflos. Alles andere ist jetzt Sache der Münchner Staatsanwaltschaft.