Über die Statik eines Fußballspiels sagt das reine Ergebnis oft wenig aus. Am 1:0 des FC Bayern beim FC Schalke lässt sich nicht ablesen, wie überlegen die Münchner waren. Dafür sprechen eher die 80 Prozent Ballbesitz, die das Team von Trainer Hansi Flick über das Spiel weg anhäufte. Allein Joshua Kimmich brachte mehr Pässe an (156) als die komplette Schalker Mannschaft (116). Zusammen mit Thiago diktiert er seit Wochen das Spiel des FC Bayern. Auf dem Weg zum Erfolg initiierte der Spanier nicht nur zahlreiche Angriffe der Münchner, sondern gewann auch noch 83 Prozent seiner Zweikämpfe.
Kimmich und Thiago befinden sich derzeit in der Verfassung, die den FC Bayern nicht nur an nationale Titel denken lässt. Die Münchner sind die derzeit beste Mannschaft Europas. Liverpool verabschiedete sich am Dienstag mit einem 0:2 gegen Chelsea aus dem englischen Pokal. Zuvor verlor die Mannschaft von Jürgen Klopp das erste Ligaspiel in dieser Saison mit 0:3 beim Tabellenvorletzten Watford. In der Champions League steht den Briten nach dem 0:1 bei Atletico Madrid ein arbeitsreiches Rückspiel bevor. Manchester City verbreitet unter Pep Guardiola weniger Angst als in den Vorjahren. Barcelona und Real Madrid spielen eindimensionalen und von Einzelkönnern abhängigen Helden-Fußball. Die in den Vorjahren die italienische Liga bestimmenden Turiner schlingern derzeit eher, als zu überzeugen.
Aus Münchner Sicht undankbarerweise findet aber auch dieses Jahr das Champions-League-Finale wieder im Mai statt und nicht im März. Sollten Kimmich und Thiago bis dahin ihre Form konservieren können, hätten die Münchner aber tatsächlich ausgezeichnete Chancen, im Istanbuler Atatürk-Stadion erstmals seit 2013 wieder ein Endspiel in der Königsklasse zu bestreiten.
Flick und Heynckes sind sich in ihrer Art der Mannschaftsführung ähnlich
Die Vorzeichen erinnern arg an den Triumph vor sieben Jahren. Auch damals führte ein besonnener Trainer die Mannschaft an. Jupp Heynckes und Hansi Flick eint, dass ihr Karriereplan bereits abgeschlossen war, ehe sie die Münchner übernahmen. Beiden Trainern sind die Aufgeregtheiten des Geschäfts ebenso fremd wie ambitionierte taktische Experimente. Sie führen die Mannschaft, ohne sich zu exponieren.
Und: Sie können auf ein Duo zurückgreifen, das sich am Leistungslimit befindet und sich sowie den Kritikern noch etwas zu beweisen hat. Kimmich und Thiago erinnern an das Duo Lahm/Schweinsteiger im Jahr 2013. Der taktisch flexible Rechtsverteidiger, der als Klassensprecher zwar beredt nichts sagen konnte (wenn er nicht wollte) und noch keinen großen Titel gewonnen hatte, sowie Chefchen Schweinsteiger, der sich hauptsächlich vom Boulevard anhören musste, dass er als Anker des Spiels wenig taugt.
Thiagos Spiel ist seit seiner Ankunft in München 2013 von einer unverschämten Leichtigkeit geprägt, dass ihm Kritiker oft die notwendige Ernsthaftigkeit absprachen. Tatsächlich waren Pattex-Fähigkeiten am Ball und die Übersicht einer Drohne in den wichtigeren Spielen des Jahreskalenders vielfach reduziert. Derzeit aber schultert er das Spiel der Münchner auf derart formidable Weise, dass sich Kritik verbietet. Kimmich wiederum kann sich seit jeher skeptischer Beurteilungen sicher sein, weil er schon in jungem Alter derart meinungsfreudig auftritt, wie es im immer noch patriarchal geprägten Fußball nur erfahrenen Spieler zugestanden wird. 25-jährige Silberrücken sind nicht vorgesehen.
FC Bayern: Viele Parallelen zum Triple 2013
Die bayerische Mannschaft weist auch ansonsten Parallelen zum Team 2013 auf. Links verteidigt mit Alphonso Davies ein Wiedergänger des jungen David Alaba. Den Torraum und die umliegenden Gemeinden hütet nach wie vor Manuel Neuer, Thomas Müller schwirrt wie einst freigeisternd durch die Linien der Gegner und auf den Flügeln sind Serge Gnabry sowie Kingsley Coman ähnlich verletzungsanfällig wie Franck Ribéry und Arjen Robben – können aber eben auch jederzeit ein Spiel entscheiden. Dass mit Robert Lewandowski der möglicherweise weltweit beste Mittelstürmer ausfällt, thematisieren die Münchner nicht – sondern freuen sich eher über eine verhältnismäßig kurze Absenz. Schließlich soll der 31-Jährige Anfang April wieder fit sein.
Bis dahin stehen Partien gegen Augsburg, Union Berlin, Chelsea und Frankfurt an: die Startrampe für den großen Sprung. Davon reden wollen sie in München aber nicht. „Hochmut kommt vor dem Fall“, antwortet Neuer auf Fragen zu einem möglichen Triple. Wahrscheinlich aber sind die Bayern derzeit tatsächlich selbst ihr gefährlichster Gegner. Ein anderer ist kaum zu sehen.
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