Franz Beckenbauer, natürlich. Mag Lyon auch den Gebrüdern Lumière überregionale Bekanntheit verdanken, die in der französischen Stadt den wahrscheinlich ersten Film der Welt gedreht haben, soll Paul Bocuse doch wegen seines Restaurants als Koch des Jahrhunderts gelten – Fans des FC Bayern denken bei Lyon als erstes an Beckenbauer.
Als der Kaiser auch noch Präsident des FC Bayern war, sah er sich im Frühjahr des Jahres 2001 massiv in seinen hoheitlichen Sehgewohnheiten gestört. Die Münchner Mannschaft hatte eine dürftige Darbietung gezeigt, die in einer viel zu niedrig ausgefallenen 0:3-Niederlage mündete. "Altherrenfußballer" und "Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft" sind die Worte, die Kapitän Stefan Effenberg und seiner Mannschaft in den kommenden Wochen anhaften sollten.
Lyon war der Wendepunkt auf dem Weg des FC Bayern zum ersten Titel in der Königsklasse seit 1976. Das Team um die jetzigen Vorstandsmitglieder Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic bestach nicht zwingend durch ein Übermaß an Talent (Michael Tarnat, Carsten Jancker oder Thomas Linke gehörten zum Stammpersonal), kompensierte das aber durch ein Übermaß an Willenskraft. Jens Jeremies kehrte zwölf Tage nach einer Knie-OP für das Halbfinale gegen Real Madrid zurück auf das Feld. Sein Knie sollte sich davon nie mehr vollkommen erholen.
Champions-League-Halbfinale: FC Bayern ist der klare Favorit gegen Lyon
Am Mittwoch treffen die Münchner im Halbfinale der Champions League (21 Uhr, Sky) auf Olympique Lyon. Zu Altherrenfußball sind Serge Gnabry, Joshua Kimmich oder Leon Goretzka nicht fähig. Eher ziehen sie einen Spurt zu viel an, als dass sie sich Ruhe gönnen. Mit dem 8:2-Sieg gegen Barcelona hat sich der Rekordmeister zum großen Favoriten auf den Gesamtsieg gekürt. Derlei Rollenverteilungen sind den Spielern egal. "Ich denke, dass wir Wettbewerbstypen alle wirklich hungrig sind und auch mental so fit sind im Moment, dass wir einfach da sind, auch vom Kopf her", verklausulierte es Kapitän Manuel Neuer.
Bereits zum zweiten Mal stellt sich Lyon zwischen den FC Bayern und das Finale. Vor neun Jahren hatte Louis van Gaal eine Münchner Mannschaft geformt, die nach den missratenen Monaten unter Jürgen Klinsmann gewillt war, die strategischen Vorstellungen des Niederländers umzusetzen. Anders als das Team um Stefan Effenberg im Jahr 2001 war der Jahrgang 2010 weniger von Wut und Wille geprägt als von den fußballtaktischen Überlegungen. Anders als die Immer-weiter-Bayern Kahns verfügte die Mannschaft in Franck Ribéry und Arjen Robben über zwei Ausnahmekönner an den Rändern des Spielfelds.
Die Genese zu einer Auswahl von Spitzenkräften wurde durch die horrenden Einnahmen in der Champions League immer weiter befeuert. Spielten van Gaals Bayern 2010 noch mit Danijel Pranjic, Hamit Altintop, Diego Contento oder Ivica Olic gegen ihre europäischen Kontrahenten, sucht man heute Spieler eher durchschnittlicher Güteklasse vergeblich in der Startelf der Münchner.
Mit Corentin Tolisso und Javi Martinez sitzen zwei Weltmeister lediglich auf der Bank. Philippe Coutinho wurde einst als kommender Weltstar gehandelt und muss mittlerweile froh sein, in der Schlussphase eingewechselt zu werden. Der Kader der Bayern ist nun nicht mehr nur an den Rändern exquisit besetzt, sondern ist ein ganzheitlicher Feinkostladen fußballerischen Könnens, angeführt von Robert Lewandowski, der sich derzeit als weltbester Stürmer fühlen darf.
2001 brauchte es eine Bankettrede Beckenbauers, 2019 einen Trainerwechsel
Den Gegnern aus Lyon dürfte das nur wenig imponieren. Nachdem sie das von Cristiano Ronaldo angeführte Juventus Turin humorlos aus dem Wettbewerb gekegelt hatten, kippten die Franzosen auch noch Guardiolas Manchester City aus dem Viertelfinale. Mit Mannschaften, die sich zu Höherem berufen fühlen, kennt sich Olympique also aus. Das Team hat die fiese Fähigkeit, seinen Gegner unerbittlich zu erden.
Täuschen die Eindrücke der vergangenen Wochen nicht, hat Hansi Flick seinen Spielern allerdings die beeindruckende Gabe verinnerlicht, mit Freude gegen imposante Gegenwehr vorzugehen. So drängten sie den FC Barcelona nach einem ja durchaus schwierigen Start ins Spiel immer weiter in die Defensive und schließlich ins fußballerische Nirwana.
Die Bankettrede Beckenbauers gilt als Rüttelmaßnahme, die den großen Triumph erst möglich gemacht hatte. 2019 brauchte es einen Trainerwechsel, um die Qualität der Mannschaft offenzulegen. Eine Qualität, die es so in einem Team des FC Bayern wahrscheinlich noch nie gegeben hat.
Lesen Sie auch:
- Barça trennt sich auch von Sportdirektor Eric Abidal
- Lyon als große Überraschung der Königsklasse
- Flicks Final-Pakt mit den Bayern-Stars
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.