Hansi Flick wird allseits als gleichsam geduldiger wie besonnener Mensch beschrieben. Die Mannschaft des Münchner Trainers scheint sich aber in einem langfristigen Experiment daran zu versuchen, jene Schwelle herauszuarbeiten, an der das ansonsten genügsame Wesen des Vorgesetzten ungeahnte Facetten annimmt. Am Sonntagabend konnte das Team einen ersten Erfolg verbuchen. Die Bayern gingen mit einem 0:2-Rückstand gegen Mainz in die Pause, und weil sie in den 45 vorangegangenen Minuten einen arg sorglos-fahrigen Eindruck hinterlassen hatten, war Flick nicht mehr gewillt, allein mit strategischer Sorgfalt auf den herausfordernden Spielverlauf einzugehen.
"Ich kann schon auch laut werden, kein Problem", sagte Flick nach dem Spiel. "Man lernt ja mit den Jahren dazu." Manchmal müsse man eben "ganz klar sagen, was Sache ist. In der Halbzeit war es so." Sache war beispielsweise, dass es Rechtsverteidiger Benjamin Pavard auch gegen Mainz nicht gelang, sich aus seinem nun schon monatelang andauernden Tief herauszubuddeln – vielmehr schaufelte er sich noch weiter ein. Weitaus gravierender aus Sicht der Münchner ist allerdings die andauernde Schläfrigkeit, die pünktlich zur ersten Minute bei weiten Teilen der Mannschaft um sich greift. Bereits zum achten Mal in Folge geriet das Team nun in Rückstand. Dass bei Spielende daraus fünf Siege und drei Unentschieden entsprangen, ist mehr den herausragenden individuellen Fähigkeiten als einer tadellosen Mentalität geschuldet. Denn so imposant die Aufholjagden der Münchner sind: Sie sind ja auch nur möglich, weil es anfangs allzu lax auf dem Feld zugeht.
Die Abwehr des FC Bayern bleibt wackelig
Flick versucht seit Wochen, die wackelige Abwehr zu stabilisieren. Bislang ohne bleibenden Erfolg. Gegen Mainz immerhin fand das wackelige Gebilde zu seiner Bestimmung, als Joshua Kimmich Pavard auf der rechten Seite ablöste und Niklas Süle für Jerome Boateng in der Mitte seinen Dienst versah. Nicht ganz zufällig beteiligten sich sowohl Kimmich als auch Süle mit jeweils einem Tor daran, dass aus dem 0:2 am Ende ein 5:2-Sieg entwuchs.
Die Bayern hatten sich also mal wieder aus einer misslichen Lage befreit. Erneut sprang das Pferd nur so hoch, wie es eben musste – und nachdem es erheblich angetrieben wurde. Allzu lange aber werden sich die Münchner diese Kraftanstrengungen nicht mehr leisten können. In der Liga ist noch nicht einmal die Hälfte aller Spiele absolviert, in der Champions League wartet die K.-o.-Runde erst noch, und auch im nationalen Pokal will der ein oder andere namhafte Konkurrent auf dem Weg zur Titelverteidigung ausgeschaltet werden.
Derzeit aber sind die Münchner nicht in der Lage, sich frühzeitig einen komfortablen Vorsprung herauszuschießen, um hernach den weiteren Spielverlauf aus der Warte des aktiven Beobachters zu verfolgen. Jener konzentrierten Partien bedarf es aber, um auch gegen Ende der Saison so bei Kräften zu sein, um ernsthaft die Titel zu verteidigen, welche die Bayern als Triple-Sieger kennzeichnen.
Wer ist bei Bayern eigentlich gerade Rechtsverteidiger?
Weit weniger zur Sache tut es in dieser Hinsicht, wer denn nun für sich reklamieren darf, rechts hinten Stammspieler zu sein. Pavard ist es nicht mehr. Süle half dort vor Weihnachten aus, dürfte aber in der Innenverteidigung eher gefragt sein, und dem zuletzt angeschlagenen Bouna Sarr wird zwar zugetraut, gegen Gegner der Güteklasse Mainzbremenköln zu bestehen – ansonsten herrscht aber Vorsicht. Bleibt noch Kimmich, der allerdings auch im Zentrum wichtige Arbeit zu verrichten hat. Tatsächlich aber ersetzte er auch im Champions-League-Finale 2020 dort den verletzten Pavard und bereitete den Siegtreffer vor. Flick hat ein entspannteres Verhältnis zu den Vorlieben seiner Spieler, als es beispielsweise Joachim Löw hat. Der Bundestrainer garantierte Kimmich, dass er weiterhin im Zentrum auflaufen darf – obwohl dort mit Goretzka, Kroos, Gündogan und Havertz allerlei fähiges Personal bereitsteht, rechts hinten aber eine Verlegenheitslösung von der anderen abgelöst wird.
Flicks Schachzüge halten den FC Bayern auf der Erfolgsschiene
Die Bayern haben es auch Flicks Pragmatismus zu verdanken, dass sie von der Tabellenspitze grüßen. Vor der kurzen Winterpause schulte er kurzfristig Süle zum Rechtsverteidiger um und hatte Erfolg damit. Gegen Leverkusen wechselte er
erst Leroy Sané ein, um ihn später ohne bösen Willen wieder vom Feld zu nehmen. Der Erfolg gab ihm recht, und nach Sanés Ausgleichstreffer gegen Mainz und einer Leistungssteigerung gegenüber den vergangenen Auftritten ist anzunehmen, dass der Flügelspieler keinen Groll hegt.
Weil dazu auch noch Robert Lewandowski nach zwei weiteren Treffern energischer als je zuvor am Unendlichkeitsrekord Gerd Müllers rüttelt, verfügen die Bayern über allerhand gute Voraussetzungen im Kampf um die Meisterschaft. Allerdings machen sie auch jedem Gegner die Tür mehr als einen Spalt auf. Irgendwann wird einer die Einladung annehmen.
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