Der Lehrstuhl für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der TU München hat vor einiger Zeit eine Untersuchung veröffentlicht, für die die Ergebnisse der Bundesliga analysiert wurden. Demnach gab es bislang 74 verschiedene Endstände – und das mit Abstand häufigste ist das 1:1. Rund 10,5 Prozent aller Partien in der Bundesliga enden mit diesem Ergebnis . Mit anderen Worten: Das 1:1 ist das durchschnittlichste Ergebnis der deutschen Eliteliga, sozusagen der VW Golf unter den Endständen. Durchschnitt sozusagen und damit das Gegenteil von dem, was man beim Rekordmeister sein will. Der FC Bayern hingegen versteht sich als exklusiver Sportwagen und hat alleine schon deswegen sein Problem mit diesem Ergebnis. Das Problem: Alle drei Spiele der Münchner im Kalenderjahr 2023 endeten bislang so, auch beim Topspiel gegen Eintracht Frankfurt am Samstagabend durfte jedes Team exakt ein Mal jubeln.
Anhand der Reaktionen der Verantwortlichen des FC Bayern hätte man den Eindruck gewinnen können, dass die Münchner die Partie 1:1 verloren haben, während die Eintracht mit 1:1 in München triumphiert hat. Dabei sah es lange Zeit so aus, als ob die Bayern ihren ersten Sieg im neuen Jahr einfahren würden. Die Mannschaft von Julian Nagelsmann war deutlich feldüberlegen, hatte 67 Prozent Ballbesitz und war durch Leroy Sané in Führung gegangen (34.). Frankfurt hatte mit dem einzigen Schuss aufs Tor der Bayern den Ausgleich erzielt, Randal Kolo Muani hatte getroffen (69.). Unverdient war die Punkteteilung aber nicht: Offensiv präsentierte sich der Meister ideenlos und uninspiriert, in der Defensive wirkten die Münchner fahrig und unkonzentriert.
Beim Gegentor tanzten zwei Frankfurter Bayerns Defensive aus
Das beste Beispiel dafür war tatsächlich die Situation vor dem Ausgleich: Kurz zuvor war der Ball im Frankfurter Strafraum durch die Münchner Sturmreihe zirkuliert, ohne dass es eine allzu zwingende Situation gegeben hatte. Bei dem Konter, den sich die Bayern daraufhin (bei eigener Führung, wohlgemerkt) leisteten, hätte es ebenfalls Chancen gegeben, den Ball zu klären – dennoch genügten mit Vorlagengeber Daichi Kamada und dem Torschützen Kolo Muani zwei Kicker mit dem Eintracht-Adler, um die mit fünf Mann verteidigende bajuwarische Defensive zu entblößen.
Wer einen Vorgeschmack darauf bekommen wollte, wie ungemütlich die kommenden Tage beim FC Bayern werden würden, musste auf Mimik und Aussagen des Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn achten. Der gab mit saurer Miene zu Protokoll: "Objektiv fällt auf, dass es zwei Mannschaften sind: Die Mannschaft vor der Weltmeisterschaft und jetzt die Mannschaft nach der Weltmeisterschaft." Zudem sei die jetzige Phase kritischer als der Durchhänger, den sich der FC Bayern im Herbst mit der Niederlage gegen den FC Augsburg geleistet hatte: "Da hatten wir unglaublich viele Torchancen und haben einfach die Tore nicht gemacht. Jetzt ist das nicht so", konstatierte Kahn – und man ist geneigt, ihm inhaltlich recht zu geben.
Trainer Nagelsmann widerspricht Vorstandschef Kahn: "Keine zwei Mannschaften"
Nagelsmann widersprach Kahn, als er auf der Pressekonferenz darauf angesprochen wurde: Er könne keine zwei verschiedenen Mannschaften erkennen, der Start in das Spiel sei gut gewesen, diese Tore habe man schlichtweg verpasst. Nun will er "eine knallharte Analyse" angehen, diese sei auch im Sinn der Spieler, die das verlangen. Ein Großteil dieser Untersuchung dürfte der laschen Verteidigung beim Gegentor gewidmet sein, ein weiterer der Ideenlosigkeit im Angriff. Mit in die Erwägung dürften aber auch die Unkonzentriertheiten bei Abspielen fließen: Dayot Upamecano und Matthijs de Ligt handelten sich auf diese Weise Gelbe Karten ein, Torwart Yann Sommer bekam denselben Karton für eine Rettungsaktion in letzter Sekunde außerhalb des Strafraums gegen Kolo Muani. Weil er den Ball noch mit der Hand berührte, sah auch er die Verwarnung.
Thomas Müller, der erstmals in diesem Jahr in der Startelf stand und die Führung durch Sané vorbereitet hatte, sprach im Interview davon, dass "Selbstverständlichkeiten" fehlen, dass "Frankfurt uns das Leben schwer gemacht hat". Beides sind Dinge, die nicht zum Selbstverständnis des FC Bayern in etwa so passen wie ein VW Golf. Nun sei ein Sieg im Pokal am Mittwoch in Mainz wichtig: "Wir haben keine andere Wahl als da zu gewinnen." Immerhin steht jetzt schon eines fest: Das Pokalspiel wird sicher nicht mit 1:1 enden.