Ab und an scheint der Blick auf die nackten Zahlen zu täuschen. Im Fall von Roberto De Zerbi scheint das zum Beispiel der Fall zu sein. Der 44-Jährige hat als Trainer bislang nur den ukrainischen Supercup und den Pokal der drittklassigen italienischen Serie C gewonnnen. Mit seinem Team Brighton & Hove Albion steht er lediglich auf Platz neun der Premier League. Auch als Spieler brachte es der beim AC Milan ausgebildete Kicker nur zu drei Erstligaspielen in Italiens erster Liga. Und dennoch sollen sich nahezu alle europäischen Top-Teams mit dem Mann beschäftigen: Der FC Barcelona, der Ersatz für seinen scheidenden Coach Xavi sucht, ebenso wie der FC Bayern.
Bei den Münchnern ist De Zerbi nach der Absage von Wunschkandidat Xabi Alonso mehr denn je in den Fokus gerückt , speziell Sportvorstand Max Eberl ist dem Vernehmen nach ein großer Fan des Mannes aus der Lombardei. Damit ist er nicht alleine. Manchester Citys Trainer Pep Guardiola sagte kürzlich über ihn: "Als Trainer macht es mir Spaß, seine Mannschaften spielen zu sehen. Alles, was er tut, macht Sinn." Und, einmal in Fahrt, legte der nicht für Untertreibungen bekannte Pep nach: "Er ist einer der einflussreichsten Trainer der letzten 20 Jahre. Es gibt keine Mannschaft, die so spielt." Jürgen Klopp gelang mit Liverpool neulich der erste Sieg gegen De Zerbi. Nach dem 2:1 der Reds sagte er der BBC: "Ich habe ihm gesagt, dass er die Fußball-Welt einfach weiter auf den Kopf stellen soll. Ich werde es mir aus der Entfernung anschauen. Ich habe so viel Respekt vor dem, was er leistet." Vielleicht geschieht das sogar an Klopps bisheriger Wirkungsstätte, bekanntlich sucht auch Liverpool einen Coach.
Guardiola über De Zerbi: "Einer der einflussreichsten Trainer der letzten 20 Jahre"
Aber warum all diese Bewunderung für einen Trainer, der bislang kaum etwas gewonnen hat? Auch hierzu ein Guardiola-Zitat als Erklärung: "Du musst nicht immer die besten Spieler haben und ganz vorne dabei sein, um zu zeigen, wie gut du bist." Mit Brighton zog er in der vergangenen Saison überraschend in die Europa League ein und verlor danach nicht nur seinen Stammtorwart Robert Sánchez (Chelsea), sondern musste auch seine Mittelfeldzentrale Moisés Caicedo (Chelsea) und Alexis McAllister (Liverpool) abgeben. Das spülte zwar fast 200 Millionen Euro an Ablösesummen in die Kasse. Dass Brighton aber auch mit runderneuertem Personal in der Premier League mithalten kann, überraschte dann doch etwas.
Vor allem der Spielstil ist besonders: De Zerbis Teams zeichnen sich durch viel Ballbesitz sowie ein schnelles und intensives Kurzpassspiel aus. Der Spielaufbau findet meist tief in der gegnerischen Hälfte statt, sodass das andere Team schon gezwungen wird, anzugreifen. Dadurch sollen Spieler aus ihrer Ordnung gelockt werden. Wenn das geschieht, gibt es einen schnellen Ball in die Tiefe und idealerweise eine Chance. Es ist ein risikoreicher, selbstbewusster und anspruchsvoller Ansatz, den man eher von den Großen der Branche erwarten würde, sicher aber nicht von Brighton, das in der Bundesliga am ehesten mit dem VfL Bochum oder Mainz zu vergleichen wäre. De Zerbi hat, als er Brighton im September 2022 vom damals nach Chelsea abgeworbenen Graham Potter übernahm, zwar schon eine stabile Mannschaft übernommen. Unter seiner Amtszeit hat er das Team vom Küstenort Brighton zu einer der interessanten Mannschaften der reichsten Liga der Welt gemacht – und sich selbst zur derzeit wohl heißesten Trainer-Aktie.
Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß hospitierte bei Roberto De Zerbi
Sogar ein gewisser Anteil an der Überraschungsmannschaft der Bundesliga ist De Zerbi zuzuschreiben. Nach seiner Entlassung bei der TSG Hoffenheim hospitierte Sebastian Hoeneß einige Wochen in Brighton. Der Fußball, mit dem Hoeneß aus dem Abstiegskandidaten Stuttgart einen Champions-League-Kandidaten machte, weist tatsächlich viele Ähnlichkeiten zu Brighton auf: Angefangen von der Grundordnung im 4-2-3-1-System über die schnellen Passstafetten hat das VfB-Spiel deutliche Brighton-Anleihen.
Und De Zerbi selbst? Hat erst mal einen Vertrag, der bis 2026 gültig ist, aber offenbar mit einer Ausstiegsklausel in Höhe von 14 Millionen Euro ausgestattet ist. Für die Verhältnisse der Bayern, die einst für Julian Nagelsmann 25 Millionen Euro bezahlten, um ihn dann nach eineinhalb Jahren wieder rauszuschmeißen, sind das Peanuts. Mittlerweile ist man an der Säbener Straße auch von der Grundvoraussetzung abgerückt, wonach der jeweilige Trainer deutschsprachig sein muss. De Zerbi selbst gibt sich zurückhaltend, wenn es um seine Zukunft geht. "Es geht nicht um meine Zukunft, sondern um unseren Spielplan." Die Gespräche um eine Vertragsverlängerung sind aber erst mal gestoppt. Sehr wahrscheinlich aus gutem Grund.