Gerüchteweise soll am Freitag über dem Gelände des FC Bayern München weißer Rauch aufgestiegen sein. Der künftige Heilsbringer im Angriff des Rekordmeisters ist nicht mehr nur gewählt, er sollte engelsgleich heranschweben. War ja schier nicht mehr auszuhalten, was sich in den vergangenen Tagen rund um den Fußball-Bundesligisten abgespielt hatte. Kane hier, Kane da, Kane überall.
Am Donnerstag sorgte für kurzzeitige Verwirrung, der Engländer würde sich trotz Zusage gegenüber den Münchnern weiterhin andere Angebote anhören. Am Freitag nun: Habemus Kane. Auch wenn die offizielle Verlautbarung selbstredend weiterhin auf sich warten ließ.
Harry Kane soll die Lücke schließen, die Robert Lewandowski mit seinem Abgang hinterlassen hat
Am Vormittag noch hatte der Transferkrimi einen weiteren Höhepunkt erreicht. Nächster Akt einer Theaterinszenierung. Die Bild vermeldete, Tottenham Hotspur hätte den Kapitän der englischen Nationalmannschaft daran gehindert, mit einem Privatjet abzuheben. Später dann die Entwarnung. Kane durfte fliegen, landete gegen Abend in München und sollte dort den obligatorischen Medizincheck absolvieren.
Jeder spricht über den unmittelbar bevorstehenden Wechsel, niemand möchte diesen jedoch bestätigen. Derweil überbieten sich Beteiligte daran, mit möglichst vielen Worten möglichst wenig zur künftigen Bundesligaattraktion zu sagen. Bayern-Trainer Thomas Tuchel wusste, dass auf der Pressekonferenz am Freitag eher am Rande das Supercup-Spiel gegen Pokalsieger RB Leipzig thematisiert werden würde (Samstag, 20.45 Uhr/Sky und Sat. 1). Und wenn, dann im Zusammenhang mit Kane. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran", beteuerte Tuchel, ehe er sich des geflügelten Worts im Fußballtransferjargon bediente. "Stand jetzt" gebe es keine Einigung. Grundsätzliches aber stehe dem Wechsel des Angreifers Kane nicht mehr im Wege, schob Tuchel noch hinterher. Zuvor schon hatte sich der FC Bayern mit Tottenham Hotspur auf eine Ablöse in Höhe von mehr als 100 Millionen Euro verständigt.
Mit Kane schließen die Bayern jene Lücke, die sich mit Robert Lewandowskis Abgang zum FC Barcelona vor einem Jahr geöffnet hatte. Im Laufe der vergangenen Saison wurde den Münchnern auf schmerzhafte Weise gezeigt, wie abhängig sie trotz eines herausragenden Kaders von einem Strafraumvollstrecker sind. Dass sie die Bedeutung einer klassischen Neun unterschätzt hatten, war ein Vorwurf, den sich Vorstandsboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic vor ihrer Entlassung anhören mussten. Sadio Mané preisten die Bayern vor einem Jahr als ihren Königstransfer an, der ehemalige Spieler des FC Liverpool konnte die hohen Erwartungen nicht ansatzweise erfüllen.
Kane, ebenfalls ein englischer Import, scheint wegen seines bisherigen Schaffens auf dem Rasen und seiner Vita einem anderen Typus als Mané zu entsprechen. Dem Kapitän der englischen Nationalmannschaft wird tatsächlich zugetraut, an die Torquote eines Lewandowski heranzureichen. Mehr als 300 Tore in gut 500 Pflichtspielen stehen in der Bilanz des Musterprofis, davon entfallen allein auf die Premier League 213 Treffer und 50 Vorlagen in 320 Partien. Mit Kane in ihren Reihen sehen sich die Bayern in der Lage, auch in der Champions League ernsthaft um den Titel mitzuspielen. In München können sie schon jetzt kaum ihre freudige Erregung ob des Coups verbergen. Tuchel hob nochmals heraus, wie elementar der Engländer werden könnte. "Wir versuchen, den Kapitän der englischen Nationalmannschaft aus England rauszuholen. Wir arbeiten an diesem großen Transfer. Das zeigt, wie wichtig ein Stürmer für uns ist."
Der FC Bayern München kam mit "Mia-san-mia" nicht weiter
Für den Wechsel mussten die Bayern ihre übliche "Mia-san-mia"-Herangehensweise streichen. Mussten Bedingungen akzeptieren, mussten womöglich bitten und betteln. Vor allem mussten sie eine Stange Geld ausgeben. Wohl die einzige Möglichkeit, einen englischen Profi von der Insel zu locken. Dortige Berufsfußballer schweben gehaltstechnisch in anderen Sphären. Die Daily Mail verabschiedete den Spieler am Freitag bereits. "Auf Wiedersehen, Kane" titelte das Boulevardblatt.
Die größte Baustelle hat der FC Bayern somit geschlossen. Bliebe noch jene, hinter der sich die zweite Achillesferse in der vergangenen Spielzeit verbarg: die des Torhüters. Tuchel fasst in einem Satz zusammen: "Es ist komplex." Der FC Bayern sucht eine potenzielle Nummer eins, die sofort weiterhilft. Zugleich sollte sich dieser Torhüter allerdings nach einer Rückkehr Manuel Neuers geräuschlos in die zweite Reihe zurückziehen. Die Münchner sollen sich unter anderem für die Spanier Kepa Arrizabalaga (FC Chelsea) und David de Gea (zuletzt Manchester United) interessieren.