Herr Hamann, vor dem Spitzenspiel gegen Dortmund am Samstag hat der FC Bayern den Trainer gewechselt. Zurecht?
Dietmar Hamann: Ja. Mit dem alten Trainer sind sehr viele Dinge vorgefallen. Die Bayern-Bosse wollten nun nicht mehr abwarten, was in den nächsten Wochen passiert. Das ist nachvollziehbar, denn nach der Niederlage gegen Leverkusen hat man wohl die Rechnung aufgemacht: In dieser Verfassung werden wir Dortmund nicht schlagen. Und wie soll das denn gegen Manchester City klappen?
Ein Vorwurf, der von der Führung des FC Bayern in Richtung Julian Nagelsmann kam: Zwischen Mannschaft und Trainer hat es nicht gepasst. Sehen Sie das auch so?
Hamann: Ich glaube, dass er es nicht geschafft hat, über 18 Monate hinweg alle Spieler hinter sich zu kriegen. Das klappt, indem du die wichtigsten vier, fünf Profis auf deine Seite bringst. Denen folgen dann wiederum die anderen. Offenbar hatte er mit Kimmich und Goretzka ein gutes Auskommen. Das reicht aber einfach nicht. Und wenn die Mannschaft nicht hinter dir steht, dann bekommst du diese inkonstanten Leistungen. Es gab immer mal wieder Ausschläge nach oben, aber auch gravierende Rückschläge. Es ist eklatant, dass der FC Bayern neun Punkte Vorsprung auf Dortmund verspielt hat, jetzt sogar einen Punkt hinten dran ist.
Hat Nagelsmann auch im taktischen Bereich Fehler gemacht?
Hamann: Nagelsmanns großes Problem war, dass er die Spiele gewinnen wollte. Aber wenn du solche Spieler wie die beim FC Bayern hast, dann musst du die Jungs auch einfach mal machen lassen und sie nicht in ein zu enges taktisches Korsett pressen. Damit nimmst du diesen Weltklassespielern die Spielfreude, die Entscheidungsfreudigkeit. Das war schon immer so: Bei den Bayern gewinnen die Spieler die Spiele, nicht die Trainer. Und ganz nebenbei: Dass der FC Bayern von den letzten zehn Ligaspielen fünf gewonnen hat, hätte auch nicht unbedingt sein müssen. Da waren einige Spiele dabei, die sie eigentlich nicht hätten gewinnen dürfen.
Es gibt Berichte, wonach sich Nagelsmann von Sadio Mané hat einschüchtern lassen, weil dieser nicht in der Startelf stand und im Training klein beigegeben hat. Halten Sie das für realistisch?
Hamann: Generell passiert es immer mal wieder, dass ein Spieler unzufrieden ist. Das musst du dann unter vier Augen klären. Ein Trainer muss eine Respektsperson sein – und für den Spieler heißt das: Wenn er so einen Aufstand macht, muss das Konsequenzen haben. Wenn es wirklich stimmt, dass ein Spieler den Trainer vor versammelter Mannschaft angegangen hat, ist das mehr als ein Alarmzeichen.
War das Alter von Nagelsmann ein Problem? Als er die Bayern übernommen hat, war er 33 Jahre alt.
Hamann: Das glaube ich nicht. Er ist seit sieben Jahren auf höchstem Niveau dabei. Da spielt das Alter keine Rolle mehr. Dennoch hat die Geschäftsführung des FC Bayern wohl gehofft, dass er sich schneller anpasst. Die Möglichkeiten dazu hätte es gegeben, und man hat ihn lange gestützt. Nach dem Aus in der Champions League gegen Villarreal etwa hat es ja fast keine Kritik an ihm gegeben, da hat die Chefetage geschwiegen.
Wie wichtig wird für den FC Bayern das Spiel gegen Dortmund?
Hamann: Das wird fundamental wichtig für den weiteren Saisonverlauf. Deswegen hat der Verein jetzt auch den Schritt gewagt und den Trainer gewechselt. Wenn der FC Bayern hier verliert, wird es eng mit der Meisterschaft. Aber es würde mich nicht wundern, wenn man eine ganz andere Mannschaft als zuletzt auf dem Platz sehen wird.
Die Vorbereitung ist für Thomas Tuchel aber alles andere als leicht, wegen der Länderspiele waren viele Profis unterwegs.
Hamann: Ich glaube nicht, dass das für dieses Spiel besonders relevant sein wird. Gegen Dortmund wird es um die Einstellung und den Willen gehen, unbedingt das Spiel gewinnen zu wollen. Und bei diesen Qualitäten war der FC Bayern zuletzt immer da, wenn es sein musste.
Das Spiel ist brisant wie selten, nicht nur wegen der sportlichen Ausgangslage. Thomas Tuchel wird auf seinen Ex-Klub treffen. Der Abschied vom BVB war nicht im Guten.
Hamann: Ja, aber es spielt ja nicht Tuchel gegen Watzke. Thomas Tuchel ist erfahren genug, um das auszublenden. Ohnehin tut man ihm manchmal unrecht, wenn man ihn als schwierig bezeichnet. Natürlich gab es Spannungen. Aber man darf nicht vergessen, dass es beim BVB damals diesen schrecklichen Anschlag auf den Mannschaftsbus gab, der die Stimmung zum Kippen brachte. In Paris, auch kein leichtes Umfeld, hatte er ein sensationelles Jahr, in dem er eigentlich die Champions League hätte gewinnen müssen. Und bei Chelsea ist die Sachlage mit den neuen Eigentümern zumindest kompliziert gewesen.
Wie stehen Sie denn zu Tuchel, halten Sie ihn für schwierig?
Hamann: Ich kenne ihn ganz gut. Zu meinen Zeiten in der Jugend beim FC Bayern habe ich, als er beim FC Augsburg war, ein paarmal gegen ihn gespielt. Er ist ein intelligenter Mann, hat einen guten Humor. Und was das Prädikat schwierig angeht: In diesem Job musst du Entscheidungen treffen, die es in sich haben. Das kann er. Und wenn dir das dann so ausgelegt wird, dass du als schwierig giltst – dann ist es eben so. Ich denke nicht, dass sich ein Verein deshalb davon abhalten lässt, einen Trainer zu holen. Einfach können alle, das ist aber nicht gefragt in diesem Geschäft.
Die Außendarstellung des FC Bayern war wohl ebenfalls schwierig: Präsident Hainer wurde am Montag noch damit zitiert, dass es im Verein keine Diskussionen um den Trainer gibt. Wenig später war Nagelsmann weg und Tuchel da …
Hamann: Ja, das war etwas ungünstig. Natürlich muss man wissen, dass das betroffene Interview wohl ein paar Tage alt war und beim FC Bayern wohl kaum einer damit gerechnet hat, dass man gegen Leverkusen verliert. Zudem ist ein Präsident nicht so derart ins Alltagsgeschäft eingebunden wie der Vorstandsvorsitzende Kahn und der Sportchef Salihamidzic Aber klar: Das sieht nicht gut aus. Dass dann die Verpflichtung Tuchels auch im Vorfeld medial und nicht vom FC Bayern verkündet wurde, wirft kein gutes Licht auf den Verein. Ohnehin sind zuletzt ja immer wieder vertrauliche Dinge aus der Kabine nach außen gedrungen. Da müssen die Bayern aufpassen. Das war zu meiner Zeit ja auch so, als der Slogan vom "FC Hollywood" geprägt wurde. Das ist für die Mannschaft wahnsinnig anstrengend und schafft Misstrauen.