Das Wetter hält für sämtliche Lebensbereiche passende Vergleiche bereit. Dass nach Regentagen garantiert wieder die Sonne scheint, gilt für allerlei zwischenmenschliche, private und berufliche Herausforderungen. Jan-Christian Dreesen versteht sich selbstredend auch auf eine bildhafte Sprache. Als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern muss man sich den Aufsichtsräten Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge erwehren oder seinem Trainer erklären, warum es wirklich für beide Seiten das Beste ist, sich am Ende der Saison zu trennen. Da bedarf es schon einer geschliffenen Rhetorik.
Nach dem Unentschieden gegen Real Madrid am Dienstag gab Dreesen in den Katakomben der Allianz-Arena ein Beispiel seiner Sprachkunst: "Manchmal kommen die Schauer im April, obwohl man sie nicht erwartet. Manchmal kommt dann die Sonne im Mai." Wohlan, zur Exegese dieser nur scheinbaren Banalität. Zum einen sprach Dreesen die weisen Worte, kurz bevor um Mitternacht der April in den Mai überging. Zum anderen bezog er sich damit auf die als sicher geltende Unterschrift von Ralf Rangnick als neuer Bayern-Trainer. Fraglich schien nur noch, ob der Coach sein Jawort schon vor dem Rückspiel gegen Real Madrid gibt. Dreesen machte mit seiner Wetter-Metapher klar, dass er es nicht weiß – es aber auch keine große Rolle spielt. "Das liegt daran, dass man das Wetter nicht beeinflussen kann", so Dreesen.
Ralf Rangnick gilt als recht eigenwillig
Zwei Tage später war klar, dass man Ralf Rangnick ähnlich schwer beeinflussen kann wie Regen, Sonne und Schnee. Die Absage des 65-Jährigen erwischte die Münchner wie ein Hagelschauer bei klarem Himmel. Wobei der Wunschkandidat (also: nach Alonso und Nagelsmann) sich in den vergangenen Jahrzehnten schon erfolgreich und verdientermaßen den Ruf erarbeitet hat, über einen recht eigenwilligen Charakter zu verfügen. Die Münchner dienen dazu nun als letztes Beispiel, und wie es sich für einen plötzlichen Hagelschauer geziemt, reagierten sie sehr überrascht. Dem Vernehmen nach war man sich am Montag in Grundzügen handelseinig gewesen mit dem Trainer. Auch deswegen machte Dreesen am Dienstag gar keine Anstalten, eine mögliche Zusammenarbeit ins Reich der Fabel zu verweisen. Am Mittwoch soll Rangnick den bayerischen Bossen mitgeteilt haben, dass die bajuwarische Suche nach einem Trainer weitergehen muss.
Der Österreichische Fußball-Bund verkündete am Donnerstag auf seiner Homepage stolz: "Ralf Rangnick hat sich entschieden! Der 65-Jährige wird über die Europameisterschaft 2024 hinaus Teamchef des österreichischen Nationalteams bleiben." Rangnick selbst ließ sich folgendermaßen zitieren: "Ich möchte ausdrücklich betonen, dass das keine Absage an den FC Bayern ist, sondern eine Entscheidung für meine Mannschaft und unsere gemeinsamen Ziele." Wohlfeile Worte – die aber nicht kaschieren können, dass es sich sehr wohl um eine Absage an die Münchner gehandelt hat.
Die stehen nun vor der gar nicht mal so angenehmen Aufgabe, wieder auf die Suche gehen zu müssen und dem nächsten Kandidaten dann zu erklären, warum er eigentlich nur die vierte Wahl ist, man ihn aber trotzdem unbedingt verpflichten will. Selbstverständlich gibt es etliche Trainer, die dennoch kommen würden. Aus Münchner Sicht haben allerdings die meisten von ihnen nicht das nötige Format, um beim FC Bayern zu bestehen. Schließlich gilt es da, nicht nur Spiele zu gewinnen, sondern auch die Zuneigung einiger Aufsichtsräte. Hansi Flick war das schon mal gelungen. Er wäre auch jetzt wieder zu haben. Seine kurze Amtszeit als Bundestrainer nährte allerdings Zweifel in seine Fähigkeiten. Roger Schmidt wird wohl nicht über das Saisonende hinaus bei Benfica Lissabon bleiben, er hatte den Klub vergangene Saison zur ersten Meisterschaft seit 2019 geführt.
Außenseiterchancen genießt Erik ten Hag. Der trainierte von 2013 bis 2015 schon die zweite Mannschaft der Münchner. Später führte er Ajax Amsterdam mit attraktivem Fußball ins Halbfinale der Champions League. Derzeit ist er bei Manchester United angestellt, wo es weniger gut für ihn läuft. Dieses Schicksal teilt er mit Rangnick – der in Manchester sein direkter Vorgänger war.
Der FC Bayern und Thomas Tuchel: Das wird nichts mehr
Unwahrscheinlich ist, dass die Münchner der Versuchung erliegen, noch mal bei Thomas Tuchel vorstellig zu werden. Dafür hat es bei einigen Hagelstürmen beidseitig zu viel Vertrauen zerdeppert. "Ich glaube, wir sind uns alle miteinander im Klaren, dass es nur ein Ziel gibt, und das lautet, zusammen ins Finale zu kommen. Dann sind wir gemeinsam happy und gehen getrennte Wege", sagte Dreesen am Dienstag. Da ging er noch von einer sonnigen Zukunft mit Rangnick aus. Der macht aber einfach, was er will. Sogar im Mai.