Ortsbesuch im Rosenaustadion: Ein Fußballheld kehrt zurück

23.02.2021

Das Rosenaustadion entstand aus den Trümmern, die der Zweite Weltkrieg hinterließ. 2021 wird es 70 Jahre alt. FCA-Legende Alwin Fink kennt es beinahe so lange – und erzählt von damals.

Der Held von damals isst keine goldenen Steaks. Er mag Paprikaschnitzel. Oder Schweinebraten, natürlich mit Kruste. Der Held von damals fährt auch keinen Ferrari, sondern steigt an diesem Montagmittag in ein ganz normales Auto und fährt Richtung Süden.

Alwin Fink ist ein bescheidener Mann. Dabei könnte er stolz sein, prahlen, seine Erfolge aufzählen. Oder sich ein Steak mit Blattgold bestellen, wie es Superstar Franck Ribéry tat und damit zeigte, wie dekadent es sich heutzutage in Finks ehemaliger Branche lebt.

Fink verzichtet auf all das. Er sagt: "Ich war mal Fußballer beim FC Augsburg". Und fügt an: "Aber auch Lehrer." Er kommt aus einer anderen Zeit. Als es Fußballern um Fußball ging und Geld noch nicht die größte Rolle spielte. Instagram erst recht nicht. Und trotzdem war Fink jemand, den man als Helden bezeichnen kann, als Helden des Sports. Vor allem in Augsburg, aber auch darüber hinaus.

i
Foto: Fred Schöllhorn (Archivbild)
Foto: Fred Schöllhorn (Archivbild)

1974 im Rosenaustadion: Alwin Fink (rechts) mit seinen Mannschaftskameraden Walter Modick und Wolfgang Haug.

Der Mann aus Stadtbergen ist heute an den Ort zurückgekehrt, an dem er in den 70er-Jahren Geschichte schrieb. Vor einem halben Jahrhundert, als der FC Augsburg erst aufstieg – und eine Saison später gleich den Meistertitel in der Regionalliga gewann. "Die Zuschauer strömten damals in Massen ins Stadion", sagt Fink. Zehntausende feuerten ihn und seine Mannschaft an, schwenkten Fahnen in den Stadtfarben, fluchten, jubelten.

Fink sagt: "Das hat mir ganz, ganz gut gefallen."

Heute will Fink erzählen, welche Erinnerungen er mit dem Rosenaustadion verknüpft. Er, der zwei Jahre älter ist als die Arena, die in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiert. 70 Jahre – so lange gibt es die Sportstätte schon. Damals, im Jahr 1951, ist es das viertgrößte Stadion in der Bundesrepublik. Erbaut aus Schutt, den die Bomben im Zweiten Weltkrieg in Augsburg hinterließen. Das Rosenaustadion, es war damals mehr als eine Sportstätte. Es war ein Zeichen der Hoffnung – mühsam erschaffen in rund 760.000 Arbeitsstunden.

Navigieren Sie selbst durch das Rosenaustadion, indem Sie über das Bild wischen und den roten Pfeilen in der 360-Grad-Tour folgen. Um Fotos und Videos anzusehen, klicken Sie auf die roten Foto- und Videosymbole.

Die Augsburger Allgemeine, damals noch unter dem Namen Schwäbische Landeszeitung, schrieb: "Es ist ein Symbol des Aufbauwillens der unverzagten Bürgerschaft, die aus Trümmern und Schutt etwas Neues und Großes gestaltete."

Fink darf als Neunjähriger zum ersten Mal ins Stadion. Damals, Ende der 50er-Jahre, spielt der BC Augsburg gegen Borussia Dortmund. Die Westfalen gelten als übermächtig. Doch im Schein des neu installierten Flutlichts siegen die Augsburger, deren Verein später im FCA aufgehen wird. "Das war für mich ein Traumerlebnis", sagt Fink. "Unvergesslich."

Jahre später stand Fink selbst auf dem Platz. Er war dann der Star, und bestimmt saßen damals Buben und Mädchen im Publikum, die heute sagen würden: Es war unvergesslich.

i
Foto: Axel Hechelmann
Foto: Axel Hechelmann

Ausgewaschen im Laufe der Jahre: Das Schild mit dem Schriftzug "Rosenaustadion".

Jetzt ist er wieder unten auf dem Rasen. Als Gast. Außer ihm und dem Reporter ist niemand da. Vor 35 Jahren hatte Fink hier sein letztes Spiel mit den Datschiburger Kickers, einer Benefizmannschaft, für die schon Helmut Haller, Franz Beckenbauer, Gerd Müller und der Boxer Max Schmeling spielten.

Das Ende seiner Fußballerkarriere beim FCA war zu dieser Zeit schon lange besiegelt. 1975 verletzte sich Fink an der Achillessehne, dann auch noch am Knie. Er zeigt auf die Stelle am Bein und sagt: "Den Schmerz vergesse ich nicht." Sein Arzt warnte ihn damals: Wenn er so weitermache, braucht er mit 50 ein neues Knie. Fink hörte auf.

Nach seinem Karriereende verschwand über die Jahre auch langsam der Glanz des Rosenaustadions. Ein bisschen vielleicht auch seinetwegen. Das einst knallrote Schild mit dem Schriftzug "Rosenaustadion" über der Anzeigetafel ist verblichen wie ein Pulli, der zu oft gewaschen wurde. Aus den Fugen im Stehplatzbereich sprießt Klee. Dort, wo über Jahre hinweg Regen hinabprasselte, verschwinden farbige Markierungen auf dem Boden.

i
Foto: Axel Hechelmann
Foto: Axel Hechelmann

Das Rosenaustadion hat die besten Jahre hinter sich.

Es ist nicht erst die Corona-Krise, die das Stadion in den Bedeutungsverlust schickte. Schon seit vielen Jahren wird es immer ruhiger um die Arena. Dass es so kommen würde, deutete sich schon an, als 1972 das moderne Olympiastadion in München entstand und große Sportereignisse anzog. Mit der Eröffnung der heutigen WWK-Arena verließ dann 2009 auch der FC Augsburg das Stadion.

"Es war schon eine intensive Zeit."

Fink verlässt jetzt den Rasen, geht über die rostrote Leichtathletik-Bahn und durch ein Gerippe aus Stangen, das mit einer weißen Plane überspannt ist, hinein in die Katakomben.

In modernen Stadien ist es nicht schwer, sich im Gewirr der Gänge zu verlaufen. Im Rosenaustadion fällt die Orientierung leicht. Spielereingang, Kabine, Rasen – alles erreichbar mit wenigen Schritten. Hier, im Inneren, soll sich Helmut Haller vor einem Spiel oft aufgewärmt haben, während seine Kameraden draußen vor dem Stadion ihre Runden drehten. Unter den Augen des strengen Platzwarts, der es den Spielern verbot, sich auf dem Spielfeld vorzubereiten. Niemand wagte, sich ihm zu widersetzen, erzählt Fink.

Und dann geht er in die Kabine. Ein kleiner, ruhiger Raum mit Holzvertäfelung. Gerade noch hat jemand den Boden gewischt. Das macht es nicht leichter, sich vorzustellen, wie sich hier vor 50 Jahren Männer Schulter an Schulter hineinpressten und frische Luft selbst bei gekippten Fenstern keine Chance mehr hatte, den Schweißgeruch zu verdrängen.

Wo Fink in der Kabine saß, weiß er nicht mehr. Nur, dass es still war vor den Spielen. "Ich habe mich gedanklich mit meinem Gegenspieler beschäftigt", sagt er. "Die Situation war oft sehr angespannt." An ein Spiel erinnert Fink sich noch besonders gut. Mehr als 40.000 Zuschauer warteten draußen, um eine Partie gegen den ebenbürtigen 1. FC Nürnberg zu sehen. "Das Stadion war randvoll", erzählt Fink. Die Anspannung in der Kabine groß. Doch den Augsburgern gelang der Sieg.

Wenn Fink erzählt, betont er vor allem, wie gut seine Kollegen gespielt haben: "Wolfgang Haug schoss das Siegtor", "Helmut Haller war ein großartiger Techniker", alle hätten toll zusammengehalten.

Ein bescheidener Mann, doch immerhin war er es, der seine Mannschaft in der Meistersaison 1973/74 als Kapitän aufs Feld führte und beim FC Augsburg als Klub-Legende gilt.

Weil das Fußballgeschäft früher ganz anders war, ging Fink nebenbei noch arbeiten. Einen Profivertrag als Fußballer hatte er nie. Morgens unterrichtete der Lehrer Klassen mit 46 Schülern, nachmittags bereitete er sich für den nächsten Tag vor. Abends trainierte er mit der Mannschaft, ehe er an den Schreibtisch zurückkehrte und Schularbeiten korrigierte. Oft bis in die Nacht hinein. "Der Tag war voll ausgefüllt", sagt Fink. "Es war schon eine intensive Zeit."

Finks Geschichte steht stellvertretend für die vieler Sportlerinnen und Sportler, die im Rosenaustadion vor Menschenmassen traten. So wie etwa die von Ludwig Müller, der als Maurer arbeitete, dann im Tiefbauamt, dann als Masseur und schließlich als Fußball-Betreuer. Nebenbei gewann er 1958 einen Leichtathletik-Länderkampf über 5000 und 10.000 Meter – und wurde als "Held von Augsburg" gefeiert.

i
Foto: Fred Schöllhorn (Archivbild)
Foto: Fred Schöllhorn (Archivbild)

Ludwig Müller, der "Held von Augsburg".

Haller, Fink, Müller: Noch so ein Held also, den das Rosenaustadion hervorgebracht hatte.

"Ich habe einfach gespielt."

Von der Kabine geht es weiter auf die Haupttribüne. Der Hausmeister sperrt mehrere Türen zu einem rotgrauen Kasten auf, der aussieht wie ein Container, der in einen anderen Hafen verschifft werden soll. Dahinter verbergen sich Räume, die auch Fink fremd sind. Hier saßen Radiojournalisten in einer winzigen Parzelle, aus der sie über ein Spiel berichteten. Gleich nebenan überwachte die Stadionleitung die Wettkämpfe und der Stadionsprecher nutzte für seine Durchsagen Technik, der man ihr Alter heute ansieht.

Alwin Fink geht die Treppen hinab und dann zum Ausgang. Der Kapitän, der Winni, wie ihn die Fans nannten, verlässt sein Stadion. Das Stadion von Ludwig Müller, Helmut Haller und den vielen anderen. Das Stadion der Fans.

Nur eine letzte Frage noch: Ob er bestimmte Rituale entwickelt habe, während seiner Zeit als Fußballer? "Darüber habe ich nicht nachgedacht", sagt Fink. "Ich habe einfach gespielt."

Nächste Story

Ortsbesuch im Rosenaustadion: Ein Fußballheld kehrt zurück