Der 21.000 Einwohner große Ort Haßloch in Rheinland-Pfalz gilt als durchschnittlichste Gemeinde Deutschlands. Wegen dieser Durchschnittlichkeit hat die Gesellschaft für Konsumforschung die Ortschaft 1986 zum Testgebiet für neue Produkte auserkoren. Anders gesagt: Schafft es ein Konsumgut in Haßloch, klappt das auch im Rest der Republik. Torsten Lieberknecht, Trainer des Bundesligisten Darmstadt 98, ist in eben jenem Haßloch aufgewachsen. Und vielleicht erklärt das in Teilen das Wesen des 50-Jährigen.
Der wirkt im Glitzergeschäft Bundesliga so bodenständig, dass es schon fast wieder deplatziert erscheint. Lieberknecht selbst befeuert dieses Gefühl noch selbst, stilisiert sich zum Außenseiter von Berufs wegen. Das war schon bei seiner ersten Bundesliga-Station mit Braunschweig so. Mit Darmstadt witterte er erneut eine systematische Benachteiligung. Die Bundesliga sei wie ein Club-Urlaub, zu dem seit 25 Jahren die gleichen Personen fahren: "Und dann kommen irgendwann ein paar neue Gäste dazu, und dann wird halt geguckt: Wie benehmen die sich? Was ziehen die an?"
In Lieberknechts Welt sind alle Gegner Riesen – auch der FC Augsburg
In Lieberknechts Welt sind alle, auch der nächste Gegner FC Augsburg, Riesen. Doch gelingt Lieberknecht beim Spiel in Augsburg am Samstagnachmittag ein Sieg, könnte das die Jobaussichten für seinen Kollegen Enrico Maaßen auf der Augsburger Bank deutlich verschlechtern. Zur Wahrheit gehört aber auch: Bislang hat Lieberknecht in der Bundesliga deutlich öfter verloren als gewonnen. Seit Kurzem ist er sogar Inhaber eines zweifelhaften Rekords: Die Pleite gegen Stuttgart Ende September war seine 25. Erstliganiederlage – im 39. Spiel. Kein anderer Trainer in der Bundesligageschichte hat diese Marke so schnell aufgestellt.
Die eigentliche Sensation war jedoch sicher, dass Lieberknecht sowohl Braunschweig als auch Darmstadt überhaupt zu Erstligisten machte. Beide Teams wären von ihrem Budget her keineswegs die natürlichen Aufsteiger gewesen. Lieberknecht steht auch dafür, aus wenig sehr viel zu machen, stieß damit aber in der Bundesliga an Grenzen.
Die Familie Lieberknecht nahm ukrainische Flüchtlinge auf
Dass Lieberknecht aber auch über den Tellerrand des Fußballs hinausblickt, zeigt Folgendes: Im März 2022 nahm seine Familie – mit seiner Frau hat er drei Kinder – eine ukrainische Frau und ihren Sohn in ihr Haus auf, die wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine geflohen waren. Das ist dann doch alles andere als durchschnittlich.