Gerade einmal knapp 60 Kilometer sind es, die die Städte Augsburg und München trennen – fußballerisch liegen hingegen Welten zwischen den beiden Klubs. Hier der FC Augsburg, für den es auch im zwölften Bundesliga-Jahr nur um den Klassenerhalt geht – dort der Rekordmeister, für den die Bundesliga längst nicht mehr genug ist. Angesichts dieser Vorzeichen hatten viele erwartet, dass FCA-Trainer Enrico Maaßen gegen die Münchner eine eher defensive Aufstellung aufs Feld schicken würde. Das Gegenteil war der Fall: Maaßen schickte exakt dieselbe Mannschaft aufs Feld, die beim 1:0-Sieg in Bremen die bis dato beste Saisonleistung gezeigt hatte. Bedeutet: Mit Ermedin Demirovic, Florian Niederlechner und Mergim Berisha standen drei Stoßstürmer auf dem Feld, dazu kam mit André Hahn ein weiterer, vornehmlich offensiver und körperlich präsenter Angreifer hinzu. Es war eine mutige Aufstellung, die belohnt wurde: Mit 1:0 siegte der FC Augsburg gegen die Bayern, Torschütze beim vierten Augsburger Erfolg gegen den chronischen Favoriten war Neuzugang Mergim Berisha.
Der Druck im Vorfeld war trotz des 2:0-Siegs gegen Barcelona unter der Woche klar auf Münchner Seite. Der FC Bayern war mit dem Druck von drei Liga-Unentschieden in Folge nach Augsburg angereist. Wie wichtig ein Sieg gegen den FCA gewesen wäre, hatte Bayerns Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn direkt nach Barcelona unter der Woche betont: "Der Sieg ist besonders viel wert, wenn wir jetzt nachziehen. Das heißt: Wir müssen jetzt in Augsburg gewinnen." Statt mit einem weiteren Erfolg geht der Serienmeister nun mit der ersten Saisonniederlage und vier sieglosen Spielen in Folge in die Länderspielpause. Die Krise scheint angekommen zu sein bei dem so furios in die Saison gestarteten Titelfavoriten.
Der FCA begann mit offensivem Pressing
Bayern-Trainer Julian Nagelsmann wechselte auf drei Positionen: Matthijs de Ligt kam für den verletzten Lucas Hernandez, Nouassar Mazraoui ersetzte Benjamin Pavard und Leon Goretzka verdrängte Marcel Sabitzer auf die Bank. Die deutlich aktivere Mannschaft in einer rasanten Startphase war aber der FC Augsburg. Schon nach zwei Minuten hatte Niederlechner eine gute Einschusschance, wurde aber geblockt. Bei einem Konter wenig später verhinderte nur ein Missverständnis von Niederlechner und Rexhbecaj eine bessere Position. Auch bei der dritten guten Aktion war Augsburgs Nummer 7 beteiligt, übersah bei seinem Schuss aber den besser postierten Berisha (12.). Die Bayern-Spieler schienen überrascht vom offensiven Pressing der Gastgeber zu sein, teilweise schob der FCA alle Feldspieler bis über die Mittellinie hinaus. Auch die Hintermannschaft des FCA war zur Stelle: Keeper Rafal Gikiewicz zeichnete sich bei einem langen Ball auf Mané aus. Der Versuch des Senegalesen, den Torwart zu umkurven, misslang weil dieser den Ball mit einer Grätsche abfing (13.). Wenig später zeichnete sich der Schlussmann erneut aus, als er einen Schuss von Sané sicher hatte (16.).Die Zuschauer in der erstmals in dieser Saison ausverkauften WWK Arena sahen ein packendes Spiel mit vielen Torszenen – und einem FC Augsburg, der wie schon in der Vergangenheit geschehen, einmal mehr den Bayern wehtun wollte. Der FCA ging dafür ein hohes Risiko ein, stand in der letzten Reihe auf einer Linie mit den Bayern. Es war deutlich mehr Risiko als Nagelsmann einen Tag vorher in der Pressekonferenz erwartet hatte.
Der Druck kam aber weiterhin vor allem von Augsburg: Zuerst prüfte Niederlechner mit einem Schuss von der Strafraumgrenze Manuel Neuer (24.), nach einem Freistoß von Berisha brannte es lichterloh im bayerischen Fünfmeterraum, bis Gouweleeuw den Ball über die Latte (25.) jagte. Dass die Bayern aber bei jeder Situation gefährlich sein können, zeigte ein Doppelpass zwischen Musiala und Müller, bei dem der 19-Jährige frei vor Gikiewicz auftauchte, den Ball aber am Tor vorbei setzte. Die Partie war jetzt teilweise ein offener Schlagabtausch. Die bis dato größte Chance hatte Maxi Bauer nach einer schönen Kombination über Demirovic und Iago: Nach einer guten Flanke des Brasilianers kam der Verteidiger aus fünf Metern völlig frei zum Kopfball, setzte den Ball aber über den Kasten – eine das ging schon sehr in Richtung „Hundertprozentige“ (38.). Wenig später war Bauer erneut im Fokus – diesmal aber bei seiner Kernaufgabe in der Defensive. Artistisch klärte der Ex-Fürther eine Musiala-Hereingabe in der Luft vor dem einschussbereiten Goretzka (43.). Der FCA präsentierte sich bissig, gallig und so unangenehm wie zu besten Zeiten. André Hahn übertrieb es nur kurz vor der Halbzeit etwas mit seinem Foul gegen Alphonso Davies und war mit der gelben Karte noch gut bedient. In der Summe standen zur Pause neun Torschüsse auf jeder Seite und Augsburg war mindestens ebenbürtig.
Neuzugang Berisha bringt den FCA in Führung
Gerade als der FC Bayern mehr Spielkontrolle erlangte, fiel endlich das von den FCA-Fans ersehnte Tor: Einen langen Freistoß aus der eigenen Hälfte legte Iago in die Mitte des Strafraums ab. Dort war Neuzugang Mergim Berisha zur Stelle und schob unhaltbar für Neuer ein – es war die Führung und das erste Bundesliga-Tor des ehemaligen U21-Nationalspielers. Die Mienen der Bayern-Führung um Kahn und Salihamidzic auf der Tribüne versteinerten sich, während der Meister mit wütenden Angriffen reagierte Gikiewicz rettete erneut vor Müller (61). Nagelsmann brachte Serge Gnabry für Rechtsverteidiger Mazraoui. Der Druck der Bayern wurde nun immer größer und ein Tor der Münchner lag spätestens dann in der Luft, als Gikiewicz einmal mehr spektakulär mit einem Ausfallschritt den Schuss von Sané klärte (72.). Einmal mehr wurde der Pole zum Turm in der Augsburger Schlacht und rettet sogar per Flugkopfball vor der heranstürmenden Bayern-Offensive.
Die Krönung in der Leistung von Gikiewicz: In der Nachspielzeit hielt der Pole einen Kopfball aus kürzester Distanz, den Manuel Neuer abgegeben hatte – und die Arena stand nach dem zweiten Sieg in Serie Kopf. Es gibt schlechtere Stimmungslagen, um die Länderspielpause zu begehen. Mal in München nachfragen.