Herr Herrlich, drei Viertel der Saison ist vorbei, der FCA hat 29 Punkte. Wie lautet Ihr Zwischenfazit?
Heiko Herrlich: Trainer sind nie zufrieden, die wollen immer mehr erreichen und entwickeln. Es gab Spiele, in denen wir mehr hätten mitnehmen können, so wie in Freiburg zuletzt. Beim ersten Gegentor hatten wir ein Zweikampfverhalten, das man als solches nicht bezeichnen kann. Dass man in einem solchen Spiel gar nichts mitnimmt, ärgert einen natürlich. Vor allem, da wir es jetzt zwei Wochen mit uns herumtragen. Andererseits hatten wir in anderen Partien wie gegen Gladbach auch Glück, dass wir nicht in Rückstand geraten sind. Da muss man ehrlich sein. Es spricht aber für unsere Mentalität, dass wir immer dran bleiben oder zurückkommen. Es wäre natürlich schöner, wenn wir sechs, sieben Punkte mehr hätten. Wir haben ja als Ziel ausgegeben, den Klassenerhalt diesmal ein bisschen früher sicher zu haben.
Fühlen Sie sich trotzdem im Soll mit den Punkten?
Herrlich: Ich überlege immer, in welchen Bereichen noch mehr möglich ist. Philipp Lahm ist ein gutes Beispiel. Er wollte immer mehr. Er hatte diese Gier, dieses Top-Niveau immer zu halten, auch im Training. Du kannst als Trainer ein Leistungsklima schaffen, in dem sich die Spieler entwickeln. Dazu kommen drei Punkte, die jeder Spieler selbst mitbringt: Motivation, Konzentration und Befindlichkeit.
Können Sie als Trainer darauf Einfluss nehmen?
Herrlich: Ja, das versuchen wir. Es geht aber nicht von heute auf morgen, sondern eher nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Existiert die Spielidee, mit der Sie zum FCA kamen, noch? Oder mussten Sie die den Gegebenheiten anpassen?
Herrlich: Wir möchten immer, dass wir unser Spiel durchbringen. Man muss aber auch schauen, welche Stärken und Schwächen hat der Gegner. Wenn ich gegen Leipzig denke, ich muss die ganze Zeit attackieren, kann das gewaltig schief gehen. Da muss man sein Spiel auch mal anpassen. Es ist wichtig, taktisch flexibel zu sein. Ein gutes Beispiel ist Diego Simeone bei Atlético Madrid. Der spielt in Spanien immer oben mit, gegen Topmannschaften ist er aber auch mal mit 25 Prozent Ballbesitz zufrieden, wenn das die Erfolgsaussicht erhöht.
Gerade im spielerischen Bereich fehlt beim FCA aber noch die Entwicklung.
Herrlich: Da gebe ich Ihnen recht. Die Kritik ist berechtigt, wir haben noch immer viele unnötige Ballverluste, die mögliche Aktionen kaputt machen. Uns fehlen aber auch Spieler wie Alfred Finnbogason, der würde uns mit seiner Ruhe sehr guttun. Oder Fredrik Jensen, der ein starker Zwischenraumspieler ist.
Woran liegen die vielen Fehler? Fehlt letztlich die individuelle Qualität?
Herrlich: Wir haben Spieler mit richtig viel Qualität. Die Spieler müssen in jeder Sekunde eines Spiels Entscheidungen treffen und das bei einem Puls von 170 sowie in Drucksituationen, weil ja auch noch ein Gegner auf dem Platz steht. Dass die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit in allen Situationen hoch bleibt und so diese Fehler vermieden werden, daran arbeiten wir täglich.
Welche Überlegung steckte hinter der Aufstellung in Freiburg, als Sie wieder Benes vertrauten und Vargas, der zuvor eine starke zweite Halbzeit gegen Mönchengladbach spielte, auf die Bank musste?
Herrlich: Laszlo Benes hatte die Woche über gut trainiert und auch davor mit Ausnahme der Halbzeit gegen Gladbach keine schlechten Spiele gebracht. Zudem war ich sicher, dass er es nach der schwachen Leistung gegen Gladbach allen zeigen will. Ruben hat auch gut trainiert, aber er hatte auch eine Phase, in der ihm die Leichtigkeit etwas gefehlt hat. Es hat ihm gutgetan, mal etwas hinten dran zu stehen. Das gehört zu einer Entwicklung dazu.
Wie war es denn in der Halbzeitpause beim Gladbach-Spiel? Da haben sich die Spieler gegenseitig die Meinung gesagt, als Sie draußen waren. Lassen Sie die Mannschaft bewusst in den ersten Minuten alleine?
Herrlich: Ja, der Fußball hat sich weiter entwickelt. Wir besprechen uns zunächst im Trainerteam zusammen mit dem Videoanalysten und wählen Sequenzen aus, die man zeigen will. Aber auch früher habe ich die Mannschaft erst einmal vier, fünf Minuten alleine gelassen, damit die Spieler runter kommen und etwas trinken können. Die Spieler lösen in dieser Zeit manchmal Dinge auch selbst. Da kann es ruhig auch mal laut werden.
FCA-Coach Herrlich: Psychische Widerstandsfähigkeit wichtig
Wie sehen Sie Marco Richter? Könnte er häufiger hinter der Spitze spielen?
Herrlich: Er hat oft gute Aktionen. Aber eben auch immer wieder Ballverluste, nach denen die ganze Mannschaft 50, 60 Meter zurücklaufen muss, um das auszubügeln. Es hat sich schon verbessert, aber auf diesem Weg muss er weiter arbeiten. Statt den einfachen Pass zu spielen, will er häufig etwas Besonderes machen.
In welche Richtung können Sie den FCA entwickeln?
Herrlich: Das große Ziel ist der Klassenerhalt. Das zweite Ziel ist, ein bisschen früher Ruhe zu haben als vergangenes Jahr. Das ist weiterhin möglich. Wir wollen an den Details weiter arbeiten, um spielerische Elemente und die Durchschlagskraft zu verbessern. Am Ende brauchst du aber die Punkte, denn Fußball ist und bleibt ein Ergebnissport. Es fragt niemand, ob du schön gespielt hast, wenn du abgestiegen bist.
Hatten Sie darum schon Sorgen um ihren Arbeitsplatz?
Herrlich: Ich empfinde immer noch große Dankbarkeit, dass ich nach meiner Profi-Karriere als Trainer arbeiten kann. Für mich hat es nie eine Rolle gespielt, ob ich eine U17, eine Regionalligamannschaft oder ein Bundesligateam trainiere. Mir geht es um das Trainersein. Darum, dass ich mit jungen Menschen arbeiten kann, die ich auf ihrem Weg unterstützen möchte. Wenn man im Profibereich arbeitet, muss man wissen, es gibt Kritik, wenn die Ergebnisse nicht stimmen. Aber wenn du dann anfängst, dir Sorgen zu machen, hast du etwas falsch verstanden, denn es hat dich niemand zu dem Job gezwungen.
Hatten Sie so ein dickes Fell gegen Kritik schon immer?
Herrlich: Das entwickelt sich im Laufe der Zeit. Seit ich mit 17 in Leverkusen Profi wurde, hatte ich kurze Phasen, in denen ich dachte: jetzt läuft es. In der Rückschau überwiegen die Zeiten, in denen du von Mitspielern, Trainern, Managern und auch von der Presse immer wieder hörst: du kannst das nicht und das nicht. So war meine Wahrnehmung. Das muss man akzeptieren und aushalten. Diese Form von Resilienz, psychischer Widerstandsfähigkeit, möchte ich den Spielern vorleben.
Gab es da in ihrer Karriere ein besonders einschneidendes Erlebnis?
Herrlich: Das war 1995 mein Wechsel von Gladbach nach Dortmund. Damals hatte ich die mündliche Zusage, wechseln zu dürfen. Daran konnte sich aber plötzlich niemand mehr erinnern und ich wollte mit dem Kopf durch die Wand. Mit der Erfahrung von heute würde ich das wohl anders machen. Ich bin schließlich für elf Millionen Mark verkauft worden und war in ganz Deutschland plötzlich der Buhmann, obwohl ich nur um mein Recht gekämpft hatte. Die sechs Wochen waren nicht schön. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt aufzuhören. Ich dachte einfach, was machen die mit mir, was schreiben die über mich als Mensch, ohne dass sie mit mir gesprochen haben. Damals habe ich gelernt, diese Kritik nicht mehr so nah an mich heranzulassen. Ich akzeptiere sie, aber Sorgen mache ich mir um andere Dinge.
Noch einmal, hatten Sie Sorge um ihren Arbeitsplatz beim FCA?
Herrlich: Ich liebe meine Arbeit hier und möchte sie solange wie möglich machen. Darum gebe ich jeden Tag mein Bestes. Das wissen die Verantwortlichen. Aber ich mache mir um mich keine Sorgen.
Umso wichtiger ist es, wenn der Geschäftsführer Sport hinter einem steht.
Herrlich: Das ist nicht selbstverständlich und hat mich natürlich gefreut. Stefan Reuter kann meine Arbeit am besten beurteilen, weil er bei fast allen Trainingseinheiten, Besprechungen und Sitzungen dabei ist. Es ist wichtig, sich auszutauschen. Stefan hat einen riesigen Erfahrungsschatz.
Herrlich: "Bin nach meiner Zahnpasta-Affäre ein gebranntes Kind"
Ist es für Sie ein Nachteil, in Ihrer Zeit beim FCA noch nie in einem vollen Stadion gespielt zu haben?
Herrlich: Die Zuschauer fehlen uns ganz klar. Gerade die Fans hier in Augsburg können der Mannschaft einen großen Schub geben. Diesen Vorteil gibt es jetzt nicht. Wir sind aber dankbar, dass wir unserer Arbeit nachgehen dürfen, wenn auch ohne Zuschauer. Natürlich bin ich hier im März vergangenen Jahres angetreten und habe gedacht, wir haben in meinem ersten Heimspiel die Hütte voll und überrennen Wolfsburg, das drei Tage zuvor gegen Donezk gespielt hat. Ich hatte mich auf das Publikum gefreut, dann kam Corona.
Hätten Sie auch von der Stadt schon gerne mehr gesehen?
Herrlich: Natürlich. Aber in dieser Zeit ist man sehr vorsichtig. Wir sollen Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Und daran halte ich mich. Niemand möchte das Virus in das Team tragen. Außerdem bin ich nach meiner Zahnpasta-Affäre im ersten Quarantäne-Trainingslager ein gebranntes Kind.
Hat Sie dieser Fauxpas in den Umgang mit den Medien vorsichtiger gemacht?
Herrlich: Es war ein Fehler und ich stehe dazu. Ich bin danach offensiv mit dem Thema umgegangen. Den Shitstorm mussten wir ertragen. Was mich gefreut hat: Die Leute auf der Straße haben mich nie persönlich verhöhnt. Da bekam ich eher Zuspruch und Verwunderung, was aus der Geschichte gemacht wurde.
Es sieht danach aus, dass so ein Trainingslager vom 14. bis 26. April wieder bevorsteht. Was halten Sie davon?
Herrlich: Es sind kluge Überlegungen, auch wenn ich natürlich lieber in meiner Wohnung in Göggingen übernachten würde. Das Risiko einer Ansteckung würde durch eine solche Maßnahme weiter minimiert. Wenn in diesem Zeitraum mit der englischen Woche eine Mannschaft für einen längeren Zeitraum in Quarantäne gehen müsste, gäbe es kaum Spielraum für Verlegungen. Die letzten beiden Spieltage sollen schließlich zum selben Zeitpunkt parallel stattfinden. Aber eines kann ich Ihnen versprechen, wenn es zu so einem Trainingslager kommen sollte: Ich werde genug Zahnpasta und Hautcreme dabei haben. (lacht)
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