Es sind rund 20 Minuten zwischen dem FC Augsburg und RB Leipzig gespielt, als das Fluchttor vor dem M-Block geöffnet wird. Mehrere Dutzend Augsburger Ultras marschieren in den Innenraum. Links neben dem Tor von Finn Dahmen legen sie ein rot-grünes Banner über die LED-Werbebanden. „Nein zu Investoren in der DFL“ steht darauf in weißen Buchstaben. Rot-Grün-Weiß – die Farben ihres Klubs. Ein Klappstuhl, der im Weg steht, fliegt aufs Feld. Und eine Handvoll Tennisbälle. Die Fans skandieren Schlachtrufe. Sie protestieren gegen den geplanten Investoren-Einstieg in die Deutsche Fußball-Liga (DFL), bleiben aber hinter der hüfthohen Werbebande.
Fan-Protest: Schiedsrichter Benjamin Brand bekommt zuerst gar nichts mit
Es geht alles so gesittet zu, wenn man davon in diesen Tagen beim Protest der aktiven Fan-Szenen sprechen will, dass Schiedsrichter Benjamin Brand erst gar nichts davon mitbekommt. Erst nach ein, zwei Minuten unterbricht Brand. Der Stuhl und die Tennisbälle werden eingesammelt, die Fans rollen ihr Banner ein und verlassen den Innenraum. Während am vergangenen Wochenende im Berliner Olympiastadion die Zweitliga-Partie Hertha gegen den HSV insgesamt 32 Minuten unterbrochen war und am Samstag in der ersten Halbzeit beim Spiel Union gegen Wolfsburg (1:0) über 20 Minuten nachgespielt werden musste, war in Augsburg der Spuk nach wenigen Minuten vorbei.
„Ich habe mich gewundert, dass der Schiedsrichter nicht früher unterbrochen hat“, erklärt Michael Ströll rund zwei Stunden später in der Mixed-Zone der WWK-Arena. Der alleinige Geschäftsführer des FC Augsburg freut sich nicht nur über das 2:2 seiner Mannschaft gegen Leipzig, sondern ist auch sehr zufrieden damit, den Fan-Protest so kanalisiert zu haben.
FCA bekommt einen Tipp und sucht das Gespräch mit seinen Ultras
Vor ein paar Tagen war durchgesickert, dass die Augsburger Ultras gegen den von ihnen so ungeliebten Marketing-Klub des Brauseherstellers Red Bull erstmals auch eine Unterbrechung des Spielgeschehens planten. Der FCA suchte daraufhin das Gespräch mit den Ultras. „Wir haben mitbekommen, dass sie sich entschieden haben, jetzt auch zu protestieren und das zu intensivieren und haben in den letzten Tagen den Dialog gesucht“, beschreibt Ströll den Augsburger Weg. Man habe dann eine vernünftige Lösung mit der aktiven Fan-Szene gefunden, wie man einen deutlich sichtbaren Protest zulassen könne.
Geeinigt hat man sich auf das kontrollierte Betreten des Innenraums, was normalerweise verboten ist. „Für uns stand das Thema Sicherheit aller Zuschauer, wie auch der Fotografen und Medienvertreter, die hinter dem Tor beheimatet sind, über allem“, sagt Ströll. „Bevor Leute unkoordiniert über den Zaun springen, wollten wir schauen, dass wir ein vernünftiges Miteinander hinbekommen.“
FCA-Geschäftsführer Michael Ströll findet den Protest legitim
Das ist aus seiner Sicht auch gelungen. Ströll: „Am Ende waren es zwei Minuten Spielunterbrechung. Das ist im Vergleich zu ganz vielen Standorten wenig gewesen.“ Für Ströll ist der Protest legitim: „Wenn es um solche Themen geht, ist es in Ordnung, wenn man sich als Fan-Szene da auch artikuliert. Ich hoffe, dass es heute trotzdem eine einmalige Geschichte bleibt.“ Ob sein Wunsch erhört wird?
Viele Protestplakate vor dem Spiel gegen Leipzig, aber auch Lösungsvorschläge
So oder so. Das vielschichtige Thema wird weiter akut bleiben. Das zeigte sich auch schon an den Protestplakaten der Ultras vor dem Spiel. „Wir lieben den Fußball – doch wir hassen, was aus ihm wird“, war zu lesen. Und dann, über den Block verteilt, die Kritikpunkte wie: „Entscheidungen im Sinne des Geldes“, „DFL-Investoreneinstieg“, „Video-Beweis“, „Berater-Gebühren“, „Spieler-Gehälter“, „Sport-Washing“, „Vereine im Besitz von Investoren“ oder „Intransparente Wahlen bei der DFL“.
Was die Augsburger Ultras am Samstag von vielen Protesten abhob: Sie formulierten auch mögliche Lösungen. „Ein anderer Fußball ist möglich – er muss nur gewollt werden“, stand da. Und gefordert wurden zum Beispiel "TV-Geld gerechter verteilen", „Nachhaltiges Wachstum statt schnelles Geld“, „50+1 ohne jeden Kompromiss“ oder „Transparente Wahlen bei der DFL“.
FCA würde sich offener Abstimmung über Investoren-Deal nicht verschließen
Gerader dieser Punkt wird jetzt auch wieder innerhalb der DFL diskutiert. Im Dezember war der Investoreneinstieg in geheimer Abstimmung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der 36 Profivereine beschlossen worden. Eine einzige Stimme hatte den Ausschlag gegeben. Unwidersprochen blieb bisher der Verdacht, dass diese Ja-Stimme von Hannover-96-Geschäftsführer Martin Kind kam – den der Klub aber beauftragt hatte, mit Nein zu stimmen. Sollte das stimmen, hätte Kind gegen die 50+1-Regel verstoßen.
Darum fordern jetzt einige Vereine eine Wiederholung der Abstimmung. Diesmal transparent. Dem würde sich der FCA nicht verschließen. „Aber das müsste erst juristisch geklärt werden“, sagt Ströll. Der FCA hatte schon im Dezember publik gemacht, dass er sich der Stimme enthalten hat. Dabei bliebe es auch bei einer neuen Abstimmung. Ströll missfällt, dass erst jetzt einige Klubs die Forderung erheben. „Jeder, der morgen nach einer Neuabstimmung ruft, warum hat der nicht vor sechs Wochen nach einer Neuabstimmung geschrien? Da muss man Populismus und Faktenorientiertheit miteinander vergleichen.“
Das Verhältnis der aktiven Fan-Szene zur Bundesliga ist oft sehr widersprüchlich. Im Großen auf der DFL-Ebene und im Kleinen im bilateralen Zusammenleben. Das sieht man auch beim FCA. Die Ultras, die im Stadion oft für prächtige Stimmung sorgen, die auch die Marketingstrategen der Bundesligisten gerne als Verkaufsargument nutzen, sind den Vereinen wichtig. Auch, weil sie sich oft im Namen des Vereines sozial engagieren. Allerdings beanspruchen sie Sonderrechte und nehmen sie sich auch. Zu ihrem Selbstbild gehört es auch, Regeln zu brechen. Dass der Verein dort nicht durchgreift, verstehen viele andere Stadionbesucher nicht.
FC Augsburg muss 100.000 Euro Strafe zahlen
Zuletzt wurde der FCA vom DFB zu einer Strafe von fast 100.000 Euro verdonnert, weil die FCA-Ultras bei drei Spielen Pyrotechnik abgebrannt hatten. „Nach Ende der Coronaeinschränkungen sind wir jetzt mit unseren Strafen bei über 250.000 Euro“, sagt Ströll. „Das trifft uns empfindlich. Das Geld könnte man definitiv woanders besser einsetzen.“ Doch der Dialog darüber ist schwierig. Ströll: „Da trifft ein Stück weit Ideologie auf Sachargumente, und da kommst du nicht zu einem gemeinsamen Nenner. So ehrlich muss man sein.“
Ähnlich kompliziert ist es auch mit den verschiedenen Inhalten der im M-Block gezeigten Banner. Mit „Bullenschweine raus aus den Stadien“ thematisierten die Fans zum Beispiel gegen die Bayern mit drastischen Worten ihren derzeit auf Frosttemperaturen abgekühltes Verhältnis mit der Polizei. Der FCA verurteilte das Statement, versucht zu vermitteln.
Kontroller der Banner will der FCA vermeiden
Eine Kontrolle der Banner im Vorfeld durch den Verein wäre eine immense Eskalationsstufe im Verhältnis zu den Ultras. Darum will Ströll das unbedingt vermeiden. „Grundsätzlich sind wir bisher gut damit gefahren, Meinungsfreiheit zu tolerieren. In Augsburg wurde dabei selten übers Ziel hinausgeschossen. Das tolerieren wir und honorieren wir ein Stück weit. Aber sollten solche Vorfälle öfter vorkommen, müssen wir irgendwann handeln.“