Normalerweise hätte Daniel Baier, 35, nicht so viel Zeit, sich um seinen Garten zu kümmern. Normalerweise würde der Kapitän des FC Augsburg mit seinem Team gerade in der Bundesliga um den Klassenerhalt kämpfen. Würde man nach dem Heimspiel gegen den SC Paderborn und vor dem Auswärtsspiel am Osterwochenende bei Hertha BSC eine Zwischenbilanz ziehen, ob der Trainerwechsel weg von Martin Schmidt hin zu Heiko Herrlich den erhofften Umschwung gebracht hätte. Doch was ist in diesen Tagen der Corona-Epidemie normal?
Homeschooling und Kinderbetreuung stellen Familie Baier vor Herausforderungen
Die Bundesliga ist vorerst bis zum 30. April ausgesetzt und der Alltag durch die Ausgangsbeschränkungen reglementiert. Das gilt auch für Baier. Doch der versucht, das Beste aus der Situation zu machen. "Die Kinder sind lieb, die Tage fast zu kurz, man macht vieles, was sonst liegen bleibt." So schlüpft Baier derzeit nicht in die Rolle des defensiven Mittelfeldspielers, sondern in die des Gärtners und Lehrers. Lange wohnte die Familie Baier mitten in der Stadt, jetzt lebt die vierköpfige Familie in einem Haus. Baier hat einiges zu tun. Etwa Laub rechen oder Rasen mähen. Auf dessen Pflege legt der Fußball-Profi viel Wert. "Als Gärtner bin ich zwar kein Experte, aber mein Rasen ist in Top-Qualität", sagt er.
Ansonsten muss er sich wie alle anderen einschränken. Baier akzeptiert die tiefen Einschnitte in die Persönlichkeitsrechte, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, und verbringt die meiste Zeit zu Hause: "Ich lerne in dieser Phase zu schätzen, was es bedeutet, wenn man einkaufen, in der Stadt Kaffeetrinken oder sich mit Freunden treffen kann. Man lernt Kleinigkeiten wieder zu schätzen."
Wie bei anderen Familien stellte die Schließung der Schulen und Kindergärten den Alltag der Baiers auf den Kopf. Die fünfjährige Zoë Elea geht noch in den Kindergarten. Ob sie im Sommer eingeschult wird, oder der Übertritt um ein Jahr verschoben wird, ist wie bei ganz vielen Familien noch nicht sicher.
Die elfjährige Louisa besucht die sechste Klasse im Gymnasium. Das Homeschooling hat auch Familie Baier vor Herausforderungen gestellt. Baier erzählt: "Sie hat jeden Tag Unterricht per Video und bekommt Hausaufgaben. Das ist intensiv und viel, aber es klappt gut. Ich arbeite mich gerade wieder in Mathe ein, Dezimalzahlen in Brüche umrechnen – da bin ich noch eine Hilfe."
Vom normalen Trainingsalltag ist Daniel Baier noch weit entfernt
Doch jetzt sind erst einmal Osterferien. Und Baier kann sich wieder voll auf seinen Beruf konzentrieren. Den geht er seit rund zwei Wochen mit seinem Team wieder auf dem Trainingsplatz nach. Dass der FCA als einer der ersten Klubs vom individuellen Hometraining auf das Kleinstgruppen-Konzept übergegangen ist, hat dem Verein Kritik eingebracht. Ab dieser Woche arbeiten aber fast alle Bundesligisten in diesem eingeschränkten Modus.
Baier ist Angestellter des Vereins, er geht seiner sportlichen Tätigkeit nach den Vorgaben seines Arbeitgebers nach. Und ist froh, wieder auf dem Rasen trainieren zu können. Wenn auch unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen und in Kleinstgruppen. Baier beschreibt: "Wir wärmen uns auf und spielen Pässe – immer mit Abstand. Dann gibt es kleine Wettbewerbe mit Flugbällen, Flanken und Torschüssen. Zum Beispiel: Welches Zweierpärchen schießt die meisten Tore? Dazu kommen viele Läufe. Die Einheiten sind kurz, aber knackig."
Doch diese Übungseinheiten ohne Zweikämpfe, ohne Spielformen in Mannschaftsstärke sind vom normalen Trainingsalltag noch weit entfernt. "Es ist schwer zu sagen, wie viel man im Vergleich zum Mannschaftstraining verliert", sagt Baier. Dass der neue Trainer Herrlich in diesem Umfeld einen denkbar schlechten Start hat, bedauert Baier: "Es waren nur vier, fünf Tage in Normalität, seitdem halten wir uns an die Distanz und sind nur über das Nötigste im Austausch. Er will in jedem Training den Wettkampfgedanken und Siegeswillen spüren, ob bei Läufen oder Torschüssen in Gruppen." Zu taktischen Änderungen könne er noch nicht viel sagen.
Baier: "Ich habe schon sämtliche Serien durch, weil kein Sport läuft"
Dass es nach dem 0:2 beim FC Bayern überhaupt zur Freistellung Schmidts kam, überraschte Kapitän Baier. "Es gab keine Gespräche, in denen sich das angedeutet hätte. Ein Trainerwechsel gibt mir immer ein schlechtes Gefühl. Weil er bedeutet, dass wir als Mannschaft mit dem Trainer die Ziele nicht erreicht und die Vorstellungen des Vereins nicht erfüllt haben."
Eigentlich wollte der FCA in dieser Saison mit Schmidt und einem personell verstärkten Kader nichts mit dem Abstieg zu tun haben. Doch nach nur einem Sieg aus den vergangenen neun Spielen vor der Zwangspause muss der FCA um den Klassenerhalt bangen. Neun Spiele stehen noch aus. Wann die gespielt werden, ist nicht sicher. Baier fühlt sich trotz der extremen Trainingsbedingungen dafür bereit.
Dass die Bundesliga nur mit Geisterspielen zu Ende gespielt werden könnte, ist für ihn keine Frage: "Natürlich sind das Welten Unterschied zu einem vollen Stadion, aber wir müssen die Gesamtsituation sehen. Jeder Mensch muss sich und sein Leben einschränken, diese Situation muss man annehmen."
Er glaubt auch, dass die Fußball-Fans von der Fortsetzung der Liga, in welcher Form auch immer, in dieser gesellschaftlichen Ausnahmesituation profitieren würden: "Es wäre eine schöne Abwechslung für die Menschen in Deutschland, wenn sie wieder Fußballspiele im Fernsehen verfolgen könnten. Das fehlt vielen. Ich habe schon sämtliche Serien durch, weil kein Sport läuft."
Das sagt Daniel Baier zu einem möglichen Gehaltsverzicht
Baier, einer der dienstältesten Profis der Bundesliga, ist sich sicher, dass sich der Fußball nach der Corona-Krise verändern wird. Er sieht darin aber auch eine Chance: "Bei allem Geld, das viele Vereine jetzt verlieren, und den Existenzsorgen, die Krise kann einen positiven Nebeneffekt haben. Letztes Jahr haben wir uns alle aufgeregt über 100-Millionen-Transfers und explodierende Gehälter. Vielleicht gibt es solche Szenarien erst mal nicht mehr und der Fußball kommt zurück zu mehr Normalität."
Baier ist froh, dass er seine berufliche Situation bereits im Januar geklärt und seinen Vertrag um ein Jahr bis 2021 verlängert hat. Seit 2008 spielt er – mit einer halbjährigen Unterbrechung – in Augsburg, absolvierte bisher 351 Pflichtspiele für den FCA, davon 270 in der Bundesliga und erzielte sechs Tore. Er sagt: "Die Situation ist beruhigender, als wenn ich noch ohne Vertrag für die kommende Saison wäre. Wir waren uns zwar immer einig, dass es weitergeht, solange es für beide Seiten Sinn ergibt. Aber natürlich wäre die Situation anders, wenn ich noch nicht unterschrieben hätte. Der Verein hat jetzt nämlich erst mal andere Sorgen."
Die sind gravierend, wie bei allen anderen Vereinen auch. Doch noch hat der FCA keine finanziellen Einschnitte vornehmen müssen. Baier und seine Kollegen wären auf jeden Fall bereit zu helfen, notfalls wohl auch mit einem Gehaltsverzicht: "Wir sind bekannt dafür, dass wir als Verein zusammenstehen und die Dinge intern besprechen. Sicher auch dieses Thema. Wir haben als Mannschaft klar signalisiert, dass wir den Verein unterstützen wollen – in welcher Form auch immer. Der FCA hat überragende Aktionen gestartet für Leute, die gerade Hilfe brauchen."
Baier weiß, dass die Corona-Krise noch lange nicht ausgestanden ist, doch er bleibt optimistisch, will mit seiner positiven Einstellung auch ein Vorbild sein und Zuversicht ausstrahlen. Deshalb schmiedet er Pläne für die Zeit nach dem Coronavirus. Die Zeit ohne Ausgangsbeschränkungen. "Ich freue mich am meisten, wenn meine Eltern wieder zu Besuch kommen können, wenn ich meine Freunde treffen oder mit meiner Frau essen gehen kann. Vieles andere ist nicht so wichtig, das zeigt mir die aktuelle Phase. Und natürlich freue ich mich auch auf Fußball im Stadion oder live im Fernsehen." Wann immer das sein wird.
Über alle Entwicklungen in Bezug auf das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.
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