Die Ernährung spielt im Bereich des Profisports eine immer größere Rolle. Ernährungsberatung gehört auch in der Bundesliga längst zum Standard. Sie persönlich beschäftigen sich ja schon lange mit diesem Thema und ernähren sich seit 2014 vegan. Warum?
Andreas Luthe: Ethische Bedenken hatte ich schon immer, wenngleich ich Fleisch und Fisch gegessen habe, weil ich es bei einer ausgewogenen Ernährung als Leistungssportler für essenziell gehalten habe. Als ich erkannt habe, dass dem nicht so ist, habe ich immer mehr auf Fleisch und Fisch verzichtet, später auch auf Milchprodukte. Es war ein langsamer Prozess, um zu sehen, ob es mit meinem Job als Profi-Fußballer klappt. Es hat funktioniert.
Sie waren damals Stammtorhüter beim VfL Bochum. Damit hatte es nichts zu tun, oder?
Andreas Luthe: Ich möchte mich persönlich immer verbessern. Daher habe ich mir die Frage gestellt, was kann ich für meinen Körper tun, um dauerhaft fit zu sein, auch für die Zeit nach dem Fußball.
Wie kommt man da auf vegane Ernährung?
Andreas Luthe: Ich mag das Wort vegan gar nicht so. Vegan ist allumfassend, da dürfte ich mich auch nicht in ein Auto mit Ledersitzen setzen. Das halte ich für fragwürdig. Mir geht es primär um pflanzliche Ernährung. Jede Mutter sagt, iss Gemüse, das ist gesund. Und sie haben recht: Es ist gesund. Man muss nur für sich persönlich die richtige Mischung finden. Es ist wie bei einer Diät. Sie muss an den Alltag angepasst sein.
Geht das im Alltag eines Hochleistungssportlers?
Andreas Luthe: Ja, das funktioniert sehr gut. Ich habe vier Kilo abgenommen, wiege jetzt bei 1,95 Meter noch 86 Kilo. Und laufe immer noch aufrecht. (Lacht)
Wie halten Sie das durch, wenn sie mit dem FCA ins Trainingslager gehen oder am Wochenende ins Hotel?
Andreas Luthe: Im Hotel essen wir an Buffets. Da gibt es Salate und viel Gemüse. Es ist immer etwas für mich dabei.
Müssen Sie dann das Gemüse oder die Salate besonders kombinieren, um alle Nährstoffe abdecken zu können oder um das tierische Protein zu ersetzen?
Andreas Luthe: Man muss nicht in jeder Mahlzeit alle Nährstoffe gleichzeitig aufnehmen. Vielmehr schaue ich, ob ich in einer Woche variantenreich gegessen habe. Wir sind einmal in der Woche im Hotel, ich kann also an den anderen sechs Tagen für mich selbst entscheiden, was ich koche. Also ist das kein Problem.
Seit dem spektakulären 3:4 gegen Borussia Dortmund mit dem dramatischen Ende ist nicht nur der FCA in aller Munde, sondern auch Sie. Wie haben Sie den Freistoß in der 96. Minute erlebt?
Andreas Luthe: Es zeigt, wie Gegentore oft an verschiedenen Seilen hängen. Der Ball kommt aus größerer Distanz, wir stellen eine relativ große Mauer, die sich aber auflöst. Das Foul im Vorfeld ist auch nicht ideal. Ich mache einen Schritt in die andere Richtung. Wir haben als Team einiges nicht richtig gemacht. Eigentlich ist es nur eines von vier Gegentoren. Das Bittere ist, dass es genau das Entscheidende in der Nachspielzeit war.
Es ist danach auch Kritik an Ihnen persönlich geäußert worden. Kicker-Chefredakteur Carlo Wild zum Beispiel hat in der Talksendung Doppelpass gesagt, es sei ein klarer Torwart-Fehler gewesen. Sie erhielten im Kicker auch die Note fünf.
Andreas Luthe: Das von der Kicker-Note und vom Doppelpass höre ich zum ersten Mal. Sonntags gucke ich maximal den Tatort. Es ist mein Job, Gegentore zu verhindern, tue ich das nicht, kann es Kritik geben.
Aber auch Trainer Baum hat Ihnen einen „Anteil am Tor“ zugeschrieben.
Andreas Luthe: Wir haben direkt nach dem Spiel darüber gesprochen und haben das analysiert.
Sie machten aber bei dem Freistoß einen Schritt in die andere Richtung…
Andreas Luthe: Weil ich den Ball sehen wollte. Der Ball geht letztendlich durch die Mauer. Rani (Khedira) sagt auch: Wenn ich stehen bleibe, bekomme ich den Ball ins Gesicht. Es war eine Verkettung von mehreren Dingen.
Wie arbeiten Sie Gegentore generell auf?
Andreas Luthe: Ich lasse das ganze Spiel Revue noch einmal passieren und überlege, was ich persönlich besser machen kann. Das mache ich auch, wenn mir von außen keine Beteiligung an einem Gegentor gegeben wird. Wenn nach dem Sieg gegen Freiburg (4:1) alle glücklich sind, verbringe ich trotzdem ein paar Tage mit Gedanken über das Spiel. Genauso wie nach dem 1:1 gegen den FC Bayern.
Sie hatten nach der Vorbereitung eine ganz schwierige Situation beim FCA, als Manuel Baum Fabian Giefer zur Nummer eins machte.
Andreas Luthe: Es war natürlich hart. Aber ich habe über mehrere Wochen alles gegeben, war in einer sehr guten Verfassung und hatte mir persönlich nichts vorzuwerfen. Dies hat auch die Art und Weise der Kommunikation des Trainers gezeigt. Deswegen musste und konnte ich das akzeptieren und ging es für mich weiter.
Sie erwecken den Eindruck, dass Sie mit solchen, gerade beim Torhüter, extremen Drucksituationen gut umgehen können. Anderen Spielern gelingt das nicht. Was machen Sie anders?
Andreas Luthe: Meine Strategie lautet: Der Fußball ist nicht der Mittelpunkt der Welt. Es mag sein, dass es für den einen oder anderen so ist. Aber das halte ich für gefährlich. Ich habe mir bewusst Dinge gesucht, die ich auf die gleiche Stufe stelle. Fußball ist mein Beruf, dem gehe ich mit voller Leidenschaft nach. Aber für jeden Privatmann gibt es außerhalb des Berufes ein Privatleben. Das habe ich auch. Viele Menschen würden wahrscheinlich sagen, das Leben außerhalb des Jobs ist viel wichtiger. Wenn Fußballer das sagen, ist es immer etwas Besonderes. Das verstehe ich nicht ganz.
Ein wichtiges Projekt ist der Verein „In safe hands“, den Sie 2015 mit Jonas Ermes gegründet haben. Dort fördern Sie die Integration besonders ausländischer Kinder durch den Sport und vermitteln auch politische Bildung an Schulen für eine offene Gesellschaft. Wie weit sind Sie da noch involviert?
Andreas Luthe: Es läuft gut. Aus der ursprünglichen Zwei-Mann-Idee ist eine ausgewachsene Organisation mit insgesamt zehn Mitarbeitern geworden. Einige sind fest angestellt, einige arbeiten auf 450-Euro-Basis. Jonas leitet „In safe hands“ von unserem Büro in Köln aus. Ich betreue mit unserem hiesigen Projektleiter die Projekte in Augsburg. Daher habe ich kürzlich noch Flyer verteilt.
Sie gelten als der etwas andere Fußball-Profi, haben viele andere Interessen neben dem Fußball. Gerade darum ist Ihre Meinung beim FCA gefragt. Sie sind im Mannschaftsrat und trinken zum Beispiel vor jedem Spiel mit Philipp Max Kaffee.
Andreas Luthe: Das haben wir einfach eingeführt, weil so ein Tag im Hotel relativ lang ist. Anstatt mehrere Stunden im Bett zu liegen, gehen wir in die Lobby, trinken einen Kaffee und reden auch über Dinge, die nicht nur den Fußball betreffen.
Gerade auf junge, aufstrebende Spieler wie Max prasselt vieles ein. Können sie Ihnen Tipps geben, wie sie damit umgehen können?
Andreas Luthe: Wenn meine Meinung gefragt ist, werde ich die kundtun. Aber ich dränge mich nicht auf. Ich habe Erfahrung, weiß gewisse Dinge einzuschätzen. Letztendlich muss aber jeder seinen eigenen Weg finden in einem Geschäft, das nicht einfach ist.
Ist es für die jungen Spieler heute schwieriger, sich zu entwickeln?
Andreas Luthe: Ich bin damals beim VfL Bochum eigentlich so reingerutscht, bin über die A-Jugend und die U23 in den Profibereich gekommen und habe mit 22 meine ersten drei Bundesligaspiele gemacht. Ich war damals relativ entspannt, habe mir immer gesagt, zieh es durch und schau, wie weit du kommst. Diese Entspanntheit würde ich mir bei dem einen oder anderen jungen Spieler wünschen, weil nicht alles immer von heute auf morgen geht.
Sie haben zehn Jahre beim VfL Bochum gespielt. Warum sind Sie dann mit 28 zum FCA gewechselt?
Andreas Luthe: Wir sind 2009 in meiner ersten Profi-Saison aus der Bundesliga abgestiegen. Und ich wollte unbedingt mit meinem Verein wieder aufsteigen. Ich war lange Kapitän, kannte von der Putzfrau bis zum Präsidenten jeden. Der VfL war mein Verein. Deshalb bin ich ewig geblieben, aber irgendwann musste ich erkennen, das mit dem Aufstieg wird ganz, ganz schwer. Es fiel mir schwer, loszulassen. Aber ich wollte es bei diesen drei Bundesligaspielen nicht belassen.
Warum dann der FCA?
Andreas Luthe: Es gab immer wieder Möglichkeiten, in die Bundesliga zu wechseln. Aber hier fühlte es sich an wie beim VfL Bochum, aber eben nur in Bayern.
Sie haben aber wieder warten müssen?
Andreas Luthe: Das war mir klar. Ich bin als guter Zweitliga-Torhüter hergekommen. Marwin fand ich richtig gut und solide, darum war es kein Problem, mich als Nummer zwei einzureihen. Seine Art war so, wie auch ich das Torwartspiel verstehe. Da muss ein ruhiger Typ hinten drin stehen, auf den sich die Jungs verlassen können. Du musst kein Feuerwerk abbrennen, sondern eine ruhige Art des Torwartspiels einbringen.
Leben Sie jetzt Ihren Traum als Bundesliga-Stammtorhüter?
Andreas Luthe: So pathetisch sehe ich es nicht. Meinen Traum leben hätte ich vielleicht mit 22 gesagt. Ich fühle mich hier total wohl und wollte hier auch ins Tor. Das habe ich bisher für drei Spiele in dieser Saison geschafft. Mein Vertrag läuft bis 2020. Wie zu Beginn meiner Zeit in Augsburg sage ich auch jetzt, dass ich so viele Spiele wie möglich machen will.
Zeigen Sie jetzt auch ihren Kritikern, dass Sie Bundesliga dauerhaft können?
Andreas Luthe: Das sehe ich ganz anders. Ich muss mit 31 keinem Kritiker irgendwas zeigen. Ich spiele, weil ich dieses Spiel liebe, weil ich es liebe, mit einem Team ein Ziel zu erreichen. Fußball reduziere ich nicht darauf, ob ich es jemandem zeigen kann, oder ob ich im Kicker eine Fünf oder eine Eins bekomme. Das ist mir egal.