Herr Reuter, können Sie derzeit angesichts der prekären Lage beim FC Augsburg noch ruhig schlafen?
Stefan Reuter: Es beschäftigt mich natürlich, aber trotzdem kann ich gut schlafen. Das ist ein Geschenk und war als Spieler schon so. Ein Spiel konnte noch so wichtig sein, es konnte noch so große Nervosität im Umfeld herrschen, wenn ich mich ins Bett gelegt habe, egal ob abends oder beim Mittagsschlaf vor dem Spiel, konnte ich immer gut einschlafen.
Wie verarbeiten Sie diesen Druck, der auf Ihnen persönlich lastet?
Reuter: Es ist ja nicht die erste schwierige Phase, die wir erleben. Von daher gehört es dazu. Natürlich ist der Druck jetzt extrem groß, es geht ja um sehr viel. Aber ich gehe optimistisch und positiv solche Dinge an. Früher bin ich in solchen Phasen locker Joggen gegangen. Das ist aber aufgrund meiner Gelenke nicht mehr so möglich. Jetzt gehe ich mal eine halbe Stunde Walken oder auf den Crosstrainer. Das tut gut und ich bekomme den Kopf frei.
Begeben Sie sich mit der Mannschaft in das von der DFL vorgeschriebene Corona-Quarantäne-Trainingslager bis zum Saisonende?
Reuter: Ja, weil ich wie immer ganz nah an der Mannschaft bleiben möchte. Ich bin bei den Mannschaftsbesprechungen dabei und sitze auch am Spieltag weiter auf der Bank. Wenn ich die Blase verlassen würde, wäre das nicht möglich. Ich denke, ich kann die Tage gut für Gespräche nutzen. Es ist ganz entscheidend, dass wir unseren Glauben und Zuversicht leben, dass wir den Klassenerhalt fix machen, am besten am Samstag gegen Bremen.
Das wird aber angesichts der Geisterspiele teamintern bleiben.
Reuter: Das sehe ich nicht so. Diese Stimmung soll man in ganz Augsburg spüren. Das kann eine Mannschaft beflügeln. Es wird ein heißes Spiel gegen Werder, aber mit einem Sieg können wir alles klar machen.
In Ihrer ersten Saison beim FCA haben Sie mit Markus Weinzierl so eine schwierige Phase schon einmal durchlebt. Kann man Verhaltensweisen übernehmen?
Reuter: Es ist ein Riesenvorteil, dass wir solch schwierige Phasen schon gemeinsam gemeistert haben. Das Verständnis innerhalb des Trainerstabs ist super und das ist ganz wichtig. Die Mannschaft spürt, dass die Überzeugung in die Qualität des Teams da ist.
Wird als Motivationshilfe noch einmal ein Video vom 3:1-Heimsieg am letzten Spieltag der Saison 2012/13 gegen die SpVgg Greuther Fürth gezeigt werden?
Reuter: Das ist nicht angedacht. Aber die Erfahrung, die man selbst bei dem einen oder anderen kniffligen Spiel gesammelt hat, kann man schon einfließen lassen. Die Spieler dürfen gar nicht erst beginnen zu zweifeln. Sie sollen sich auf ihre Aufgabe konzentrieren, auf das Training freuen und sich dabei die Sicherheit holen.
Was ist noch nötig?
Reuter: Es ist wichtig, dass sich die Spieler auch untereinander ein gutes Gefühl geben. Darauf wird es ankommen. Es steht keiner von uns auf dem Platz, die Jungs werden sich selbst helfen. Jeder ist immer auf seinen Nebenmann angewiesen, braucht ihn, damit er auch mal eigene Fehler ausbügelt. Es ist klar, dass wir kein fehlerfreies Spiel machen werden, aber wir werden geschlossen auf dem Platz stehen.
Führen Sie selbst auch Gespräche mit den Spielern?
Reuter: Die Mannschaftsbesprechungen macht natürlich der Trainer. Aber wenn wir so lange zusammen sind, spricht jeder mit jedem. Ich habe da von der ersten Sekunde an wieder einen sehr engen Austausch mit Markus, als wäre er nie weg gewesen. Wir machen uns gemeinsam Gedanken, wie wir das optimal mit der Mannschaft hinbekommen.
Hat sich Markus Weinzierl verändert?
Reuter: Er hat auch Erfahrungen gesammelt. Aber in der Zusammenarbeit ist es wie früher, sehr vertraut, sehr eng. Er bezieht das gesamte Team mit ein, er hört sich die Meinungen an, aber am Ende trifft er die Entscheidungen über Aufstellung und Taktik.
Warum gewinnt der FCA am Samstag gegen Werder Bremen?
Reuter: Weil wir die Qualität haben. Es gibt keine Garantie, aber ich bin guter Dinge.
Sky-Experte Didi Hamann sieht das anders. Er hat sich vor dem Stuttgart-Spiel festgelegt und gesagt: Der FCA verliert alle drei Spiele und steigt ab.
Reuter: Das ist ein gutes Omen. In den ersten sechs Jahren nach dem Aufstieg waren wir immer Abstiegskandidat Nummer eins oder zwei. Das dürfen die Experten weiter so tippen.
Warum ist der FCA in diese missliche Lage geraten?
Reuter: Weil wir in den vier Spielen gegen Schalke, Bielefeld, Frankfurt und Köln nur einen Punkt geholt haben. Gegen Stuttgart haben wir ein engagiertes Spiel gezeigt, die vielen Torchancen aber nicht genutzt. Du wirst nicht immer gleich belohnt, aber du darfst nicht aufstecken.
Sie haben drei Spieltage vor Saison-Schluss den Trainer gewechselt. Kritiker sagen, dieser Schritt hätte früher erfolgen müssen.
Reuter: Im Nachgang der Spiele gegen Schalke, Bielefeld, Frankfurt und Köln ist es leicht, davon zu sprechen. Aber: Wir hatten nach 27 Spieltagen 32 Punkte, waren in der Rückrundentabelle zu diesem Zeitpunkt Achter. Hätten wir trotz dieser Zwischenbilanz mit drei Siegen aus fünf Spielen den Trainer gewechselt, hätten viele mit dem Kopf geschüttelt.
Trotz Punktausbeute waren Sie mit der Spielweise nicht zufrieden.
Reuter: Dass wir mit der Art und Weise nicht einverstanden waren, das ist so. Aber wir haben intern gesagt, wir analysieren nach der Saison und überlegen, was wir verändern müssen. Speziell nach der ersten Halbzeit gegen Köln haben wir umgedacht. Mit der Körpersprache und dem vorherrschenden Geist in der Mannschaft war extrem gefährdet, es noch aus eigener Kraft zu schaffen.
Der Fokus liegt auf dem Bremen-Spiel, dennoch müssen sie sich mit einem Abstieg befassen.
Reuter: Wir beschäftigen uns jetzt nur mit Bremen.
Gelten bei einem Abstieg die Verträge?
Reuter: Beim FC Augsburg hat jeder Spieler einen Vertrag für die erste und zweite Liga. Jeweils mit angepassten Konditionen. Es ist schon immer so und es wird auch so bleiben.
Haben Sie die Befürchtung, Leistungsträger könnten den Verein nach einem Abstieg verlassen wollen?
Reuter: Nochmals. Damit beschäftige ich mich jetzt aktuell überhaupt nicht. Ich bin überzeugt, dass wir die Qualität haben, das zu meistern.
Wenn Sie am Saisonende analysieren, werden Sie Ihre Arbeit hinterfragen?
Reuter: Es ist doch normal, dass man sich immer hinterfragt, was man besser machen kann. Ich denke, wir haben in der gesamten Zeit einen richtig guten Job gemacht und waren, vor allem auch im Vergleich der Voraussetzungen von anderen Vereinen, sehr erfolgreich. Dass man sich nach einer Saison kritisch mit Themen auseinandersetzt und hinterfragt, halte ich für ganz wichtig. Ich spüre aber sehr große Lust, den FCA weiter zu begleiten.
Wie nah lassen Sie Kritik von außen an sich heran?
Reuter: Kritik ist nie schön. Jedem gefällt es, wenn er gelobt und gefeiert wird. Wichtig ist, selbstkritisch zu sein, in schwächeren Phasen den Kopf hochzunehmen und von seinem Handeln überzeugt zu sein. Zu Kritik muss man sich Gedanken machen. Manches nimmt man an und zieht seine Schlüsse. Das ist das Wertvolle: Erfahrungen zu sammeln, die in bestimmten Situationen helfen können.
Wie empfanden Sie in diesem Zusammenhang die öffentliche Kritik von Niederlechner an Oxford?
Reuter: Momentan sind viele Emotionen im Spiel. Ich halte nichts davon, sich gegenseitig öffentlich zu kritisieren. Mannschaft und Mitspieler sind dazu da, sich zu unterstützen. Auf dem Spielfeld werden weiterhin Fehler passieren. Ich erwarte von jedem, dass er positiv ist und den Glauben lebt.
Mitunter gewinnt man den Eindruck, Sie allein entscheiden beim FCA. Wollen Sie sich in der sportlichen Leitung künftig breiter aufstellen?
Reuter: Entscheidungen sind keine Alleingänge von mir. Bei richtungsweisenden Entscheidungen stimmen sich Klaus Hofmann, Michael Ströll und ich uns immer ab. Wir entscheiden gemeinsam. Mein Gesicht ist vielleicht öfter vor der Kamera zu sehen, aber wir sind gut und stark aufgestellt und überlegen gemeinsam, wie wir uns verbessern können.
Jedes Jahr gegen den Abstieg spielen. Macht Ihnen das überhaupt noch Spaß?
Reuter: Wir haben uns den frühzeitigen Klassenerhalt gewünscht. Leider haben wir das nicht geschafft. Aber klar, eine ruhigere Saison oder einen positiven Ausreißer nach oben würde ich gerne wieder erleben. Daran arbeiten wir. Wir finden es aber auch reizvoll, nie locker zu lassen und unser Ziel immer wieder zu erreichen.
Den Klassenerhalt am letzten Spieltag beim FC Bayern München schaffen zu müssen, das würden Sie sich aber bestimmt gerne ersparen.
Reuter: Natürlich. Den Nervenkitzel brauche ich wirklich nicht. Alles andere wäre verrückt.
Zur Person: Stefan Reuter, 54, hat als aktiver Spieler im Klub und in der Nationalmannschaft sämtliche Titel gewonnen, unter anderem 1997 die Champions League, 1990 die WM und 1996 die EM. Seit Dezember 2012 ist Reuter beim FC Augsburg als Sport-Geschäftsführer tätig.
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