Was ist eigentlich Glück? Es gibt von hochintelligenten Autoren meterweise Bücher, die diesen Begriff auf Tausenden Seiten definieren wollen. Dabei ist Glück so einfach zu beschreiben: Glück ist, wenn man im Fußball in der letzten Sekunde noch ein wichtiges Tor schießt. Jos Luhukay, der Trainer des Fußball-Bundesligisten FC Augsburg, lief nicht durch die Katakomben des Bremer Weserstadions – er schwebte. Und mit einem Strahlen, als hätte er soeben den Jackpot im Lotto gewonnen, sagte er augenzwinkernd: „Jetzt gab es doch noch ein Happy End.“ Das Last-Minute-Tor von Paul Verhaegh beim 1:1 in Bremen setzte beim Aufsteiger ganze Wagenladungen von Glückshormonen frei (Spielbericht im überregionalen Sport).
Wie man zu solch einem überwältigenden Gefühl kommt, erklärt Verteidiger Sebastian Langkamp: „Man muss sich das Glück erzwingen.“ Während Langkamp nebenbei an seiner Trinkflasche nuckelte, erklärte er, wie das in Bremen vonstattenging: „Wir hatten Werder in der ersten Halbzeit eigentlich im Griff, doch nach der Pause sind wir nicht mehr so ins Spiel gekommen. Wir haben aber bis zum Ende gekämpft. Dafür wurden wir belohnt. Auswärts haben wir schließlich noch nicht so viele Punkte geholt.“
Natürlich wäre auch mehr möglich gewesen. Erstens war Augsburg in der ersten Hälfte fast so dominant wie kürzlich in Hannover und zweitens spielte der dreifache deutsche Meister aufgrund vieler Verletzungen und des Fehlens des gesperrten Torjägers Claudio Pizarro mit einer Aufstellung, die wenig Furcht und Schrecken verbreitete. Verharmlosungen dieser Art blockte Mittelfeldspieler Daniel Baier allerdings rigoros ab: „Wir müssen schon noch die Kirche im Dorf lassen. Wir haben gegen eine Mannschaft gespielt, die um einen Europa-League-Platz kämpft. Wir sind Aufsteiger aus der 2. Liga.“ Axel Bellinghausen, der über die derzeitigen Vertragsverhandlungen nicht sprechen wollte („Darüber reden wir, wenn es an der Zeit ist“), kürte derweil den Spieler des Nachmittags.
Für „Bello“ ganz klar: Simon Jentzsch. „Ich wusste bis heute nicht, was der für Sprinterqualitäten hat. Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern, Simon schon einmal im gegnerischen Strafraum gesehen zu haben.“ Es war schon großes Kino, wie Jentzsch mit wehenden Haaren, wie einer der drei Musketiere, über den Platz stürmte, um noch kurz die Welt zu retten. Dass er nach diesem Lauf nur noch mit einem Foul gestoppt werden konnte, woraus der Freistoß resultierte, der zum 1:1 führte, war nur eine logische Folge.
Natürlich musste das Kraftpaket anschließend im Bauch des Stadions den Journalisten diese Heldentat erklären: „Das Trainerteam hat mich nach vorne beordert. Ich war dann einen Tick eher am Ball als mein Gegenspieler, und der hat mich von den Beinen geholt.“ Dass sich sein Kollege Bellinghausen erstaunt über seine Sprinterqualitäten äußerte, nahm Jentzsch „etwas bescheiden“ und humorvoll zur Kenntnis: „Usain Bolt würde nur meine Haken sehen.“ Auch Manager Andreas Rettig, den man nach einem Spiel des FCA eher von der bierernsten Seite kennt, wirkte so heiter wie die Sonne, die zu diesem Zeitpunkt langsam über der Weser unterging: „Dieser Punkt war Gold wert.“ Man hätte an diesem Abend mit Rettig wohl stundenlang über den Begriff Glück philosophieren können.