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Porträt: Walther Seinsch: Der Aufsteiger

Porträt

Walther Seinsch: Der Aufsteiger

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    Ohne Walther Seinsch wäre der Erfolg des FC Augsburg nicht möglich gewesen.
    Ohne Walther Seinsch wäre der Erfolg des FC Augsburg nicht möglich gewesen. Foto: Fred Schöllhorn

    Es war eine nicht ganz ungefährliche Aktion. Aber was tut der Mensch nicht alles im Überschwang der Gefühle, wenn sich ein Lebenstraum erfüllt hat, wenn ihn die Glückshormone beflügeln.

    Walther Seinsch kletterte in dem Moment auf einen Zaun. Eigentlich darf man das nicht. Denn in einem Fußballstadion ist das Klettern über Zäune verboten. Und es stehen Ordner bereit, die Aufsteiger auf den Boden zurückholen.

    Aber Walther Seinsch ist nicht so einfach zu stoppen. In diesem Fußballstadion schon gar nicht. Denn es ist sein Stadion. Seine Idee, sein Werk.

    Die kuriose Szene spielte sich am vergangenen Sonntag ab. Rund zwei Stunden zuvor war in der Augsburger Fußball-Arena das Tor gefallen, das dem FC Augsburg die Tür zur Fußball-Bundesliga geöffnet hatte. Bei über 30 000 Zuschauern hatte sich in dem Moment nervöse Anspannung in einen kollektiven Jubelrausch verwandelt.

    Walther Seinsch hatte diesen Moment verpasst. Ganz bewusst. Seine Ärzte haben ihm vor einiger Zeit vom regelmäßigen Besuch der Spiele des FC Augsburg abgeraten. Die Spannung tue seiner Gesundheit nicht gut. Seinsch hat auf einem Parkplatz in der Nähe von Memmingen in seinem Autoradio vom Aufstieg gehört. Er war auf dem Weg von Lindau, einem seiner Wohnorte, nach Augsburg. Vielleicht wäre er bei einer negativen Nachricht umgekehrt. So aber setzte er seine Fahrt fort, kam im Stadion an, als die meisten Fans schon glücklich von dannen gezogen waren. Zu den letzten, die noch in den Blöcken M und O, der Stehplatz-Heimat der ständigen Heimspielbesucher, verblieben waren, kletterte er dann hoch.

    Eine Aktion, die viel über Walther Seinsch sagt. Sein Leben war ein Aufstieg – fast durchgängig. Dennoch: Mit der Prominenz und den Besserverdienern in den gediegenen Business-Club-Räumen der Arena feiern – das liegt ihm nicht. Er sucht die Nähe der treuesten Fans. So hat er es in den rund elf Jahren, die er nun schon den FC Augsburg leitet, immer gehalten.

    „Ich war ein schlechter Schüler. Mathe, Chemie und Physik haben mich zermürbt.“

    Andererseits: Der leidenschaftliche Fußballfan Seinsch kann sich fast übergangslos in einen kühlen Rechner und hart bestimmenden Chef wandeln. Der seriöse Geschäftsmann, der ausgelassene „Jeck“ – zwei Seiten eines Menschen.

    Walther Seinsch stammt aus einfachen Verhältnissen. Vor 69 Jahren wurde er in der Eifel geboren. Nach acht Jahren hat er die Schule verlassen. „Ich war ein schlechter Schüler“, hat er einmal erzählt. „Mathe, Chemie und Physik haben mich zermürbt.“

    Seinsch besitzt andere Talente. Er tritt eine Lehre beim Kaufhof-Konzern an, er bringt es zum Textileinkäufer, bereist die ganze Welt. In 14 Kaufhof-Jahren wächst bei ihm der Glaube: Was seine Chefs können, das kann er auch. Nur besser. Der Aufsteiger Seinsch macht sich selbstständig. Der Anfang ist schwer. Er hangelt sich nahe an der Pleite entlang. Aber er verliert nicht das Vertrauen, hält an seinen Ideen fest. Und irgendwann macht er dann auch Gewinn.

    „42 Arbeitsjahre mit einer 70- bis 80-Stunden-Woche sind genug.“

    1996 zieht sich Seinsch ins Privatleben zurück. „42 Arbeitsjahre mit einer 70- bis 80-Stunden-Woche sind genug“, sagt er. Er verkauft seine Anteile an den Textilketten Takko und kik, zieht mit seiner Frau und seiner Familie nach Lindau. Neun Kinder hat das Paar, sechs davon adoptiert.

    Doch der Ruheständler Seinsch wird bald unruhig. Der Fußballfan Seinsch taucht als möglicher Anwärter für das Präsidentenamt bei Schalke 04 auf. Zur Kandidatur kommt es nicht. Kurz darauf ist der Name Seinsch in Reutlingen im Gespräch. Er will den SSV, damals auf dem Sprung in die zweite Liga, unterstützen. Seine Bedingung: der Bau eines neuen Stadions. Nur eine komfortable Arena mit VIP-Logen und Business-Bereich eröffne Einnahmequellen, die für den wirtschaftlichen Erfolg im Profifußball notwendig seien, lautet sein Credo. Die Reutlinger gehen auf die Pläne nicht ein. Seinsch zieht sich zurück.

    Im Herbst 2000 wird er aber beim FC Augsburg aktiv. Der Verein steckt in der größten Krise seiner Geschichte, ist der Pleite nahe und in die vierte Liga zwangsversetzt worden. Die Augsburger sind dankbar für Hilfe. Seinsch übernimmt die Führung des FCA. Sein offizieller Titel ist nicht Präsident, sondern Vorstandsvorsitzender – wie es sich für einen Mann aus der Wirtschaft gehört. Dass er schon bald Pläne für ein Stadion vorlegt, dass er bereits vom Aufstieg in die Bundesliga spricht, während die Mannschaft in der Tristesse der vierten Liga gefangen ist – in Augsburg lassen sie ihn gewähren. An die Verwirklichung glauben, das mag kaum jemand. Zu phantastisch erscheinen die Visionen des Walther Seinsch.

    Doch wie zuvor im Berufsleben – Seinsch bleibt von seiner Idee überzeugt. Er geht seinen Weg, zieht die Zügel straff an. Er saniert den FCA, bringt den Verein organisatorisch und sportlich auf Vordermann. Was diese Arbeit erleichtert: Er und eine von ihm zusammengestellte Gruppe von weiteren Geldgebern fördern den FCA in den nächsten Jahren mit viel Geld. Die Millionen sollen zurückfließen, wenn der Verein einmal die Bundesliga erreicht, wenn dort Geld verdient wird. So das Geschäftsmodell.

    Wer die Investoren neben Seinsch sind, ob es sie überhaupt gibt, wird nie bekannt. Inzwischen fragt auch kaum jemand mehr. Für FCA-Anhänger zählt vor allem eines: Seinsch hat Wort gehalten, er hat – wieder einmal in seinem Leben – an einer Idee festgehalten. Er hat den FCA aus der vierten Liga nach oben in die Bundesliga geführt, er hat den Beinahe-Pleite-Klub zu einem gesunden Unternehmen gemacht. Und er hat ein neues Stadion vor den Toren der Stadt gebaut, das seit zwei Jahren in Betrieb ist. Eine im deutschen Fußball ziemlich einmalige Erfolgsgeschichte.

    Uneingeschränkt genießen kann Walther Seinsch seinen Augsburger Aufstieg nicht. Er ist an Depressionen erkrankt. Schon vor einiger Zeit hatte es Hinweise auf gesundheitliche Probleme gegeben. Im März 2008 hatte Seinsch für die Wählergemeinschaft Pro Augsburg einen Sitz im Augsburger Stadtrat erobert. Vorausgegangen waren heftige Debatten, ob er tatsächlich seinen Hauptwohnsitz in der Stadt habe und damit wählbar sei. Nach seinem Wahlerfolg gehörte er dem Gremium nur fünf Monate an. Im Herbst 2008 gab er das Mandat aus gesundheitlichen Gründen zurück.

    Auch beim FCA musste er kürzertreten. Ende 2009 wurde offiziell, dass sich Seinsch eine „Auszeit“ nimmt. Dem Verein den Rücken gekehrt hat er allerdings nie. Er zog sich zwar zurück, vornehmlich nach Münster, einem seiner Wohnsitze. Aber er hielt – meist per Fax – immer die Verbindung nach Augsburg. In Manager Andreas Rettig weiß er einen kongenialen Statthalter vor Ort.

    „Für die Saison 2011/2012 wird ein streng kalkulierter Etat aufgestellt, bei dem sich Einnahmen  und Ausgaben decken.“

    Auf Rettig wartet eine interessante Aufgabe. Er muss künftig den FCA ohne Subventionierung durch Seinsch führen. Im Herbst vergangenen Jahres hatte der angekündigt, das Engagement der Investorengruppe werde nach dieser Saison enden. „Die Investorengruppe hat ihre zugesagten Investitionen in den Verein und in das Stadion weit übererfüllt und ist nicht mehr in der Lage, weitere Mittel zur Verfügung zu stellen“, erklärte Seinsch. Der Verein FCA, der den Spielbetrieb der Jugendmannschaften organisiert, und die FCA GmbH, die den Profibereich verwaltet, müssen künftig auf eigenen Füßen stehen. Für die Saison 2011/2012 werde ein „streng kalkulierter Etat“ aufgestellt, „bei dem sich Einnahmen und Ausgaben decken und der eine schwarze Null im Ergebnis sicherstellt“.

    Eine anspruchsvolle Aufgabe. Durch den Aufstieg in die Bundesliga machen die Fernsehgeld-Einnahmen zwar einen großen Sprung nach oben. Der Etat des FCA wird von etwa zwanzig auf rund dreißig Millionen Euro steigen. Aber auch die Ausgaben, besonders für das kickende Personal, werden deutlich nach oben gehen. Und im Konzert der Großen ist der FC Augsburg damit immer noch ein Kleiner. Die Branchenführer liegen mit ihren Ausgaben deutlich über der 50-Millionen-Marke.

    Große Sprünge kann der FCA also nicht machen. Zumal ihn noch ein Problem plagt. In den vergangenen Jahren wurde vor allem in die Steine des Stadions und die Beine der Profis investiert. Die Nachwuchsabteilung musste relativ kurzgehalten werden. Der FCA hat Nachholbedarf, was die Infrastruktur rund um das Bundesliga-Team betrifft. Der Klub hofft jetzt auf die Unterstützung der Politik.

    Walther Seinsch kann nicht mehr helfen – zumindest finanziell nicht. „Ich habe mich als Teil der Investorengruppe bis zur Grenze meiner Belastbarkeit finanziell engagiert. Weitere Investitionen sind mir nicht möglich“, sagt er. Sorgen um ihn müsse man sich aber nicht machen, sagt er. „Mir muss niemand ein Butterbrot schenken.“

    Ob sich sein Engagement für den FCA, so wie ursprünglich einmal gedacht, jemals auszahlen wird, das ist allerdings fraglich. Vielleicht will Walther Seinsch das auch gar nicht mehr. Am Tag nach dem Aufstieg in die Bundesliga jedenfalls saß der Kaufmann Seinsch bereits wieder über Geschäftsplänen für die Zukunft. Solides Wirtschaften bleibt sein oberstes Ziel. Dass künftig mögliche Gewinne an ihn und die Investorengruppe fließen, davon ist in seinen Überlegungen nicht mehr die Rede. Wenn die FCA-Fußballer Geld hereinspielen sollten, dann werde das auf die hohe Kante gelegt, erklärt Seinsch jetzt. Schließlich müssten Rücklagen für schlechtere Zeiten gebildet werden. Zeiten, in denen es keinen Grund gibt, an Zäunen hochzuklettern.

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