Ziemlich genau ein Jahr ist nun vergangen, seitdem das Coronavirus die Welt aus den Angeln gehoben hat. Seitdem sieht der Alltag anders aus und ist von Regeln geprägt: Maske tragen. Abstand halten. Menschenansammlungen vermeiden. Testen lassen, bei Bedarf. Viele sind dieser Regeln überdrüssig. Diese Müdigkeit ist nachvollziehbar.
Ermüdungserscheinungen haben zuletzt auch verstärkt die Protagonisten des privilegierten Profi-Fußballs gezeigt: In Wolfsburg hatten die beiden VfL-Innenverteidiger Marin Pongracic und John Anthony Brooks eine private Feier besucht, Gladbachs Breel Embolo lieferte sich nach einem Party-Besuch eine filmreife Flucht vor der Polizei, Bayern-Profi Corentin Tolisso hatte offenbar einen Termin mit dem Tätowierer seines Vertrauens , der sich nicht mehr aufschieben lassen konnte.
Khedira, Rummenigge und der FC Augsburg mit Verstößen gegen Maskenregeln
Karl-Heinz Rummenigge kämpft jeden Spieltag damit, dass seine Nase hinter der Maske bleibt. Sami Khedira verzichtete auf der Tribüne von Hertha BSC Berlin gleich komplett auf das Tragen einer Maske. Der FC Augsburg postete nach einem Auswärtssieg auf seinen sozialen Kanälen ein Jubelfoto mit zwölf Spielern, die weder Maske trugen noch Abstand einhielten, und wurde dafür nun vom DFB verwarnt. Es sind Meldungen, die beinahe jede Woche aus der Bundesliga kommen.
Die Besuche von Partys oder Tätowierern sind eine bewusste Missachtung des Hygiene- und Wertekanons, den sich DFL und DFB gegeben haben. Das Vorgehen des FCA ist hingegen als gedankenlos und nicht besonders clever einzustufen – vor allem, nachdem der DFB kurz zuvor wegen ähnlicher Vergehen Hannover 96 und den 1. FC Köln verwarnt hatte.
Der Profi-Fußball genießt Corona-Privilegien und muss diese rechtfertigen
In der Summe gibt der gesamte Profi-Fußball derzeit aber kein gutes Bild ab. Die großen und kleinen Verfehlungen der Profis und ihrer Klubs sind nicht nur aus epidemiologischer Sicht problematisch – mindestens ebenso schwer wiegt die symbolische Kraft, die mit diesen Verfehlungen einher- geht. Während der komplette Amateur- und Jugendfußball brachliegt und viele Branchen um ihr Überleben bangen, scheint im Profi-Fußball alles wieder wie vorher möglich zu sein. Die Branche Bundesliga hat das Recht, ihrem Geschäftsmodell nachzugehen.
Es sind Privilegien, die angesichts der Reisefreudigkeit vieler international agierender Klubs und der in manchen Vereinen sichtbar bröckelnden Demut längst nicht mehr jeder versteht. DFL-Chef Christian Seifert wandte sich vor dem Re-Start mit mahnenden Worten an die Bundesliga: Jeder Spieltag ist eine Chance zu beweisen, dass wir den nächsten verdient haben." Seifert weiß, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Bundesliga auf tönernen Füßen ruht – und dass jede Verfehlung das ohnehin schon deutlich vernehmbare Murren der Bevölkerung noch lauter werden lässt.
Zverev, Djokovic, Irving: Auch andere Profi-Sportler verstoßen gegen Corona-Regeln
Dass auch in anderen Sportarten, für die der Fußball im Allgemeinen und die Bundesliga im Speziellen mit ihrem Hygienekonzept Pate standen, ebenfalls gegen Regeln verstoßen wird, macht es nicht besser: Im Tennis ignorierte Novak Djokovic mit seiner Adria-Tour im Sommer die Infektionsregeln. Die deutsche Nummer eins Alexander Zverev ging im Anschluss an die Tour in Monaco feiern. NBA-Star Kyrie Irving (Brooklyn Nets) hatte im Januar eine Party besucht.
Die Demut der Privilegierten – sie scheint abzunehmen. Eine gesamte Branche, die ohnehin schon nicht den besten Ruf genießt, könnte sich in diesen aufgeregten Tagen vollends die Gunst von weiten Teilen ihres Publikums verscherzen. Eine Studie der DFL besagt, dass sich schon jetzt immer weniger Jugendliche für die Bundesliga interessieren. Die DFL versucht, mit ihrem Projekt "Zukunft Profifußball" an die soziale Verantwortung von Klubs und Spielern zu appellieren. Corona ist auch ein moralischer Test für die Gesellschaft – derzeit scheinen diesen nicht alle zu bestehen.
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