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Interview: FCA-Trainer Heiko Herrlich: "Mein Leben ist nie langweilig"

Interview

FCA-Trainer Heiko Herrlich: "Mein Leben ist nie langweilig"

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    Heiko Herrlich sieht die 16 Punkte seines FC Augsburg als gute Basis.
    Heiko Herrlich sieht die 16 Punkte seines FC Augsburg als gute Basis. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Herr Herrlich, konnten Sie die Zeit über Weihnachten ein wenig genießen?

    Heiko Herrlich: Es war ja nicht viel Zeit, mehr ein verlängertes Wochenende. Ich habe die Tage im Kreis der Familie verbracht. Als Trainer ist man viel unterwegs und freut sich, wenn man mit der Familie ein bisschen Ruhe hat.

    Wie wichtig ist es Ihnen, mit der Familie feiern zu können?

    Herrlich: Nicht nur für mich, für viele Menschen ist es das wichtigste im Leben. Die Familie ersetzt nichts. Man genießt die Zeit, die man zusammen hat.

    Zuletzt hatten Sie erzählt, dass Sie nach Ihrer Zahnpastaffäre im Frühjahr viel Zahnpasta und Hautcreme bekommen haben. Gab es das zu Weihnachten auch wieder?

    Herrlich: Nein, daran hat niemand gedacht. Vielleicht ist das jetzt auch schon zu abgedroschen.

    Wie denken Sie im Rückblick über Ihren Zahnpastakauf in einem Supermarkt, für den Sie das Quarantäne-Hotel verlassen haben?

    Herrlich: Ich habe einen Fehler gemacht und die Konsequenzen gezogen. Damals war kein zweiter negativer Test vor dem Wolfsburgspiel mehr möglich, also habe ich reagiert und mich rausgenommen. Ich habe den Fehler eingestanden und die Konsequenzen getragen. Heute kann ich darüber schmunzeln. Ich hätte wahrscheinlich ebenfalls über mich gelacht. Eines weiß ich aber auch: Es wird sicher nicht mein letzter Fehler in meinem Leben gewesen sein.

    Kollegen neben dem Platz: Julian Nagelsmann und Heiko Herrlich.
    Kollegen neben dem Platz: Julian Nagelsmann und Heiko Herrlich. Foto: Stefan Puchner, dpa (Archivbild)

    Sie sind jetzt gut neun Monate in Augsburg und haben vor allem wegen Corona eine turbulente Zeit erlebt.

    Herrlich: Es war nicht nur für uns eine neue Situation, sondern für alle Menschen. Eine Situation, die man sich so nicht vorstellen konnte. Wir müssen dankbar sein, dass wir unseren Beruf ausüben können. Das ist sehr positiv und gibt einem Kraft. Ich hoffe, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen, die Impfungen wirken und wir irgendwann wieder Fußballspiele in einem vollen Stadion erleben können, ohne dass man sich Sorgen machen muss. Ich weiß, das ist noch in weiter Ferne, aber die Hoffnung habe ich. Bisher habe ich hier in Augsburg nur das Spiel gegen Borussia Dortmund mit Zuschauern erlebt. Da haben sich die 6000 Fans wie ein volles Stadion angefühlt. An den Zustand ohne Fans möchte man sich nicht gewöhnen.

    Aber auch der Alltag bei den Profiklubs hat sich gewaltig verändert.

    Herrlich: Das stimmt. Man ist jederzeit in dem Modus drin, die Abstands- und Hygienemaßnahmen zu beachten., Auch im privaten Umfeld hält man Abstand. Manchmal ist das eine skurrile Situation. An Weihnachten aber nimmt man seine Kinder trotzdem mal in den Arm, sonst macht man andere Dinge kaputt.

    Um das Teambuilding zu unterstützen, zeigen Sie gerne mal Filme.

    Herrlich: Vor allem das Wunder von Lake Placid, als die Eishockey-Mannschaft der USA, die ausschließlich aus Studenten bestand, 1980 die Sowjetunion geschlagen hat, die eine gefühlte Ewigkeit unbesiegt war. Das war ein unglaubliches Wunder. Das zeige ich gerne, wenn ich neu zu einem Verein komme oder wenn wir neue Spieler bekommen. Ich will der Mannschaft demonstrieren, was möglich ist, wenn man ein Team ist. Dann frage ich sie, ob so etwas heute noch möglich ist. Meistens fällt ihnen Leicester City ein, die die Premier League gewonnen haben. Solche Wunder gibt es immer wieder. Die Basis ist, dass man füreinander alles gibt. Der Teamgedanke geht heutzutage aber ein Stück weit verloren. Jeder Jugendspieler, der halbwegs gerade auslaufen kann, hat schon früh einen Berater. Es geht oft nur noch darum, wie man sich selbst vermarkten kann. Der Urgedanke aber, wie damals auf dem Schulhof, als man mit seinen Kumpels gegen die Nachbarklasse gespielt hat, ist nicht mehr so vorhanden. Daher möchte ich unsere Spieler immer wieder mal daran erinnern. Das kann man zum Beispiel durch solche Filme tun. Jeder will ja ein Teil des Teams sein. Spieler wollen Respekt haben, genauso gehört es aber dazu, dass sie auch Respekt zeigen und akzeptieren, wenn ein anderer spielt. Da geht es um die Sache und nicht um einzelne Spieler.

    Wie weit sind Sie mit der Entwicklung der Mannschaft zufrieden?

    Herrlich: Ich habe die Mannschaft in einer Situation übernommen, die schwierig war. Wir haben es geschafft, den Negativtrend zu stoppen und weniger Gegentore zu kassieren. Wir haben die nötigen Punkte geholt, um den Klassenerhalt zu schaffen. Im Sommer gab es Veränderungen, auch in der Hierarchie und der Struktur der Mannschaft. Wir haben den Kader verkleinert, um konzentriert zu arbeiten. Wir sind gut in die Saison gestartet mit drei Pflichtspielsiegen. Danach haben wir es aber nicht immer geschafft, mit der nötigen Kompaktheit und Griffigkeit gegen den Ball zu arbeiten. Wir sind teilweise etwas höher angelaufen und haben mehr Chancen zugelassen. Trotzdem haben wir die nötigen Punkte geholt, manchmal auch glücklich. Wenn es aber in der Summe so oft glücklich erscheint, ist das auch eine Form von Qualität. Unsere Mannschaft hat oft eine klasse Moral bewiesen. Natürlich ärgere mich, dass wir gegen Frankfurt, das unser bestes Spiel in der Offensive war, unsere Chancen nicht genutzt haben. Und dass im Pokal gegen Leipzig die erste halbe Stunde so schlecht war.

    Wagen wir mal einen Ausblick: Was ist im Rest der Saison möglich?

    Herrlich: Wir arbeiten daran, dass wir im Offensivbereich mehr Durchschlagskraft bekommen, ohne die Stabilität in der Defensive aufzugeben. Ich hoffe, dass zum, Beispiel Florian Niederlechner an seine Leistung von 2019 anknüpfen kann. 2020 war für ihn ein eher enttäuschendes Jahr. Vergangene Saison hatte er schon mal eine Durststrecke, hat aber für uns noch zwei wichtige Tore gegen Düsseldorf und Mainz erzielt. Ich wünsche mir auch, dass unsere angeschlagenen Spieler wie Alfred Finnbogason, Fredrik Jensen oder auch Noah Sarenren Bazee ihre verletzungsbedingten Probleme beheben können. Auch André Hahn hat zuletzt wegen Corona gefehlt. Da hoffe ich auch auf einen positiven Verlauf. All das hängt auch damit zusammen, dass wir im Offensivbereich noch Baustellen haben. Wir müssen aber vor dem Tor für mehr Gefahr sorgen.

    Sie haben in dieser Saison schon verschiedene Taktiken versucht, auch mal mit drei nominellen Sechsern in der Startelf gespielt.

    Herrlich: Gegen Leipzig im Pokal habe ich versucht, den gefährlichen Bereich, in den Leipzig gerne reinspielt, zu stabilisieren. In der Liga hatten wir es bis kurz vor der Pause so geschafft, dass sie keine Torchance hatten. Dann köpft der kleinste Spieler die Führung. Das war ärgerlich, da die Leipziger schon langsam ungeduldig wurden. Auch im Pokalspiel war es das Ziel, so stabil zu agieren. Das ging in dem Spiel nicht auf. Wenn wir Pech haben, liegen wir schon nach einer halben Stunde 0:4 hinten. Gegen Frankfurt haben wir mit zwei Sechsern und zwei Stürmern gespielt und viele Torchancen rausgespielt, diese aber nicht genutzt. Wenn man offener steht und aggressiver anläuft, gibt man aber auch Räume frei, die gute Mannschaften nutzen. Daher muss man die Balance finden. In Bielefeld haben wir auch mit drei nominellen Sechsern gespielt, um die Bielefelder zu langen Bälle zu zwingen.

    In der Bundesliga tun sich viele Mannschaften schwer, Großchancen gegen kompakte Abwehrreihen zu erspielen.

    Herrlich: Eine Zeit lang war es Trend, immer vorne richtig draufzugehen. Das ging gegen technisch nicht so starke Mannschaften, die dann viele Fehler machten. Mittlerweile aber hat jeder einen Plan, wie er solche Pressingsituationen mit wenigen Kontakten lösen kann. Einige Mannschaften tun sich schwer gegen ein massives Abwehrbollwerk. Bei uns war das gegen Freiburg so, als wir trotz viel Ballbesitz kaum vors Tor kamen.

    Wie sehen Sie die tabellarische Situation des FC Augsburg mit 16 Punkten?

    Herrlich: Das ist eine gute Basis für die restliche Saison. Mir wäre sicher der ein oder andere Punkt mehr lieber gewesen. Wenn wir die Chance hatten, einen großen Schritt zu machen, haben wir es oft nicht so umgesetzt, wie wir es uns vorgenommen haben. Ich meine vor allem die Spiele gegen Freiburg, gegen Hertha und Schalke. Teilweise haben wir Spiele zu schnell und einfach hergeschenkt, wie in den Minuten nach der Pause gegen Hoffenheim, das war ärgerlich. Man muss aber auch sagen, dass wir immer wieder Spiele hinten raus gedreht oder noch ein Unentschieden geschafft haben, zwei Mal sogar in Unterzahl. Wenn das so oft passiert, spricht das für die Fitness und Mentalität der Mannschaft.

    Im Januar warten sechs Spiele. Was bedeutet das für die Belastung der Spieler?

    Herrlich: Wir sind in einer guten körperlichen Verfassung. Wir gehen jetzt den nächsten Schritt, darauf konzentrieren wir uns. Keiner macht sich Gedanken, was in fünf Wochen ist. Jetzt ist die Vorbereitung auf das Köln-Spiel. Aber wir haben die Belastungssteuerung natürlich immer im Blick.

    Beim Thema angeschlagene Spieler sind Sie in Ihren Aussagen oft zurückhaltend. Ist das ein taktisches Mittel, um den Gegner möglichst lange im Unklaren zu lassen?

    Herrlich: Manchmal gibt es Entwicklungen unter der Woche, die so nicht vorherzusehen waren. Plötzlich stehen Spieler wieder auf dem Platz, die zu Wochenbeginn noch angeschlagen waren und mit denen man nicht für das Spiel planen konnte. Andersrum möchte ich angeschlagene Spieler auch nicht unter Druck setzen.

    Wie sehen Sie die Rolle und Situation von Marco Richter, zuletzt gab es wieder Wechselgerüchte?

    Herrlich: In der Vorbereitung hatte er Verletzungsprobleme, als er sich wieder rangearbeitet hatte, wurde er durch eine Angina zurück geworfen. Gegen Schalke hat er getroffen, gegen Bielefeld war er dann von Anfang an dabei, auch gegen Frankfurt hat er gespielt. In dem Spiel hatte er auch eine Riesenmöglichkeit zur Führung. Das war aber die Phase mit vier Spielen ihn zehn Tagen. Daher musste ich sehen, immer wieder frische Spieler zu bringen. Ich habe das auch taktisch für jeden Gegner durchgeplant. Für Marco ist es wichtig, dass er einfach und klar spielt. Er haut sich im Training rein und gibt Gas. Ein Wechsel ist für uns kein Thema.

    Auch der kurze Ärger nach der Auswechslung in Bielefeld, als er einen Ball neben der Bank weggetreten hat, ist vergessen?

    Herrlich: Natürlich. Er hat sich dafür entschuldigt, es ist alles in Ordnung. Das habe ich ja auch schon nach dem Spiel gesagt. Der Wechsel in Bielefeld hat sich auch ausgezahlt, Alfred war am Tor beteiligt. Er zieht seinen Gegenspieler mit, so dass der Rückraum für Jeff frei war.

    Vor 20 Jahren hatten Sie Ihre schwere Erkrankung, als ein Tumor in Ihrem Kopf festgestellt wurde. Wie sehr hat Sie diese Krankheit verändert?

    Herrlich: Es war damals natürlich hart für mich. Das kann man mit seinem Verstand nicht mehr greifen. Ich hatte in dieser Phase einfach Gottvertrauen. Viele Dinge hatten nicht mehr die Bedeutung wie vorher. Plötzlich sind dir zwischenmenschliche Dinge wichtiger, die Familie und Freunde. Ich wurde in meinem Glauben gestärkt. Manche Situationen, zum Beispiel auch die aktuelle Corona-Pandemie, muss man einfach hinnehmen und das Beste daraus machen. Das ist eine Haltung, die ich angenommen habe.

    Dann hatten Sie in diesem Jahr auch noch ihre Lungenkrankheit, als Sie ins Krankenhaus mussten, weil, wie Sie selbst sagten, ihr einer Lungenflügel kurzzeitig nicht mehr funktionierte.

    Herrlich: Ich habe gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Als unser Arzt mich trotz einer kurzen Strecke nicht alleine zum CT gehen lassen wollte, geht dir natürlich der Puls hoch und man macht sich Sorgen. Aber es wurde mir auch gleich gesagt, dass daran in Deutschland niemand stirbt, wenn es rechtzeitig erkannt wird. Ich hatte noch immer 97 Prozent Sauerstoffsättigung im Blut, das hat der zweite Lungenflügel ausgeglichen. Auch in dieser Situation muss man loslassen und sagen, ich vertraue einfach den Experten. Die Ärzte haben das sehr gut gemacht.

    Im Rückblick war es für Sie ein turbulentes Jahr: Zahnpastaffäre, Corona und der Krankenhausaufenthalt.

    Herrlich: Für uns alle war es schwierig. Jeder musste sicherlich große Herausforderungen meistern. Mein Leben war und ist nie langweilig, es ist immer sehr schön verlaufen.

    Haben Sie Vorsätze für das neue Jahr?

    Herrlich: Ich versuche, immer mein Bestes zu geben - tagtäglich. Wenn ich merke, ich hatte einen schlechten Tag und war zu jemandem ungerecht, kann ich auch hingehen und mich entschuldigen.

    Wie gehen Sie mit Kritik um?

    Herrlich: Ich bin seit 1989 im Profigeschäft und Kritik daher gewohnt. Kritik muss man annehmen und akzeptieren und bereit sein, zu lernen. Ich hätte mir auch gewünscht, dass das ein oder andere besser läuft. Manchmal muss man aber auch Spiele so gestalten, dass man die Punkte holt. Ich schaue seit Jahren gerne Spiele von Liverpool, aber auch von Atletico Madrid. Wenn man das Champions-League-Duell der beiden gesehen hat, in dem Madrid weitergekommen ist, haben die sich keinen Schönheitspreis verdient. Die ein oder andere Situation hätten auch wir sicher attraktiver lösen können. Ich sage aber meinen Spielern sicherlich nicht, dass sie sofort den Ball verlieren sollen, wenn sie ihn haben. Man muss immer mit den Stärken und Fähigkeiten des Teams versuchen, das Optimum rauszuholen.

    War es umso ärgerlicher, dass die Mannschaft trotz der spielerisch stärksten Leistung gegen Frankfurt ohne Punkte geblieben ist?

    Herrlich: Absolut. In dem Spiel sind wir spielerisch oft vors Tor gekommen und hatten unsere Chancen. In den Spielen davor ist oft der vorletzte oder letzte Pass nicht angekommen, weil falsche Entscheidungen getroffen wurden. Ich verlange jedes Mal, dass wir mutig, gallig und voller Überzeugung spielen. Die Beständigkeit ist wichtig. Daran arbeiten wir, dies in jedem Spiel zu zeigen. Das ist ein Prozess.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit Florian Niederlechner von September 2020 an:

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