„Gemeinsam“ – immer wieder ruft Heiko Herrlich dieses Wort beim letzten Testspiel auf den Hauptplatz des Trainingszentrums von Ajax Amsterdam. Der 48-jährige Trainer des FC Augsburg will, dass sich seine Spieler absprechen, gemeinsam beim Pressing den Gegner unter Druck setzen, oder gemeinsam sich zurückfallen lassen. Es klappt an diesem Tag nur bedingt. Der FCA verliert mit 0:1 gegen das niederländische Top-Team, es ist die einzige Niederlage in der Vorbereitung auf die neue Bundesliga-Saison.
Gemeinsam– dieses Adjektiv steht aber nicht nur als Vorgabe für das taktische Vorgehen auf dem Platz, sondern auch für das übergeordnete Ziel, das Herrlich bisher bei jeder seiner Trainerstationen seinem Team verinnerlichen wollte. Eine verschworene Gemeinschaft bilden, eine die sich auch von äußeren Einflüssen nicht beirren lässt, Herrlichs Ideen umzusetzen.
Ob ihm das nach sechs Monaten als Trainer des FC Augsburg gelungen ist, weiß zum Beginn der Saison 2020/ 21 niemand so genau. Genauso wenig, ob es Herrlich geschafft hat, den Spielstil erfolgreich umzustellen. Weg vom kompromisslosen, man könnte auch sagen, eindimensionalen Umschaltspiel seines Vorgängers Martin Schmidt, das – gepaart mit einer partiellen Zweikampfschwäche – des öfteren für wenig ansehnliche FCA-Auftritte und zudem noch für Abstiegsgefahr sorgte. Hin zu attraktiveren Fußball mit Ballbesitz und klug vorgetragenen Offensivspiel über mehrere Stationen.
Sein Einstand hätte aber nicht schlechter laufen können. Nur vier Tage nach seinem ersten Training wurde die Saison vor dem 26. Spieltag coronabedingt unterbrochen. Ein normales Arbeiten war wochenlang nicht möglich. Als dann der FCA mehr schlecht als recht den Klassenerhalt geschafft hatte, wurde Herrlich nicht nur damit in Verbindung gebracht, sondern fast noch mehr mit seinem Corona-Fauxpas, als er trotz Quarantäne das Mannschaftshotel verließ, um Zahnpasta zu kaufen.
Die Überraschung war groß, gerade Herrlich hatte man so einen Verstoß gegen die strenge Hygieneregeln nicht zugetraut. Der gilt eigentlich als sehr diszipliniert und prinzipientreu. Und so einer überschreitet so eine Grenze?
FC Augsburg: Trainer Heiko Herrlich ist fünffacher Nationalspieler
Heiko Herrlich ist eben ein Mensch mit vielen Facetten. Da gab es den fünffachen Nationalspieler, der in insgesamt 258 Bundesligaspielen für Leverkusen, Mönchengladbach und Dortmund 75 Tore erzielte. Der sich aber 1995 auch zum Wechsel von Gladbach nach Dortmund gestreikt hatte. Der dort von Mitspielern wie Jürgen Kohler, Matthias Sammer oder auch Stefan Reuter lernt, was Siegeswille, Ehrgeiz und Teamwork bewirken können. Und der Ottmar Hitzfeld dort als sein Trainervorbild findet. Herrlich wird mit dem BVB zweimal deutscher Meister, holt die Champions League und den Weltpokal. Im Jahr 2000 geht es aber um mehr als Tore und Titel: Er erkrankt an einem Hirntumor, geht mit der lebensbedrohlichen Krankheit offen um. Der gläubige Christ besiegt den Krebs mit Hilfe der Ärzte, seiner Familie und seines Glaubens. 2001 gibt er sein Comeback, 2002 wird er noch einmal Meister, ehe er 2004 seine Karriere beendet.
Da gibt es den Privatmann Herrlich, der seinen Glauben, den er unter anderem über seinen ehemaligen Bayer-Kollegen Jorginho gefunden hat, auch nach außen trägt. Der Strafanstalten besucht und versucht so gut es geht als Christ zu leben. Der zugibt, nicht fehlerfrei zu sein, zu seinen Fehlern aber steht. Wie zur Trennung von seiner ersten Frau, mit der er zwei Kinder hat, nach über 20 Jahren Ehe.
Porträt: FCA-Trainer Heiko Herrlich will Siegermentalität
Und da gibt es den Trainer Heiko Herrlich, der vor allem zwei Dinge, die er in Dortmund verinnerlicht hat, an seiner Spieler weitergeben will: Teamgeist und Siegermentalität. 2005 absolvierte er er seine Fußball-Lehrer-Prüfung. So richtig auf sich aufmerksam machte er aber als Trainer erst zehn Jahre später beim SSV Jahn Regensburg.
Dort gelingt ihn ein Husarenritt aus der Regionalliga ohne Pause in die 2. Bundesliga. Höhepunkt dabei: Der Relegationstriumph gegen den TSV 1860 München. Da zeigte sich Herrlichs großes Motivationstalent. Aus einem Sammelsurium von ausgemusterten oder verkannten Fußballern hatte er eine verschworene Gemeinschaft geformt. Die Fans lagen Herrlich zu Füßen, die Vereinsführung ging 2017 davon aus, dass die Vertragsverlängerung mit dem Aufstiegshelden nur eine Formsache sein würde. Sie hatten sich getäuscht.
Herrlich hatte das Warten satt und unterschrieb bei dem Verein, bei dem der gebürtige Mannheimer Profi geworden war: Bei Bayer Leverkusen. Da war er wieder, der unberechenbare Herrlich.
Doch bei Bayer war er wohl nie erste Wahl und die Geduld mit ihm nach eineinhalb Jahren zu Ende. Die Vorwürfe: Bayer sei unter ihm nicht vom Fleck gekommen und junge Spieler wie Julian Brandt oder Leon Bailey in ihrer Entwicklung stehen geblieben.
Jetzt will Herrlich beim FCA beweisen, dass er nicht nur als Spieler, sondern auch als Trainer in der Bundesliga erfolgreich arbeiten kann.
Doch wie weit ist der FCA? Fakt ist: Herrlich betätigte sich in der Sommerpause als harter Sanierer. Seinen Trainerstab erweiterte er mit seinem Vertrauten aus Leverkusener Zeiten, Iraklis Metaxas, als zusätzlichen Co-Trainer. Zudem ersetzte er den altgedienten Torwarttrainer Zdenko Miletic durch Kristian Barbuscak, mit dem er beim Jahn zusammengearbeitet hatte.
Auch das Mannschaftsgefüge hat er neu ordnen lassen. Neuzugänge wie Torhüter Rafal Gikiewicz, Daniel Caligiuri oder Tobias Strobl sollen wieder für mehr Teamspirit und Erfolgsdenken sorgen. Ob es gelungen ist? Nach sechs Wochen Vorbereitung ohne Trainingseindrücke – die Übungseinheiten finden coronabedingt weiterhin hinter verschlossenen Türen statt – bleibe nur die Testspiele als Anhaltspunkte. Dort war, zumeist gegen unterklassige Gegner, durchaus zu sehen, dass nun mehrere Systeme wie ein 4-4-2, ein 4-1-4-1, oder ein 4-2-3-1 abrufbar sind. Auch versucht das Team jetzt knifflige Situationen spielerisch zu lösen und Angriffe nicht nur mehr im Hauruck-Verfahren vorzutragen.
Doch eines ist klar, beim FCA geht es nur gemeinsam.
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