Keine zwei Wochen ist es her, da wurde hinter den Kulissen des Leverkusener Fußballbetriebes noch von einem „Momentum“ geraunt, das sich möglicherweise ergeben werde. Von einer Kraft, die den Klub beflügeln und eine lange Erfolgsserie forcieren könne, war nach zwei atemberaubenden Siegen in Dortmund und gegen Berlin die Rede. Ausgiebig wurde geschwärmt, TV-Experte Christoph Metzelder bezeichnete den neuen Trainer Roger Schmidt flugs als „Jürgen Klopp 2.0“, es ist ja kein ganz neues Phänomen im Fußball, dass viel zu überstürzt bewertet und geurteilt wird.
Die Atmosphäre in Leverkusen ist plötzlich gereizt
Doch so atemberaubend schnell wie die Leverkusener in den ersten Saisonwochen spielten, so schnell änderte sich danach die Expertenmeinung gegenüber der neuen Spielweise dieser Mannschaft. Zwei Siegen zum Saisonstart und der Tabellenführung folgten ein wildes 3:3 gegen Werder Bremen, ein 0:1 in der Champions League in Monaco und am vorigen Sonntag ein 1:4 in Wolfsburg. Schon klingen die Schlagzeilen völlig anders: „Notfall statt Glücksfall: Leverkusen geht unter“ Frankfurter Allgemeine Zeitung oder „Jung, anarchisch, naiv“ Zeit-Online.
Die Sache mit dem Momentum hat sich vor der Partie gegen den FC Augsburg erst mal erledigt, die Atmosphäre ist plötzlich gereizt beim Werksklub, und das liegt nicht nur an der kleinen Serie unbefriedigender Ergebnisse. Der Stimmungswandel von staunender Begeisterung hin zu einer wachsenden Skepsis nervt die Beteiligten. „Dieses ganze Gerede über unsere Spielweise, dass wir zu offensiv sind und Hurra-Fußball spielen, das ist doch Schwachsinn“, sagt Stürmer Stefan Kießling, „ich kann das nicht mehr hören.“
Keeper Leno: "Wir denken zu viel nach vorn"
Allerdings lässt sich die These, die Kießling für „Schwachsinn“ hält, stabil untermauern. So sind die 19 Tore, die in den ersten vier Bundesligapartien der Leverkusener gefallen sind, ein beeindruckender Hinweis auf eine Disbalance zwischen Offensive und Defensive.
Die frühe Rote Karte am vorigen Wochenende, die zu den Hauptursachen für die 1:4-Niederlage in Wolfsburg zählt, war ebenfalls eine direkte Folge des riskanten Verteidigungsstils. Und in der Mannschaft regt sich mittlerweile auch Widerstand. „Wir denken zu viel nach vorne“, meint beispielsweise Torhüter Bernd Leno.
Aber dieser Meinung sind nicht alle. Statt den riskanten Stil zu modifizieren, will Schmidt die offensive Spielweise perfektionieren, die etwas besonnenere Variante des Pressing- und Gegenpressingfußballs, wie sie in Dortmund gespielt wird, sei jedenfalls nicht das Vorbild, sagt er: „Ich denke, dass wir unseren eigenen Stil haben, die Mannschaft hat schon Sachen, die man sonst vielleicht nicht sieht.“
Im Moment ist Bayer Leverkusen durchaus verwundbar
Speziell ist beispielsweise die Radikalität, mit der gegnerische Teams durch Bayer an den Außenlinien unter Druck gesetzt werden. Oft schafft die Mannschaft dort eine Drei-Mann-Überzahl, und wenn das Pressing funktioniert, wenn alle machen, was von ihnen verlangt wird, dann kann dieser Fußball nicht nur spektakulär, sondern auch erfolgreich sein.
Wenn aber irgendein Spieler nicht schnell genug mitdenkt und dem Gegner mit einem Diagonalball die Befreiung gelingt, ergeben sich gute Chancen gegen den Werksklub. „Wir müssen langsam die Fehler abstellen, sonst wird es immer schwerer“, sagt Mittelfeldspieler Gonzalo Castro. Im Moment ist Bayer Leverkusen aber durchaus verwundbar.