Erst seit gut zehn Monaten trägt Andreas Luthe das Trikot des FC Augsburg. Der Torhüter, der vor der Saison vom VfL Bochum nach Augsburg gekommen war, hat noch einen unvoreingenommenen Blick auf das Innenleben seiner Mannschaft. Er weiß auch, wie es sich anfühlt, abzusteigen. In der Saison 09/10 musste er mit dem VfL die Bundesliga verlassen.
Ersatzkeeper Luthe gibt sich bescheiden
Aus dieser Zeit datierten auch seine letzten drei Bundesligaspiele. Erst nach der Verletzung von Stammtorhüter Marwin Hitz kamen Nummer vier und fünf dazu. Die absolvierte der 30-Jährige aber so stark, dass er nach dem 1:1 gegen Dortmund (1:1) und dem 0:0 am Samstag bei der TSG 1899 Hoffenheim durchaus auch zum Nichtabstiegshelden getaugt hätte.
Doch Luthe („Ich hab’ nur meinen Job gemacht“) adelte nach dem glücklichen Saisonende einen anderen Spieler. „Halil Altintop hat uns den Arsch gerettet“, sagte er mit viel Bewunderung in der Stimme in der Mixed-Zone. „Den Klassenerhalt widmen wir ihm.“ Denn der Routinier hatte sich wenige Minuten vor dem Spiel gegen den Hamburger SV mit einer emotionalen Kabinenansprache an seine Kollegen gewandt. „Er hat uns in der schwierigsten Phase der Saison wieder rausgezogen“, erzählte Luthe. Die FCA-Spieler zweifelten nach dem 1:3 in Frankfurt selbst daran, die Klasse zu halten.
Die Ausschläge der Auf und Abs waren gewaltig, der Glaube in die eigene Stärke dahin. Der Schatten des drohenden Abstiegs lähmte. Doch Altintop, so Luthe weiter, habe Verantwortung übernommen. „Er hat uns den Spiegel vorgehalten. Das ist überhaupt der Grund, warum wir wieder angefangen haben, Fußball zu spielen.“ Mit welchen Worten Altintop den Umschwung einleitete, verriet Luthe nicht, das tat Altintop selbst ein paar Minuten später.
Sieg des FCA gegen den HSV war die Wende im Abstiegskampf
Auf jeden Fall gewann der FCA gegen den HSV mit 4:0. Es war die Wende im Abstiegskampf, mit drei Unentschieden gegen Gladbach, Dortmund und Hoffenheim sicherte sich der FCA den Verbleib in der Bundesliga.
Im Rhein-Neckar-Stadion mussten die über 3000 mitgereisten FCA-Fans erst in der Schlussphase zittern. Denn der FCA spielte bis zur 60. Minute diszipliniert und ließ kaum Chancen zu. Zudem war Wolfsburg (23.) in Hamburg in Führung gegangen, auch der Ausgleich des HSV zum 1:1 (32.) war noch kein Beinbruch. Die Zwischenergebnisse aus Hamburg wurden zwar auf den großen LED-Tafeln nicht angezeigt, doch über Smartphone war man im Gästefanblock immer informiert.
Erst nach dem Wechsel geriet der FCA stark unter Druck und hatte bei den beiden Pfostentreffern von Kramaric (68.) und Amiri (80.) Glück. Zudem rettete Martin Hinteregger (87.) auf der Linie. Genau in diesem Moment gelang dem HSV der Siegtreffer, doch der FCA regelte sein Schicksal selbst. Halil Altintop lüftete dann sein Geheimnis. „Jetzt kann ich’s ja verraten“, begann er. „Wir haben in der Englischen Woche mit null Punkten extrem auf die Fresse bekommen.“ Er habe gespürt, wie niedergeschlagen das Team war, „in dem mir jeder Einzelne am Herzen liegt“. Er musste sie vor dem HSV-Spiel aufrütteln.
Drei Mal Unentschieden sichert den Klassenerhalt
Unvorbereitet habe er dann davon erzählt, dass er einen kleinen Jungen habe, der im Oktober sechs werde. Mit jedem Jahr könne er beobachten, wie der Traum von der Bundesliga bei ihm größer werde. Darum habe er vor dem Hamburg-spiel das Trikot hochgehalten und auf das FCA- und vor allem auf das Bundesliga-Emblem gezeigt. Und gesagt, was das bedeutet. Dass das nicht selbstverständlich ist, jede Woche das Trikot überzuziehen und da rauszugehen. Dabei deutete er auf seinen Arm, auf dem sich die Härchen aufstellten: „Da bekomme ich heute noch Gänsehaut.“ Dann habe er die Kollegen erinnert: „Wir haben unsere Kindheit und unsere Jugend geopfert, weil wir gesagt haben: ,Ey, wir wollen nur eins, und das ist Fußballprofi werden.‘“
Dass die Mannschaft seine Worte derart angenommen hat, „berührt mich selber“. Und zwar nicht nur gegen Hamburg, sondern auch gegen „die Wucht und Qualität gegen die wir danach angetreten sind“. Gladbach, Dortmund, Hoffenheim: Der FC Augsburg holte drei Unentschieden. „Dass jeder Einzelne noch einmal alles rausgehauen hat“, sagte der Mittelfeldspieler mit brüchiger Stimme, geriet ins Stocken und gab schlussendlich auf: „Das kann man nicht in Worte fassen.“
Wie es mit Altintop weitergeht, ist noch unklar
Ob Altintop weiter für den FCA spielen wird, ist noch nicht sicher. „Vier super Jahre“ habe er gehabt. Ob ein, zwei Jahre dazukommen oder nicht, sei egal. „Das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass der FCA seinen Weg weitergeht“, betonte er und begründete: „Hier sind wirklich besondere Menschen am Werk, die mit Leib und Seele dabei sind.“
Der FCA müsse weiter Bundesliga spielen, dabei spiele der Einzelne eine untergeordnete Rolle. Klar sei aber auch, sagte der 34-Jährige: „Ich will auf jeden Fall weiterspielen.“ Konkrete Gespräche hatten der FCA und Altintop bis Samstag nicht geführt. Der Abstiegskampf stand im Vordergrund. Jetzt sind es aber auch die Wünsche seiner Frau. So wie bei seinem Zwillingsbruder. „Hamit hat gesagt: ,Happy wife, happy life.‘ Das sind wahre Worte.“ Halil lächelte dabei.