Herr Schmidt, der FSV Mainz 05 zählt zu den stärksten Bundesliga-Teams im Kalenderjahr 2021. Wie haben Sie das zusammen mit Ihrem Team hinbekommen?
Martin Schmidt: Die Rückrunde der vergangenen Saison war schon ein ziemlicher Kraftakt. Der Schlüssel zum Erfolg lag in der großen Emotionalität und einem starken Miteinander, mit kleinen Anpassungen im Kader. Vor allem aber war es Bo Svensson, der mit seiner Arbeit als Trainer die Mannschaft sofort erreicht hat. Auch in die neue Saison sind wir gut reingekommen, erleben jetzt aber eine Phase, in der es ein bisschen stockt. Auch das ist für Mainz nicht ungewöhnlich.
Am Freitag steht ein richtungsweisendes Spiel gegen den FC Augsburg an.
Schmidt: Wir haben eine spannende Woche vor uns mit Augsburg und zweimal Bielefeld in der Liga und im Pokal. Das sind Konkurrenten auf Augenhöhe im Kampf um den Ligaerhalt. Da ist es immer schön, wenn man gewinnt. Anders als Ende Februar beim letzten Spiel gegen Augsburg. Das war eine der zwei Niederlagen in der Rückrunde. Klar ist, dass wir gefordert sind, am Freitag eine starke Leistung zu zeigen.
Sind die Ansprüche in Mainz durch die starke Rückrunde gewachsen?
Schmidt: Vielleicht in der Öffentlichkeit und medialen Wahrnehmung. Die Erwartungshaltung steigt oft schneller als die realistische Entwicklung eines Teams. Wir können gut einordnen, wo wir stehen – für uns ist die Bundesligazugehörigkeit immer ein Erfolg. Wir hatten im Sommer ein paar Umstellungen im Team, haben den Kader verkleinert auf 25 Spieler, so dass jeder eine echte Chance hat zu spielen. Da tut ein verletzungsbedingter Ausfall vielleicht mehr weh, aber man hat immer ein Team, das motiviert ist.
Gab es auch einen Plan B im Falle eines Abstiegs?
Schmidt: Als Christian und ich im Dezember gekommen sind, wäre es bei sechs Punkten vermessen gewesen, keinen Plan B zu haben. Wir haben Bo Svensson direkt einen Dreieinhalb-Jahres-Vertrag gegeben. Wir haben damit dokumentiert, dass das nicht nur eine Geschichte bis zum Sommer ist und wir bei einem Abstieg nicht alles auf links drehen werden. Wir wollen das Team zusammen nach unseren gemeinsamen Vorstellungen weiterentwickeln.
Sie tun das neuerdings als Sportdirektor, nachdem Sie zuvor jahrelang als Trainer aktiv waren. Was hat Sie zu dieser Entscheidung gebracht?
Schmidt: Die Aufgaben sind in vielen Punkten gar nicht so anders. Es geht immer um die Mannschaft und die Zusammenstellung des Kaders. Als ich in Augsburg wegging, ist in mir der Gedanke gereift, mich künftig im Bereich strategischer Aufgaben anzusiedeln. Mich hat schon immer die gesamte Komplexität des Fußballs interessiert: Sportmedizin, Medien, Athletik, die Öffentlichkeitsarbeit, aber auch die Trainerarbeit. In die Richtung hab ich fortan kommuniziert, mich reingearbeitet und viele gute Gespräche geführt, auch mit Christian Heidel. Im Winter hat er sich an mich erinnert.
Wie sehen Ihre Aufgaben jetzt aus?
Schmidt: Es sind im Grunde ähnliche Themen wie als Trainer, die Kaderentwicklung steht im Mittelpunkt. Jetzt in der neuen Rolle fällt aber das Tagesgeschäft auf dem Platz weg. Ich fungiere eher als Bindeglied zwischen dem Trainingsbetrieb und dem Sportvorstand Christian Heidel. Außerdem habe ich zusätzlich administrative Aufgaben, die nun als Sportdirektor auf mich zukommen. Mit meinen Erfahrungen aus dem Trainerjob und als Unternehmer in der Schweiz kann ich mich positiv für Mainz 05 einbringen.
Macht Ihnen die Stelle als Sportdirektor mehr Spaß als als Trainer?
Schmidt: Es ist ein anderer Spaß. Ich bin weiterhin im Fußball, den ich liebe, habe aber andere Aufgaben. Man redet früh schon über interessante Spieler, denkt über Leihen nach, die Organisation oder das Scouting. Man sagt ja so schön man lernt nie aus – deshalb sauge ich so viel an Erfahrung auf wie möglich.
Hätten Sie den Job auch bei einem anderen Verein als Mainz angenommen?
Schmidt: Ich war offen, hatte aber ehrlich gesagt nicht erwartet, dass sich ein Wechsel auf die strategische Ebene im Profifußball so schnell für mich ergeben würde. Dass es auch noch Mainz 05 war, hat für mich den Nagel auf den Kopf getroffen.
Was macht Mainz für Sie so besonders?
Schmidt: Die Vergangenheit. Hier wurde ich vom Schweizer Nachwuchstrainer über die Mainzer U23 zum Cheftrainer in der Bundesliga. Ich habe acht Jahre in der Mainzer Altstadt gewohnt und eine enge Bindung zur Stadt entwickelt.
Lassen sich die Standorte Mainz und Augsburg vergleichen?
Schmidt: Ja, ganz klar. Die beiden Städte sind sich in vielen Punkten ähnlich, die Leute sind sehr offen und freundlich, inmitten einer wunderschönen Altstadt. Vor allem aber die Herangehensweise beim Fußball ist ähnlich. Die wirtschaftliche Lage und die Rolle in der Bundesliga lassen sich auch gut vergleichen.
Hatte die Entlassung beim FCA weh getan vor gut eineinhalb Jahren?
Schmidt: Es ist nie schön, wenn man als Trainer eine Freistellung bekommt. Das war zum Start der Corona-Zeit, das hat es noch spezieller gemacht. Aber zumindest war die Verarbeitung dadurch einfacher, weil alles stillstand. Ich war in der Heimat bei meiner Familie in den Walliser Bergen und konnte das gut einordnen. Die Entscheidung zu dem Zeitpunkt war eher überraschend als enttäuschend.
Sie wurden nach einem guten Spiel in München entlassen.
Schmidt: Es war schon die Spiele zuvor gut, mit klarer Aufwärtstendenz. Deshalb war der Zeitpunkt sehr überraschend, auch für mich.
Haben Sie noch Kontakte nach Augsburg?
Schmidt: Ja, nicht nur rund um den Verein, sondern auch privat. Aber auch noch mit Kollegen vom ehemaligen Trainerteam, denn durch einen Stellenwechsel hören Freundschaften ja nicht auf.
Ihr zweites Spiel als FCA-Trainer war im April 2019 gegen Stuttgart. Es gelang ein 6:0-Sieg, wodurch Markus Weinzierl seinen Job beim VfB los war. Nun kommt es zum Wiedersehen.
Schmidt: Es spielt Mainz gegen Augsburg, es geht um Punkte im hier und jetzt. Ich kenne Markus Weinzierl natürlich, aber solche Dinge habe ich nicht im Kopf. Ich sitze während des Spiels auch nicht auf der Bank, unser Trainer ist Bo Svensson.
Sind Sie mit Absicht nicht auf der Bank?
Schmidt: Mit voller Absicht. Der Trainer ist der Chef. Die Coaching-Zone ist der Bereich des Trainers. Ich war auch bislang erst zweimal in der Trainingskabine: Bei meinem Antritt im Winter und zum Saisonstart im Sommer.
Ist das eine Lehre aus Ihrer Zeit in Augsburg, wo Stefan Reuter sehr nah an der Mannschaft ist?
Schmidt: Nein, das hält übrigens ohnehin jeder Verein anders. Hasan Salihamidzic sitzt bei den Bayern auf der Bank, Max Eberl in Gladbach oder Michael Zorc in Dortmund. Auch Christian Heidel saß damals bei Mainz ganz links auf der Bank. Ich will aber bewusst die Distanz, gerade weil ich eine Vergangenheit als Trainer habe. Die räumliche Distanz ist mir lieber, auch weil dann nach außen noch klarer ist, dass Bo der Chef der Mannschaft ist und ich nun in anderer Rolle arbeite.
Wohin kann der Weg in dieser Saison für Mainz führen?
Schmidt: In der Rückrunde waren wir Fünfter, aber das war auch eine Fabelrückrunde und es hat einfach alles gepasst. Die Wahrheit sollte im breiten Mittelfeld liegen, so zwischen dem achten und zwölften Platz. Wir sind auf einem Weg der Entwicklung, und den wollen wir weiterhin so erfolgreich wie möglich bestreiten.
Wie sind Sie in Mainz durch Corona gekommen, vor allem finanziell? Viele Bundesligisten haben sehr gelitten.
Schmidt: In Mainz wurde und wird gut gewirtschaftet. Wir konnten auch ohne Spielerverkäufe den Kader weitgehend nach unseren Wünschen ergänzen und abändern. Dass man aber dennoch ein Minus schreibt, ist bei einer Pandemie solcher wirtschaftlichen Tragweite nicht zu verhindern. Wir müssen den finanziellen Rahmen wieder aufbauen, um auf das Level vor Corona zurückzukommen. Natürlich hält man sich in einer solchen Zeit mit Investitionen zurück und schaut, was man einsparen kann. Wir wollen zudem die Stadionauslastung wieder erhöhen und haben es uns zu einer unserer wichtigsten Aufgaben gemacht, die Fans wieder für Mainz 05 zu gewinnen.