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FC Augsburg: Das Lebenswerk des Walther Seinsch

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Das Lebenswerk des Walther Seinsch

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    Walther Seinsch ist als Präsident des FC Augsburg zurückgetreten.
    Walther Seinsch ist als Präsident des FC Augsburg zurückgetreten. Foto: Klaus Rainer Krieger

    Und dann war er weg. Einfach so. Kein großer Auszug, keine tränengetränkte Abschiedsrunde.

    Der Gastronomie-Bereich der Augsburger Arena hatte sich weitgehend geleert. Fast alle der 600 Mitglieder des FC Augsburg, die am Mittwoch die Jahreshauptversammlung besucht hatten, waren schon gegangen. Genauso die unglaublich erfolgreiche Mannschaft, die bereits viel früher mit tosendem Beifall entlassen worden war – damit sie sich auf das Spiel in Köln vorbereiten kann...

    Nur einige FCA-Funktionäre standen noch in dem weitläufigen Raum, der sich hinter der VIP-Tribüne erstreckt. Eine Gruppe Journalisten hatte sich um den neuen Mann geschart, wollte wissen, was der Nachfolger zu sagen hatte (siehe Artikel unten).

    Walther Seinsch aber war gegangen. Nicht heimlich, aber doch still und leise. Nein, Interviews wolle er keine geben, hatte er zuvor noch gesagt. Höflich, aber bestimmt. Was er sagen wollte, hatte er eineinhalb Stunden vorher ausgesprochen. „Das ist mein letzter Tag als FCA-Präsident.“ So hatte er seine Rede vor einem verblüfften Publikum begonnen.

    Walther Seinsch hatte sich immer mehr zurückgezogen

    Nur eine Handvoll Eingeweihter hatte vor diesem Abend gewusst, was kommen würde. Im Nachhinein lässt sich leicht sagen: Man hätte es ahnen können. Denn in den vergangenen Jahren hatte sich Walther Seinsch immer weiter vom FCA zurückgezogen. Wie weit, das war aber für den Außenstehenden nicht abzuschätzen.

    Denn Walther Seinsch war nicht der Funktionärs-Typ „Sonnenkönig“. Dem heute 73-Jährigen ging es nie um den großen Auftritt vor Kameras und Mikrofonen. Sein Gesicht sah er ungern in den Medien. Der Hinweis auf sein Leben vor dem FCA war ihm unangenehm. Dass er, der Mann aus einfachen Verhältnissen, in der Textilbranche zu veritablem Vermögen gekommen war – Seinsch wollte das ungern lesen. Er war tief besorgt, dies könnte seine Familie (neun Kinder, davon sechs adoptiert) gefährden.

    Im Umfeld der Spiele „seines“ FCA tauchte Seinsch in den vergangenen Jahren immer seltener auf. Den Zweitwohnsitz in Augsburg, den er während der 14 Jahre an der Spitze des Vereins zwischenzeitlich besaß, hat er schon vor längerer Zeit wieder aufgegeben.

    Seinsch: "Ne Kinder, es ist gut jetzt"

    Walther Seinsch entwickelte sich im FCA zu einem Phantom. Selten gesichtet, aber über allen und allem schwebend. Selbst für seine engsten Mitarbeiter war er zuletzt nur noch schwer greifbar. Telefonanrufe in Telgte bei Münster oder in Lindau am Bodensee, wo Seinsch jetzt wieder lebt, seien in neun von zehn Fälle unbeantwortet geblieben. Immerhin, irgendwann habe er dann doch zurückgerufen.

    Weggefährten berichten, dass Walther Seinsch in diesen Telefonaten immer öfter von Rücktritt gesprochen habe. Vor drei Wochen hatte sich das Führungsteam dann noch einmal mit ihm persönlich getroffen, wollte ihn umstimmen. „Ne Kinder, es ist gut jetzt“, antwortete Seinsch.

    FCA-Präsident litt an Depressionen

    Den 73-Jährigen plagen gesundheitliche Probleme. Anfang 2010 hatte Seinsch in einem Interview mit unserer Zeitung öffentlich gemacht, dass er an Depressionen leidet. Er hat später zwar von Fortschritten bei der Behandlung gesprochen. Aber völlig aus dem Einflussbereich des „schwarzen Hundes“ konnte er sich wohl bis heute nicht befreien. Vertraute berichten, dass er den Umgang mit den vielfältigen Problemen eines Profi-Klubs immer mehr als Last empfand: „Er wollte sich einfach nicht länger mit negativen Dingen auseinandersetzen müssen.“

    Walther Seinsch hat über viele Jahre hinweg viele Probleme gelöst und viel erreicht. Erst kürzlich hat er vorgerechnet, er habe in seiner Zeit in der Textilbranche eigentlich 150 Jahre gearbeitet – wenn man seinen Einsatz auf eine 35-Stunden-Woche übertrage.

    Der Vorruhestand wurde zum Unruhestand

    Deshalb verabschiedete er sich 1998, im Alter von 57 Jahren, in den selbst gewählten Vorruhestand. Der entwickelte sich bald zum Unruhestand. Seiner Frau ging der Hausmann Seinsch bald nur noch auf die Nerven. Im Fußball suchte der Fan Seinsch neue Aufgaben und Beschäftigung. Es gab Annäherungen an Schalke 04 und den SSV Reutlingen. Aber dort wollten sie auf seine Ideen nicht eingehen.

    Beim FC Augsburg hatten sie gar keine andere Wahl. Der Verein war im Jahr 2000 in die vierte Liga abgesackt, war von der Insolvenz bedroht. Der FCA war ein Ertrinkender, der verzweifelt einen Rettungsring suchte. Ein Sportredakteur unserer Zeitung gab den Tipp, besorgte die Telefonnummer, unter der Seinsch zu erreichen war.

    Seinsch unterwarf den FCA einem strengen Budget-Diktat

    Typisch Walther Seinsch: Er hat lange überlegt, ob er in Augsburg einsteigt. Seinsch ist einer, der schon fast peinlich-penetrant von der romantischen Seite des Fußballs schwärmen kann, vom Zusammenhalt der Fans in guten und besonders in schlechten Zeiten, von der Solidarität auf den Rängen, davon, wie Siege gefeiert und Niederlagen ertränkt werden. Aber er ist auch einer, der fast ansatzlos auf kühlen Geschäftsmann-Modus umschalten kann.

    In den Anfangsjahren hat Seinsch im Fußballgeschäft noch einiges Lehrgeld zahlen müssen. Aber er hat immer versucht, das Geld nicht aus dem Fenster zu werfen. Der Verein war einem strengen Budget-Diktat unterworfen. Nie mehr ausgeben als einnehmen, lautete das Credo, vorgegeben von Seinsch, viele Jahre kongenial umgesetzt vom Manager Andreas Rettig.

    Insbesondere der Nachwuchsbereich musste deshalb lange hinten anstehen. Vordringliche Ziele waren der Erfolg der Profis und der Neubau eines Stadions.

    Seinsch hat dafür im Lauf der Jahre einen Millionenbetrag in mittlerer zweistelliger Höhe investiert. Irgendwann einmal, wenn der FCA an die ganz großen Geldtöpfe des Profifußballs herangekommen sein sollte, würde sich das Investment auszahlen.

    So die Rechnung. Die nicht aufgeht. Seinsch hat zugestimmt: Er erhält 16 Millionen Euro vom FCA. Damit sind seine Gewinn-Ansprüche aber vorzeitig abgegolten.

    Für Kaufmann Seinsch war der FCA eigentlich kein gutes Geschäft

    Für den Kaufmann Seinsch war der FCA letztlich kein gutes Geschäft. Für den Fan und Visionär Seinsch dagegen vermutlich das beste seines Lebens.

    Denn er konnte den vielen Skeptikern, die ihn zunächst nur als verrückten Schaumschläger abgetan hatten, zeigen: Seine These, ein Verein könne nur mit einem modernen Stadion im Profifußball überleben, ist richtig, sein Geschäftsmodell funktioniert.

    Auf dem Weg zu diesem Ziel war Seinsch kein bequemer Begleiter. Sein oft seltsames Verständnis von Humor und Ironie hat Beobachter immer wieder mal ratlos bis peinlich berührt hinterlassen. Sein Verhältnis zu weiten Teilen der Presse war bald unterkühlt. Einige Journalisten strafte er mit eisiger Missachtung. In den vergangenen Jahren mochte er Anfragen, wenn überhaupt, dann fast ausschließlich nur noch schriftlich beantworten.

    Im FCA haben sie ihn respektiert und wohl auch ein bisschen gefürchtet. Seine Personalpolitik war von einer illusionslosen Prämisse geprägt: „Acht von zehn Personalentscheidungen sind falsch“, hatte Seinsch bereits zu Beginn seiner Augsburger Zeit einmal lapidar gesagt.

    Seinsch hat seine Fehler bei der Personalauswahl stets umgehend korrigiert. Eine Reihe von Trainern und Managern hat er vor die Tür gesetzt. „Rumms, da waren sie weg“, beschrieb FCA-Aufsichtsratschef Peter Bircks in seinen Abschiedsworten vor der Versammlung dieses Vorgehen. Eine Mischung aus Bewunderung und Verwunderung ließ sich da heraushören.

    Klaus Hofmann als "idealer Nachfolger"

    Der seriöse Kaufmann Seinsch, der emotionale Fan Walther – die zwei Seiten einer respektierten und bewunderten Person. Aber wurde er auch geliebt? Am Mittwoch spendeten die von der Entwicklung überrollten FCA-Mitglieder viel, viel Beifall. Die ganz großen Stürme der Emotionen sind ausgeblieben. Lediglich der altgediente Fußball-Funktionär Armin Klughammer, der das obligatorische Prozedere der Entlastung der Vorstandschaft leitete, hatte Mühe, am Mikrofon seine Tränen zurückzuhalten.

    Auch Walther Seinsch selber gab sich noch einmal betont cool, gewohnt flapsig. Er sei jetzt ein alter Sack. Und in Klaus Hofmann bekomme der Verein nicht nur einen „idealen Nachfolger“, sondern auch einen „drahtigen Fußballverrückten“. Nur Details deuteten an, dass auch Seinsch der Moment des Abschieds ans Herz ging. Die Hand, die kurz übers Gesicht fuhr, die Verbeugung in den Beifall der Mitglieder hinein, die Umarmung mit Peter Bircks.

    Am Ende, nachdem am Mittwoch das Schlusswort der Jahreshauptversammlung gesprochen war, als sich der Saal leerte, stand Walther Seinsch noch einmal für Erinnerungsfotos mit Fans bereit.

    Und dann war er weg. Was bleibt, ist ein großartiges Lebenswerk.

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