Martin Hinteregger ist, anders als die meisten anderen Fußballer, in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Das ist erst mal die neutrale Sichtweise. Je nachdem, welche Aspekte man in die Bewertung einfließen lässt, kann daraus auch werden: Hinteregger ist authentisch. Etwa dann, wenn der Österreicher in Interviews klarer und offener ist als seine Berufskollegen. Das Pendel kann aber auch in eine andere Richtung ausschlagen, nämlich: Hinteregger, der hat sie doch nicht mehr alle. Etwa dann, wenn sich der 29-Jährige wieder einen seiner Fehltritte geleistet hat.
Bei seinem aktuellen Club Eintracht Frankfurt war er lange der Liebling der Fans, in der jüngsten Zeit änderte sich das angesichts mehrerer Entgleisungen aber deutlich. Vor allem bei seinem Arbeitgeber dürften die Aktien des Österreichers einen Sinkflug hingelegt haben: Obwohl er mehrfach Interviews gab, war er für seinen Club nicht zu sprechen. Am Donnerstag schließlich fand ein lange anberaumtes Gespräch zwischen Hinteregger und der Vereinsführung statt. Das Ergebnis ist das, was man gemeinhin als Paukenschlag bezeichnet: Der Österreicher gab bekannt, seine Karriere umgehend zu beenden, mit gerade mal 29 Jahren und trotz eines Vertrags bis 2024.
Hinteregger habe sich schon länger Gedanken ums Karriereende gemacht
In der offiziellen Stellungnahme des Bundesligisten liest sich das recht harmonisch. Hinteregger wird darin zitiert, dass er bereits im Herbst mit dem Gedanken gespielt habe, nach der Saison aufzuhören. Er habe sich in einem Leistungsloch befunden. "Die Siege haben sich nicht mehr so gut angefühlt, dafür tat jede Niederlage doppelt so weh." Den Sieg in der Europa League habe er "deswegen so ausgiebig genossen, weil ich da schon wusste, dass es meine letzte große Siegesfeier mit den fantastischen Fans" sein würde.
Dennoch ist es kein Geheimnis, dass die Liebe zwischen der Eintracht und dem einstigen Publikumsliebling und Leistungsträger in den jüngsten Wochen stark abgekühlt ist. Und das weniger wegen schwankender Leistungen. Vielmehr mit mehreren fragwürdigen Aussagen und Handlungen hatte der Österreicher sein Image stark beschädigt. So sorgte er kurz nach Saisonfinale für Aufsehen, als er in einem Interview davon sprach, dass die Eintracht ihn hätte loswerden wollen. Ärger hatte es auch deswegen gegeben, weil Hinteregger die Feier über die gewonnene Europa League bis in die Morgenstunden ins Frankfurter Bahnhofsviertel verlegt hatte und deswegen einen offiziellen Vereinstermin versäumt hatte.
Der Ärger um den "Hinti-Cup" brachte das Fass zum Überlaufen
Zum Eskalieren brachte die Lage ein vermeintlich harmloses Hobbyturnier, das Hinteregger in seinem Heimatdorf Sirnitz organisiert hatte: den "Hinti-Cup". Dazu hatte der Profi mit dem ehemaligen FPÖ-Politiker Heinrich Sickl eine GmbH gegründet. Dieser war in der Vergangenheit wegen rechtsextremer Äußerungen aufgefallen. Hinteregger distanzierte sich nur halbherzig von den Beziehungen zu Sickl: "Ich weiß, dass er FPÖ-Politiker war, was in Österreich ja nichts Schlimmes ist. Ich habe ihn als positiven, netten Menschen kennengelernt." Stattdessen kritisierte der Kicker den Journalisten, der die geschäftlichen Beziehungen zu Sickl aufgedeckt hatte, als "linksextrem".
Eintracht Frankfurt hatte Hinteregger in dieser Zeit vergeblich versucht, zu erreichen – der Gesprächsbedarf wurde aber mit jeder neuen, unabgesprochenen Aussage des kickenden Angestellten größer. Vor allem deswegen, weil die Hessen sich in der Vergangenheit immer wieder klar von rechtsextremem Gedankengut distanziert hatten. Präsident Peter Fischer etwa hatte vor einigen Jahren betont: "AfD-Wähler können bei Eintracht Frankfurt nicht Mitglied sein." Eine Zukunft Hintereggers bei den Hessen schien angesichts des täglich größer werdenden Wirbels immer unwahrscheinlicher.
Schon in seiner Zeit beim FC Augsburg galt Hinteregger als wichtiger Spieler, der aber immer wieder aneckte. Wegen eines kritischen Interviews über seinen damaligen Trainer Manuel Baum wurde er suspendiert und dann nach Frankfurt verliehen. Als er nach einem halben Jahr in Hessen wieder zurückkam und mit dem FCA ins Trainingslager nach Tirol fuhr, tauchte ein Video auf, das ihn betrunken und torkelnd auf einem Dorffest zeigt. Nach dem Vorfall war Hinteregger in Augsburg nicht mehr zu halten. Die Eintracht, deren Fans das Lied "Hinty Army" auf ihn gedichtet hatten, bekam ihren Willen und verpflichtete den Österreicher. Der Innenverteidiger zahlte zwar mit Leistung zurück, hatte aber immer wieder Probleme mit der Disziplin. Schon drei Monate nach seiner festen Verpflichtung flog er aus dem Kader der österreichischen Nationalmannschaft, weil er seinen Geburtstag nach eigenen Angaben zu lange feierte und erst kurz vor der Abreise der Mannschaft ins Teamhotel zurückgekehrt war.
Lange Zeit schien es, als ob Hinteregger, der an guten Tagen nicht nur ungewöhnlich, sondern eben ein sehr guter Bundesligaverteidiger ist, bei Eintracht Frankfurt mit seiner maximal emotionalen Fanbasis sein ideales Habitat gefunden habe. Bemerkenswert dabei ist ein Interview, das er erst kürzlich gegeben hatte. Darin sprach der Österreicher davon, dass er am liebsten bis zum Karriereende bei Eintracht Frankfurt bleiben wolle. Diese Aussage wirkte wie ein verzweifelter Versuch, das Verhältnis zum Club zu kitten. Mittlerweile ist klar: Was ihren Inhalt angeht, sollte Hinteregger recht behalten.