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Europapokal: Alle Augen auf eine Holzscheibe

Europapokal

Alle Augen auf eine Holzscheibe

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    Robert Schaut wirft die Münze und alle verfolgen gebannt, auf welche Seite sie fällt. Ein derartiges Spektakel kann man schon zwei mal vollführen.
    Robert Schaut wirft die Münze und alle verfolgen gebannt, auf welche Seite sie fällt. Ein derartiges Spektakel kann man schon zwei mal vollführen. Foto: Imago

    Die Scheibe war aus Holz und so groß wie eine Fünf-Mark-Münze, eine Seite war rot, die andere weiß. Sie sorgte dafür, dass der 1. FC Köln das dramatischste Europapokalspiel seiner Geschichte verlor. Am 24. März 1965 wurde der Wettbewerb, der heute Champions League heißt, zur Lotterie. 

    Es war der Schlussakt eines historischen Fußball-Dramas, das von Beginn an Legendenstoff bot. Im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister traf der 1. FC Köln als erster deutscher Bundesliga-Meister im Viertelfinale auf den englischen Titelträger FC Liverpool. Der Wettbewerb war erst neun Jahre zuvor von der UEFA eingeführt worden, doch die Idee des französischen Journalisten Gabriel Hanot hatte die Fußballfreunde in Europa auf Anhieb in ihren Bann gezogen. 

    100 Millionen sahen die Partie im Fernsehen

    Flutlicht, Fernsehen und Flugverkehr machten den Siegeszug möglich und brachte die besten Mannschaften des Kontinents in einem schnörkellosen K.o.-Wettbewerb zusammen. Die rasante Verbreitung des Flutlichts erlaubte Abendspiele in den Wochen zwischen den Liga-Wochenenden. Dazu entdeckte das neue Massenmedium Fernsehen den Fußball als Attraktion. 

    Auch das Spiel zwischen Köln und Liverpool am 24. März 1965 wurde nach der feierlichen Eurovisions-Hymne live in zehn Länder des Kontinents übertragen, 100 Millionen Menschen sahen so den Showdown eines Duells, das in Hin- und Rückspiel torlos geblieben war, aber zweimal hochklassigen Fußball geboten hatte. Dass das Rückspiel an der Anfield Road erst im zweiten Versuch stattfinden konnte, weil ein plötzlicher Schneesturm die Absage der ersten Ansetzung herbeigeführt hatte, ist nur noch eine Randnotiz. 

    Das ist verständlich angesichts der Dramaturgie des Entscheidungsspiels, das nach dem Punkt- und Torgleichstand vom Uefa-Reglement vorgeschrieben war und an einem neutralen Ort ausgetragen werden musste. Der FC Liverpool – mit vier schottischen Stars im Team – schlug den Hampden-Park in Glasgow vor, der 1. FC Köln wünschte sich das nahe Rotterdam, das – ohne Begründung – den Zuschlag bekam. 

    Wolfgang Weber spielt mit einem Wadenbeinbruch

    Das Interesse an der Partie war in Köln gewaltig: Fünf Sonderzüge mit knapp 4.000 Fans an Bord, Dutzende von Bussen und Tausende von Autos brachten über 20.000 Kölner ins nahezu ausverkaufte Stadion „De Kuip“. Schon zur Pause schien alles verloren: Die Kölner lagen mit 1:2 zurück und hatten einen ihrer besten nicht mehr auf dem Platz. Wolfgang Weber war nach einem Zusammenprall mit Milne in die Kabine gehumpelt. 

    Dort bekam der „Bulle“, wie der Jungprofi wegen seines Kampfgeistes genannt wurde, eine schmerzstillende Spritze und unterzog sich einem Belastungstest: Er sprang von der Massagebank, das lädierte rechte Wadenbein hielt – „unter höllischen Schmerzen“, wie es Weber oft beschrieben hat – stand, die Verletzung wurde als schwere Prellung eingeschätzt und Weber trat zur zweiten Halbzeit wieder an, Auswechslungen waren noch nicht erlaubt. Tatsächlich war das Wadenbein gebrochen.

    Weber quälte sich als Stürmer über die Runden. Seine Willenskraft war auch ein Signal für Mitspieler und Fans, dazu hatte der Anschlusstreffer von Karl-Heinz Thielen kurz vor der Pause den Kölnern Mut gegeben. Nach dem verdienten Ausgleich durch Hannes Löhr war der deutsche Meister dem Siegtor näher – und erzwang es auch: Doch der von Heinz Hornig erzielte Treffer wurde von Schiedsrichter Robert Schaut aus Belgien nicht anerkannt; eine höchst fragwürdige Entscheidung.

    Auch nach einer hektischen Verlängerung stand es 2:2 – und nun sahen die Regeln den Losentscheid vor. Schiedsrichter Schaut warf auf dem Platz in der Nähe des Mittelkreises, bedrängt von den Mannschaftsführern, Funktionären und Journalisten, die rot-weiße Scheibe in die Luft; der Belgier hatte die rote Seite dem FC Liverpool zugewiesen. Beim ersten Versuch blieb die Scheibe senkrecht im morastigen Rasen stecken, erst im zweiten Anlauf fiel die Entscheidung. 

    „Ich möchte jetzt nicht Spielführer sein... es ist eine solche Spannung... Da ist das Los gefallen! Wer gewinnt? Wer gewinnt? Wer ist es? Wer ist es? Wer gewinnt? Wer gewinnt? Muss auch das wiederholt werden? Ja, es muss wiederholt werden! Und… Liverpool gewinnt! Liverpool ist eine Runde weiter! Wenn je eine Mannschaft unglücklich vom Platz gegangen ist, dann die Kölner.“ So kommentierte WDR-Reporter Ernst Huberty atemlos die entscheidenden Sekunden. 

    Zwischen 1957 und 1970 wurden die Sieger von 17 Duellen in den europäischen Klubwettbewerben auf diese Weise bestimmt. Seit der Saison 1970/71 ist das Elfmeterschießen die letzte Instanz, die in einem deutsch-englischen Duell Premiere hatte: Am 4. November 1970 verlor Borussia Mönchengladbach im Goodison-Park in Liverpool gegen den FC Everton im Elfmeterschießen. 

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