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Erwin Kostedde war der erste Schwarze in der Fußball-Nationalmannschaft

Fußball

Vor 50 Jahren schrieb Erwin Kostedde Fußball-Geschichte

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    Erwin Kostedde trug dreimal das Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, hier gegen Griechenland.
    Erwin Kostedde trug dreimal das Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, hier gegen Griechenland. Foto: Imago Images

    Monique Kostedde ist irritiert, als nach der Trikotgröße gefragt wird. Wenige Tage vor Weihnachten im Jahr 1974 soll sie frank und frei die Konfektionsgröße ihres Mannes der Frau am Telefon sagen. So erfährt sie als Erste, bevor die Post per Einschreiben eingetrudelt ist, dass es ihr Mann geschafft hat. Erwin Kostedde ist 28 Jahre alt, als er erstmals in die deutsche Fußball-Nationalelf berufen wird. Co-Trainer Jupp Derwall, der den erkrankten Cheftrainer Helmut Schön vertritt, will den Angreifer von Kickers Offenbach im Aufgebot wissen – gegen Schöns Vorstellung, aber mit dem „Segen“ des Kaisers. Franz Beckenbauer spricht sich für Offenbachs Tormaschine auf. Am 22. Dezember wird der erste Schwarze Nationalspieler Deutschlands in Valletta gegen Malta debütieren. „Wir waren perplex, obwohl ich immer auf diesen Anruf gewartet habe“, sagt Kostedde, es berührt ihn immer noch.

    Kostedde feierte unter widrigsten Platzverhältnissen sein Debüt

    22. Dezember 1974: Irgendwie passt die heute Empire-Stadium in Gzira genannte Arena zu Kosteddes Lebensweg. Es ist ein Hartplatz ohne einen einzigen Grashalm, hier wird Fußball gespielt, werden Märkte ausgerichtet, Militär-Paraden und Hunde-Rennen abgehalten. Unvorstellbar heute, aber Beckenbauer & Co. müssen dort ran, Bernd Cullmann trifft zum Sieg, Kostedde feiert unter widrigsten Platzverhältnissen ein ordentliches Debüt im schwarz-weißen Trikot.

    „Ich habe mich immer als Deutscher gefühlt, trotz meiner Hautfarbe. Das war meine Sehnsucht, einmal für Deutschland spielen zu dürfen“, erzählt der Ruheständler. Ehefrau Monique ist vor einigen Jahren gestorben nach einem langen Kampf gegen den Krebs. Nun lebt Erwin Kostedde im Osten von Münster, sein Sohn ist ihm geblieben. Auch Hund Jimmy ist gestorben, mit dem er tagtäglich seine Runde im Ort gedreht hat – Jimmy hielt auf Trab. „Wie es mir geht?“ Er lacht kurz auf und meint, so wie immer, wie seit Jahren, seit Jahrzehnten. Nicht wirklich gut, er kommt so durch, nun lebt er praktisch allein und zurückgezogen.

    An Gerd Müller war kein Vorbeikommen

    Kostedde gilt als einer der Kandidaten für eine Art Interregnum. Gerd Müller ist nach dem zweiten WM-Titel 1974 zurückgetreten. Kostedde, der „deutsche Pele“, ist im besten Fußballeralter, er trifft regelmäßig zweistellig in der Bundesliga über sieben Spielzeiten. „An Gerd Müller wäre keiner vorbei gekommen, ein toller Mensch“, blickt Kostedde zurück. Aber auch: „Ohne ihn als Konkurrenz hätten es mehr als nur diese drei Länderspiele werden müssen, sicherlich 20 oder 30.“ Die EM 1976 in Tschechien und die WM 1978 in Argentinien waren in Reichweite. Doch nach Malta (1:0), in Wembley gegen England (0:2) und dann gegen Griechenland (1:1) in Düsseldorf endet die kurze Affäre mit der Nationalelf für Erwin Kostedde ohne Torerfolg und Nachhaltigkeit.

    „Das war eine große Ehre für mich, es hat mich stolz gemacht und ich habe nichts draus gemacht“, lautet sein Dreiklang. Ehre, Stolz, Scheitern, so fühlt sich das für ihn auch heute noch an. Er sei „nicht fest gewesen“, habe zu oft an sich gezweifelt, und: „Ich war mir nicht sicher, ob ich gewollt war.“ Dem damaligen DFB-Chef Hermann Neuberger wurde nachgesagt, dass er Schwarzen nicht die Hand geben wollte. Gegenpol war Nationalelf-Kapitän Franz Beckenbauer, der sich für Kostedde starkgemacht hatte.

    Die drei Länderspieleinsätze runden tatsächlich eine eher ruhige Phase im bewegten Leben von Erwin Kostedde ab. Von 1968 bis 1975 spielt er nur für drei Vereine mit Standard Lüttich, Kickers Offenbach und Hertha BSC. Belgien buhlt als einstige Kolonialmacht um ihn. Kostedde sagt Nein, weil: „Ich habe mich mal bei einem Auswärtsspiel in Belgien über die Umkleidekabine beschwert, da hat mir einer meiner Mitspieler den Hitler-Gruß gezeigt. Ausgerechnet mir.“

    Der Aufbruch in ein sorgenfreies Leben gelingt Kostedde nicht

    Praktisch nach dem dritten und letzten Länderspiel beginnt die Wanderschaft Kosteddes durch Klubs, er muss bis zum allerletzten Tag spielen, weil sein Geld in dubiosen Wertanlagen versickert. Als er beim VfL Osnabrück 1983 aufhört, ist der Körper geschunden und das Konto leer. Der Aufbruch in ein ruhiges und sorgenfreies Leben gelingt nicht. „Damals wie heute gilt, dass ein Schwarzer besser sein muss als die anderen, damit er respektiert wird“, blickt er nun zurück. Und doch fügt er mit großer Härte gegen sich selbst an: „Die Schuld, wie mein Leben gelaufen ist, gebe ich mir, niemandem anderen.“

    Erwin Heinrich Kostedde wurde am 21. Mai 1946 in Münster geboren. Er ist verwitwet und hat einen Sohn. Als Profi spielte er zwischen 1965 und 1983 für Preußen Münster, MSV Duisburg, Standard Lüttich, Kickers Offenbach, Hertha BSC, Borussia Dortmund, Union Solingen, Stade Laval, Werder Bremen und den VfL Osnabrück. In 219 Bundesliga-Spielen erzielte er 98 Tore, in der 2. Bundesliga kam er 108 Mal zum Einsatz und schoss 69 Tore. Dazu kommen drei Länderspiele ohne Treffer. Kostedde wurde dreimal belgischer Meister (1969, 1970, 1971), stieg mit Kickers Offenbach (1972) und Werder Bremen (1981) in die Bundesliga auf.

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