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ERC Ingolstadt: Die Antreiberin

ERC Ingolstadt

Die Antreiberin

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    Hat die „harten Jungs“ voll im Griff: Seit Beginn der vergangenen Saison arbeitet Maritta Becker (rechts) als Fitness- und Koordinationstrainerin beim ERC Ingolstadt. Dabei arbeitet die ehemalige Top-Eishockey-Spielerin unter anderem mit Torhüter Marco Eisenhut (links) zusammen.
    Hat die „harten Jungs“ voll im Griff: Seit Beginn der vergangenen Saison arbeitet Maritta Becker (rechts) als Fitness- und Koordinationstrainerin beim ERC Ingolstadt. Dabei arbeitet die ehemalige Top-Eishockey-Spielerin unter anderem mit Torhüter Marco Eisenhut (links) zusammen. Foto: Fabian Huber

    Der Tag hat noch gar nicht so richtig angefangen, da hat Marco Eisenhut das Gesicht bereits zu einer angestrengten Grimasse verzogen. Zum fünften Mal schon muss er auf wackligen Schaumstoffplatten herumspringen, dabei einen vier Kilo schweren Medizinball fangen. Er rudert hilfesuchend mit den Armen. Die Anstrengung lässt sich an seinen aufgeplusterten Oberschenkelmuskeln ablesen. Es ist 9.30 Uhr. Arbeitsbeginn eines Eishockey-Profis. Und das heißt: Zeit fürs Warm-up. Im Kabinentrakt des ERC Ingolstadt herrscht reger Betrieb.

    „Und hopp! Schau, dass du etwas höher springst!“, ruft Fitnesstrainerin Maritta Becker sanft, aber bestimmt. Ihre goldblonden Haare hat sie zu einem Dutt zusammengebunden, T-Shirt und Jogginghose hüllen sich über einen sportlichen Körper. Um Eisenhut zum Schwitzen zu bringen, braucht sie zehn Minuten. Für ihn, Stammtorhüter Timo Pielmeier und Bastian Kucis, Goalie des Kooperationspartners aus Kaufbeuren, hat sie in einem Zwischenraum der Katakomben drei Stationen aufgebaut: Schaumstoffmatten, Hürden und halbe Gymnastikbälle, auf denen sie balancieren müssen.

    Seit zwei Jahren ist die 34-jährige Heilbronnerin schon Athletiktrainerin des ERCI. Ein unersetzbares Puzzleteil, voll emanzipiert in einer Sportart, die gemeinhin als Männerdomäne verschrien ist. Frauen und Eishockey – in den Augen vieler mag das nicht passen. Becker aber vereint beide Begriffe in Perfektion. Die 27 muskelbepackten Herrschaften hat sie im Griff.

    Während sie den Keepern Anweisungen gibt, trainieren die anderen Akteure selbstständig: Patrick McNeill liegt am Boden und dehnt seine Leiste. Benedikt Schopper wirft Medizinbälle gegen die Wand. Es knallt laut. Patrick Köppchen keucht kurz, geht aus der Kniebeuge und presst eine Langhantel – so schwer wie sein eigenes Körpergewicht – mit einem kraftvollen Stoß nach oben. Aus den Lautsprechern dröhnt Justin Biebers neuer Pop-Hit „What do you mean?“. Was bei Becker gemeint ist, wissen die Profis: Eigendisziplin. „Wirklich aufpassen muss ich nur noch bei den Jungen“, erklärt sie, während es bei Eisenhut gleich eine Korrektur gibt.

    Mit der Verpflichtung einer weiblichen Fitnesstrainerin sind die Panther nicht nur neue Wege gegangen. Sie haben sich eine wahre Größe des Damen-Eishockeys geholt: über 270 Nationalspiele, die meisten Scorerpunkte im Deutschland-Trikot, Aufnahme in die Hockey Hall of Fame als erst dritte Frau, dreifache Olympia-Teilnahme in Salt Lake City (2002), Turin (2006) und Sotschi (2014). Kurzum: Die frühere Stürmerin kann auf eine bewegte Karriere zurückblicken. Dass im Eishockey auch abseits des Eises mit harten Bandagen gekämpft wird, hat Becker schon im Kindesalter erfahren. Behaupten musste sie sich, vor allem als Frau.

    Angefangen hat alles mit einem neidischen Blick auf die drei älteren Brüder, die vom Heilbronner EC zum Schnuppertraining eingeladen wurden. „Die kleine Schwester wollte eben immer das machen, was die größeren Brüder auch tun“, erinnert sich Becker. Mit neun Jahren war sie zum ersten Mal auf dem Eis, vergleichsweise spät. ERCI-Verteidiger Benedikt Kohl beispielsweise schnürte schon im zarten Alter von vier zum ersten Mal die Schlittschuhe. Unglaublich viel Spaß habe das damals gemacht, erzählt sie mit einem Schmunzeln. Und so kam es, dass Becker, die bei diversen Mannschaftssportarten schon immer etwas begabter war als die anderen Mädchen, sich ein Jahr später in voller Eishockey-Montur wiederfand. Mitten unter Jungs.

    Komisch sei das anfangs schon gewesen. Aber sie kannte es ja nicht anders. Vier Mädchen haben kurz nach ihr mit dem Eishockey angefangen, alle schnell wieder aufgehört. Becker aber kämpfte sich durch. Weil sie Talent hatte, das ihr Trainer rechtzeitig erkannte. Mit 13 Jahren feierte sie ihr Debüt in der Nationalmannschaft. Weil sie sich mit der Teilnahme an den Olympischen Spielen ein Ziel setzte. Dreimal sollte sie es insgesamt schaffen. Das absolute Highlight ihrer Laufbahn, wie sie im Rückblick sagt. Und weil sie sich Anerkennung erkämpfen wollte. „Ich habe im Training immer versucht, Vollgas zu geben. Egal, ob mein Gegner besser oder schlechter war und habe mir dadurch Respekt erarbeitet“, sagt sie nicht ohne Stolz.

    Von der Provinz in Heilbronn ging es für Becker mit 15 in die Eishockey-Metropole Mannheim. Sie konnte dort in der Damen-Bundesliga spielen, wurde dreimal deutscher Meister. Ihren Ehrgeiz hat das nie gestillt. Nach einem einjährigen Intermezzo beim SC Riessersee zog es Becker 2001 für dreieinhalb Jahre in die Schweiz und dann nach Schweden zum AIK Solna. „Ich wollte mich weiterentwickeln“, sagt sie im Nachhinein. Enorm geprägt habe sie diese Zeit im Ausland, weil neu sein immer auch „sich durchbeißen müssen“ bedeutete.

    Doch ihr Körper war müde vom vielen Reisen, ihre Gelenke durch das harte Training verschlissen. Mit gerade einmal 28 Jahren beendete Becker 2009 vorläufig ihre Karriere und begann an der TU München ein Studium zur Sportlehrerin im freien Beruf. Absichern für die Zukunft wollte sie sich schon während ihrer Zeit in Schweden, studierte parallel Sportmanagement in Berlin, brach nach vier Semestern aber wieder ab. „Das war mir zu trocken. Ich habe gemerkt, dass ich eher die Praktische bin“, meint Becker.

    Sie sammelte Trainererfahrung während des Studiums, holte als Cheftrainerin der U18-Mädchen-Nationalmannschaft Bronze bei der Jugend-Olympiade 2012, um schließlich doch noch einmal zurückzukehren. Das Kribbeln war zu groß. Wieder war es der Ehrgeiz, der Becker antrieb: Sie wollte es noch einmal wissen, nach dem verfehlten Aufstieg bei der B-WM 2009 nicht mit einem Misserfolg aufhören. Drei Jahre hat sie das beschäftigt, ehe sie für den ESC Planegg und den ERC Ingolstadt noch zwei Spielzeiten in der Damen-Bundesliga auf dem Eis stand.

    So kam es schließlich auch zum Kontakt mit der Profi-Abteilung der Panther. Sportdirektor Jiri Ehrenberger wusste um ihre Eishockey-Erfahrung und die geballte Fitnesskompetenz durch das Sportstudium und fragte an. „Ich habe mir das zugetraut und dann auch zugesagt“, erzählt Becker. Während sie im ersten Jahr ausschließlich für das Fitness- und Koordinationstraining zuständig war, übernahm sie in dieser Saison mehr Verantwortung, organisiert Trainingspläne, teilt Eiszeiten ein und versorgt Chefcoach Kurt Kleinendorst während der Drittelpausen mit Videoclips, die sie mittels eines speziellen Programms während der Partien an ihrem Laptop schneidet. Bullys, Forecheck, Wechselverhalten: Pro Drittel kommen da knapp 100 Clips zusammen.

    Becker scheint ihre Profession gefunden zu haben. Sie wirkt zufrieden und glücklich mit dem, was sie tut. Ihr Vertrag läuft am Ende der Saison aus, bleiben würde sie gerne. „Ich unterstütze Kurt und Peppi (Heiß, Co-Trainer, Anm. d. Red.), wo es nur geht“, sagt sie. Vom Cheftrainer erhält sie für ihre Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik, wie sie es selbst beschreibt, viel Lob. „Maritta zu beobachten, wie sie ihren Job genießt, wie sie mit den Jungs redet, ist einfach toll“, schwärmt Kleinendorst. Und auch die, die Becker täglich im Kraftraum schinden lässt, finden nur positive Worte über ihre Fitnesstrainerin: „Ich bin sehr zufrieden mit ihr. Sie hat lange Eishockey gespielt und eine Menge Erfahrung. Und wenn es sein muss, dann haut sie auch mal drauf“, sagt Timo Pielmeier.

    Draufhauen kann übrigens auch Mintra Mattison. Die freiberufliche Personal-Trainerin ist bei den Hamburg Freezers angestellt und neben Becker der einzige weibliche Fitnesscoach der DEL. Sie hat schon als Drill-Instructor bei der US Army gearbeitet. Den Vergleich zum disziplinären Fanatismus scheut Becker aber: „Ich will den Spaß an der Bewegung weitergeben, dafür sorgen, dass die Jungs auf dem Eis performen. Dafür braucht es Ordnung, aber auch Eigendisziplin. Ich will nicht mit der Pfeife vor dem Team stehen und Stationswechsel rufen.“

    Dass ihr Geschlecht dabei keine Rolle spielt, ist von allen Seiten zu hören. Auch von Becker selbst. Etwas kommunikativer und einfühlsamer sei sie vielleicht, sagt aber: „Im Endeffekt ist es unwichtig, ob ich eine Frau bin. Ich war neu hier und musste mir den Respekt erst erarbeiten.“ Das hat sie schließlich ihr ganzes Leben lang getan.

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