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Eishockey: Nico Sturm, sein irres Trainingspensum und das Streben nach Perfektion

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Nico Sturm, sein irres Trainingspensum und das Streben nach Perfektion

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    NHL-Profi Nico Sturm hat sich sein Trainingsprogramm ganz auf sich zugeschneidert.
    NHL-Profi Nico Sturm hat sich sein Trainingsprogramm ganz auf sich zugeschneidert. Foto: Siegfried Kerpf

    Das Riegel-Center im Augsburger Stadtteil Hammerschmiede ist ein Zweckbau aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Über einem Supermarkt im Erdgeschoss schwitzt fast täglich einer der besten Eishockey-Spieler Deutschlands und trainiert für die Saison bei den San Jose Sharks. Immer wieder wuchtet Nico Sturm eine Hantel im Box-Käfig des Studios in die Höhe. Oder der Eishockey-Profi aus der National Hockey League (NHL) springt über Hürden, die er in seiner Tasche mitgebracht hat, obwohl mehrere Dutzend Geräte in dem weitläufigen Areal verteilt sind. Ganz offensichtlich weiß da einer genau, was er vorhat. 

    Er will es perfekt machen. Die Triumphe der Vergangenheit haben den Trophäenjäger nicht satt gemacht. Vor einem Jahr präsentierte der 28-Jährige im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses den Stanley Cup, die wertvollste Eishockey-Trophäe der Welt. In diesem Frühjahr hatte Sturm eine riesige Silbermedaille um den Hals hängen, als er mit der deutschen Nationalmannschaft von der Weltmeisterschaft in Finnland und Lettland zurückkehrte. Das erste WM-Edelmetall seit 70 Jahren.

    Nico Sturms Eishockey-Erfolge sind kein Zufall

    Als erster Gedanke schießt einem durch den Kopf: Der Mann hat eine Glückssträhne. Schließlich gehören 25 Spieler einem Eishockeyteam an. Was kann einer allein bewirken? Doch wer Sturm bei seiner Hantel-Arbeit zusieht und im fast zweistündigen Interview zuhört, erkennt: Da trainiert und denkt einer anders als die anderen. Zielstrebiger als die meisten seiner Teamkollegen. Konsequenter. Ehrgeiziger, ohne zu verkrampfen. Der Erfolg ist kein Zufall. 

    Erst den Stanley Cup, dann die WM-Silbermedaille: Nico Sturm sammelte zuletzt die Eishockeytrophäen ein.
    Erst den Stanley Cup, dann die WM-Silbermedaille: Nico Sturm sammelte zuletzt die Eishockeytrophäen ein. Foto: Siegfried Kerpf

    Sein Übungsprogramm gibt es nirgends im Internet oder in Büchern zu kaufen. Das habe er sich im Laufe der Jahre selbst zusammengestellt. Von jedem Fitnesscoach das Beste herausgepickt. "Außerdem ist Fitness mein Hobby", erzählt der Eishockey-Profi und zeigt den Trainingsplan auf mehreren Seiten Papier. Von Montag bis Samstag stählt der Stürmer seinen Körper. Vormittags vier Stunden im Kraftraum, abends noch eine Stunde Schusstraining und Stockarbeit zu Hause in Neubergheim bei Augsburg. "Ich habe Glück, dass meine Eltern einen großen Garten haben. Da haben wir so eine fette Torwand im Garten aufgebaut", erzählt der NHL-Profi. Nur der Sonntag bleibt als Freizeit. Dann geht es zur Oma zum Kaffeetrinken oder mit Kumpels auf die Augsburger Flaniermeile, in die Maximilianstraße. 

    Für Sturm ist sein irres Trainingspensum eine Selbstverständlichkeit: "Das ist halt immer die Frage: Wie viel bin ich bereit zu investieren? Ich könnte jetzt auch den ganzen Tag am Badesee herumliegen. Für die NHL reicht es dann aber nicht." Nein, er will weiter seinen Weg in Nordamerika gehen. Noch zwei Jahre läuft der Vertrag in Kalifornien, der ihm zwei Millionen Dollar pro Saison einbringt. Der Wechsel vom Stanley-Cup-Siegerteam Colorado zum NHL-Hinterbänkler San Jose war sportlich ein harter Bruch. Meist bezogen die Sharks nur Prügel. "Man hat gemerkt, dass das Team die letzten Jahre oft verloren hatte. Das zieht sich durch die Leute, durch die Kultur in einem Klub", sagt Sturm und fügt an: "Das hat mich schon ein wenig angekotzt. Wenn du vier, fünf Spiele in Folge verlierst. Und nach dem Spiel zieht sich jeder wieder an und dann steigen wir ins Flugzeug und fliegen nach Hause, als wäre nichts gewesen. Wir werden trotzdem bezahlt, aber das hat mich genervt."

    Eishockeystürmer Nico Sturm spricht Missstände an

    Auch die Trainingsintensität sei, verglichen mit Colorado, anfangs eine Katastrophe gewesen. Schulterzuckend zuzusehen ist nicht Sturms Ding. "Als junger Spieler hält man eher den Mund, und schaut sich das an. Aber mittlerweile habe ich den Stanley Cup gewonnen und über 200 NHL-Spiele absolviert. Also spreche ich Missstände auch an." Ziel ist es, dass für die Sharks nicht schon wieder im November der Kampf um die Play-offs gelaufen ist.

    Eine ganz andere Stimmung als im Klub fand Sturm bei seinem späten Debüt in der Nationalmannschaft vor. Da er in den vergangenen Jahren im Frühjahr entweder für die Collegeteams oder in der NHL gespielt hatte, feierte er im zarten Alter von 28 Jahren seine WM-Premiere. Die Siegermentalität, die Bundestrainer Marco Sturm mit dem Olympia-Silber von 2018 in Pyeongchang eingepflanzt hatte und die seine Nachfolger Toni Söderholm und aktuell Harold Kreis weiter pflegten, sei zu spüren gewesen. 

    Nach dem Sieg im WM-Viertelfinale gegen die Schweiz und dem Halbfinal-Erfolg gegen die USA folgte das Ende der Siegesserie erst im Endspiel gegen Kanada. Mit sechs Toren und zwei Vorlagen hatte der Augsburger großen Anteil an der Silbermedaille. Er selbst hatte sich keine Treffermarke zum Ziel gesetzt. Aber er wusste, dass ein Fokus auf ihm lag. "Ich glaube, viele Leute haben darauf gewartet, dass der Junge jetzt rüberkommt und mal zeigt, was er kann. Es war eine gewisse Erwartungshaltung da. Ich wollte der Mannschaft den nächsten Push geben." Das Ergebnis war überwältigend. 

    Nico Sturm liest regelmäßig in der Bibel

    Die neue Saison hat für Sturm längst begonnen. Mit dem ersten Trainingstag im Sommer. In dieser Phase kommt er mehr zum Lesen. Die Biografie des ehemaligen Bayern-Torhüters und Managers Oliver Kahn hat ihn fasziniert. Seit zwei Jahren hat der Sohn einer Religionslehrerin wieder zu seinem evangelischen Glauben gefunden. Er liest regelmäßig in der Bibel. Im Training übererfüllt er seinen Plan. Wenn sechs Klimmzüge auf dem Blatt stehen, macht der 28-Jährige eher sieben oder acht - mit Zusatzgewicht. Er will mehr leisten als die anderen. Auch, weil der Konkurrenzkampf in der NHL erbarmungslos ist. "Ich habe unter der Saison permanent Druck. Es kommen ständig junge Spieler, die meinen Platz haben wollen. Ich sage mir, du kriegst meinen Platz nicht."

    Sturm will sich später keine Vorwürfe machen. Sein Plan für die Zukunft klingt konsequent: "Ich habe hoffentlich noch zehn Jahre. Aber irgendwann ist alles vorbei. Und ich will, wenn ich dann fertig bin, keine Zweifel haben und mich fragen, ob ich alles für meine Karriere getan habe." Wer Sturm reden hört und bei der Trainingsarbeit beobachtet, hegt keine Zweifel.

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