Larry Mitchell, seit 1. November sind Sie als Sportdirektor beim EHC Kloten tätig. Wie haben Sie sich als "bayerischer Deutsch-Kanadier" in der Schweiz eingelebt?
Mitchell: Bislang sehr gut. Seit meinem Arbeitsbeginn habe ich sehr viel zu tun. Was die Sprache betrifft: Ich versuche, mit jedem Deutsch zu sprechen beziehungsweise frage meinen jeweiligen Gegenüber, ob er das auch tun könnte, damit ich etwas verstehe (lacht). Erst kürzlich bei einem internen Direktoren-Meeting hat unser Geschäftsführer Anjo Urner die anderen Teilnehmer gebeten, sich Hochdeutsch auszudrücken, da ich versprochen hätte, bei unserem nächsten Treffen auf Schwiizerdütsch zu sprechen. Diesbezüglich könnte es dann allerdings schlecht aussehen (lacht).
Als der EHC Kloten ihre Verpflichtung offiziell vermeldete, war der eine oder andere Eishockey-Fan und Experte durchaus überrascht. Wie kam es zu diesem Engagement?
Mitchell: Nun, ich war eigentlich seit Ende April (am 19. April gab der ERC Ingolstadt die Trennung von Sportdirektor Larry Mitchell bekannt, Anm. d. Red.) offen für eine neue Aufgabe. Dabei war mir bewusst, dass wenn sich den Sommer über nichts Außergewöhnliches tun würde, sich erst im Oktober, November oder Dezember neue Möglichkeiten auftäten. Ich wäre auch bereit gewesen, wieder einen Trainer-Job anzunehmen, um im Eishockey-Business zu bleiben. Nachdem ich mich in den vergangenen Monaten sowohl national als auch international viel informiert habe, bin ich auf ein Video-Interview des damaligen Klotener Sportdirektors gestoßen, indem gesagt wurde, dass er den EHC am Saisonende verlassen würde. Daraufhin habe ich Cheftrainer Jeff Tomlinson, gegen den ich in der Vergangenheit schon gecoacht habe und daher kannte, zum ersten Mal kontaktiert, um mich genauer zu informieren.
Doch dann ging plötzlich alles viel schneller. Bereits Mitte Oktober trennte sich der EHC Kloten vom damaligen Sportchef Patrik Bärtschi, der seinen vorzeitigen Abgang angeblich wegen unterschiedlicher Auffassungen über die finanziellen Möglichkeiten der ersten Mannschaft provozierte...
Mitchell: Als ich davon erfahren habe, dass es auf dieser Position womöglich eine frühzeitige Veränderung gibt, habe ich Jeff Tomlinson erneut kontaktiert und gefragt, wo ich meinen Lebenslauf hinschicken könnte. Danach ging alles ziemlich schnell. Nach dem Anruf aus Kloten folgte zunächst ein sehr gutes Gespräch mit den dortigen Verantwortlichen sowie kurz darauf auch das Angebot des Klubs. In der Zwischenzeit bin ich immer wieder zu den Spielen des EHC Kloten gefahren, um mir Notizen zu machen und dadurch auch mein Interesse zu dokumentieren.
Waren Sie am Ende selbst etwas überrascht, dass es mit dem Engagement in Kloten tatsächlich geklappt hat? In der Regel werden ja Sportdirektorem-Posten in der Schweiz mit einheimischen Akteuren besetzt...
Mitchell: Einerseits ja, weil es in der Tat nicht einfach ist, aus der DEL kommend einen solchen Job zu erhalten. Andererseits aber auch nicht, da ich mich in Sachen Scouting ohnehin mit allen Ländern und Ligen beschäftige. Aus diesem Grund war ich auch jederzeit offen für eine Beschäftigung außerhalb Deutschlands.
Als Trainer und Sportdirektor hatten Sie zuvor "nur" in Deutschland beziehungsweise Bayern (Landsberg, Augsburg, Straubing, Ingolstadt) gearbeitet. Mit wie viel Respekt oder gar Ehrfurcht gehen Sie Ihre erste Aufgabe im Ausland an?
Mitchell: Ich habe sicherlich großen Respekt – aber das habe ich vor jeder neuen Aufgabe! In Landsberg habe ich zum ersten Mal als Trainer gearbeitet, was letztlich mit dem Zweitliga-Aufstieg sehr gut geklappt hat. Danach habe ich im Jahr 2007 die Herausforderung in Augsburg angenommen, mich jedoch gefragt: Bin ich wirklich gut genug für die DEL? Mein Wechsel nach Straubing war vielleicht am einfachsten, weil ich als bereits gestandener DEL-Trainer dorthin gewechselt bin. Etwas anders war es dann in Ingolstadt. Auch dort hatte ich riesengroßen Respekt, da es mein erster Posten als reiner Sportdirektor war. Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der sich sehr gerne neuen Herausforderungen stellt und auch darauf freut – wie es jetzt beim EHC Kloten der Fall ist.
Während Ihrer Manager-Tätigkeiten in der DEL haben Sie sicherlich auch intensiv das Geschehen in der Schweiz verfolgt. Worin liegen die Hauptunterschiede zwischen dem Eishockey in Deutschland und dem der Eidgenossen?
Mitchell: Was das Niveau betrifft, nehmen sich die DEL und National League nicht wirklich viel. Ansonsten sind die Unterschiede – gerade wie das Eishockey gespielt wird – jedoch riesengroß. Nur ein paar Beispiele: In der Schweiz gibt es so gut wie keine Schlägereien und es wird auch nicht so körperbetont wie in der DEL zu Werke gegangen. In Deutschland spricht man derzeit immer von modernem Eishockey und schnellen Spielern. Hier in der Schweiz ist ohnehin schon alles noch einen Tick schneller – was zur Folge hat, dass in der National League nicht ganz so strukturiert in Systemen wie in der DEL agiert wird. Es gibt im Grunde ständig rauf und runter, was für die Zuschauer eine tolle Sache ist.
Worin unterscheidet sich Ihre jetzige Aufgabe als Sportdirektor beim EHC Kloten von der zuletzt beim ERC Ingolstadt?
Mitchell: Im Großen und Ganzen ist sie eigentlich ähnlich. Was für mich jedoch definitiv Neuland ist: In Deutschland kannte ich natürlich die Regeln in Sachen Transfers. Diese sind hier völlig anders. Während beispielsweise in der DEL nur die U23-Förderlizenzspieler ins Farm- beziehungsweise Kooperationsteam dürfen, kann in der Schweiz quasi jeder Akteur dort auflaufen. Sprich: Hat man einen 30-Jährigen, der nicht zum Zug kommt, kann man ihn in die Swiss League zum Kooperationspartner schicken. Ansonsten können wir hier zehn Ausländer-Karten vergeben, von denen aber nur sechs Spieler pro Partie zum Einsatz kommen können. Wie gesagt, in diesen Bereich muss ich mich erst noch richtig reinarbeiten. Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, der für mich sehr beeindruckend war.
Verraten Sie ihn uns...
Mitchell: Bereits an meinem zweiten Arbeitstag hat sich der Sport-Manager der National League, Philipp Bohnenblust, bei mir gemeldet und mich willkommen geheißen. Darüber hinaus haben wir uns am Mittwoch in Kloten zu einem persönlichen Gespräch getroffen, um uns kennenzulernen und Fragen zu beantworten. Das fand ich sehr professionell.
In der DEL beziehungsweise Deutschland kannten Sie den Spielermarkt quasi in- und auswendig. Wie wollen Sie sich dieses Wissen in den kommenden Wochen und Monaten nun auch in der Schweiz aneignen?
Mitchell: Nun, als ich damals nach Augsburg in die DEL gekommen bin, habe ich damit begonnen, mich sehr intensiv mit dem dortigen Spielermarkt zu beschäftigen. Im Laufe der Jahre habe ich diesen dann – wie Sie erwähnt haben – tatsächlich in- und auswendig gekannt. Und das gleiche muss ich jetzt in der Schweiz machen. Den Anfang habe ich bereits dadurch gemacht, dass ich in den vergangenen Jahren alle Schweizer Teams zumindest einmal gesehen habe. Aber es wäre natürlich blauäugig zu behaupten, dass ich einen Schweizer Spieler, den ich dreimal gesichtet habe, genau so gut kennen würde wie einen DEL-Akteur, der von mir 30 Mal gescoutet wurde. Aus diesem Grund liegt mein aktueller Fokus auch darauf, möglichst viele Partien in der National League, aber auch bei unserer U20 vor Ort zu verfolgen, um mir ein genaueres Bild über Mannschaften und Spieler zu machen.
In wieweit ist der deutsche Spielermarkt für die Vereine in der Schweiz beziehungsweise auch Sie persönlich bei Ihrer jetzigen Tätigkeit für den EHC Kloten interessant?
Mitchell: Grundsätzlich suche ich wie immer überall. Ich glaube aber, dass es in der DEL jetzt nicht wirklich so viel Akteure gibt, die zu der Art und Weise, wie in der Schweiz Eishockey gespielt wird, passen. In der Deutschen Eishockey-Liga ist auch Platz für einen ausländischen Verteidiger Nummer vier, der Schüsse blockt und für das körperliche Element zuständig ist, während in der Schweiz ein solcher Spielertyp eher nicht gefragt ist. Hinzu kommt, dass hier die schlittschuhläuferischen Fähigkeiten extrem wichtig sind. Man kann daher schon sagen, dass bei der Spielersuche mein Hauptfokus eher nicht auf der DEL liegen wird.
Wie intensiv haben Sie denn den bisherigen Saisonverlauf in der DEL verfolgt?
Mitchell: Schon sehr intensiv! Ich würde jetzt lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht darauf spekuliert hätte, erneut in der DEL einen Trainer- oder Sportdirektoren-Posten zu bekommen. Grundsätzlich wäre das sicher die realistischste Option gewesen. Deshalb wollte ich mich darauf entsprechend gut vorbereiten, war in zahlreichen Stadien und habe mir viele Partien angeschaut. Als dann der erste Anruf vom EHC Kloten kam, hat sich mein Fokus entsprechend verändert. Innerhalb von einer Woche bin ich dreimal nach Kloten zu Spielen gefahren, um mein Interesse zu untermauern. Auch in meiner jetzigen Funktion werde ich die DEL, die mich 15 Jahre lang geprägt hat, selbstverständlich weiter beobachten und verfolgen.
Was hat Sie im bisherigen DEL-Saisonverlauf bei Ihren Ex-Klubs mehr überrascht: Das bislang erfolgreiche Auftreten des ERC Ingolstadt (Rang zwei) oder das schlechte Abschneiden der Augsburger Panther (Platz 15)?
Mitchell: Ich habe den ERC Ingolstadt in den vergangenen Jahren stets als "Top-Vier-Mannschaft" gesehen – und das ich auch heute noch der Fall! Der Eishockey-Fan oder Experte hatte die Augsburger Panther hingegen im Vorfeld jetzt nicht unbedingt im Spitzenfeld der DEL erwartet. Dass man nach dem 18. Spieltag jedoch auf dem letzten Tabellenplatz steht, ist für mich schon eine Überraschung.
Nachdem Sie bekanntlich mit den Augsburger Panthern doch sehr viel verbindet: Machen Sie sich ernsthafte Sorgen um den AEV?
Mitchell: Ich weiß jetzt nicht, ob Sorgen das richtige Wort ist. Aber für mich steht völlig außer Zweifel, dass die Augsburger Panther in die DEL gehören. Als Spieler, Trainer oder Sportdirektor ist es in meinen Augen legitim zu sagen, dass man hier oder dort seine schönste Zeit erlebt hat. Als ich selbst noch gespielt hat, war das definitiv in Bad Nauheim, wo auch mein Sohn zur Welt gekommen ist. Als Trainer beziehungsweise Sportdirektor hatte ich hingegen meine schönste Zeit in Augsburg. Aus diesem Grund hoffe ich auch, dass die Panther im weiteren Saisonverlauf die Abstiegsplätze noch verlassen und den Klassenerhalt schaffen.
Welche Auswirkungen hätte Ihrer Meinung nach ein DEL-Abstieg für den Eishockey-Standort Augsburg?
Mitchell: Nachdem ich mittlerweile doch zu weit weg bin, ist das schwierig für mich einzuschätzen. Aber ich sage es nochmals: Ich muss nicht eine Sekunde überlegen, um zu sagen, wo Augsburg als Gründungsmitglied sportlich hingehört: in die DEL! Wenn man sieht, wie sich die Panther in all den Jahren entwickelt haben beziehungsweise was Lothar Sigl in den zurückliegenden rund drei Jahrzehnten für das Eishockey in Augsburg geleistet hat, wäre es unfassbar schade, wenn der AEV am Ende absteigen müsste.
Nachdem Ihr Abschied vom ERC Ingolstadt bekannt wurde, fiel in den darauffolgenden Monaten Ihr Name immer wieder in Zusammenhang mit den Augsburger Panthern. War für beide Seiten eine erneute Zusammenarbeit tatsächlich eine ernsthafte Option?
Mitchell: Ich bin ein Mensch, der Dinge, die im Hintergrund laufen, grundsätzlich nicht kommentiert. Aber klar, ich habe diese Dinge natürlich auch gelesen und wurde häufig direkt darauf angesprochen, ob ich den nun als Sportdirektor, Cheftrainer oder sogar als Assistenzcoach von Peter Russell nach Augsburg zurückkehren würde. Ich habe darauf immer die Wahrheit gesagt, sprich: Dass das nicht stimmt, ich bislang noch nirgends unterschrieben habe und mich nach wie vor auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber befinde. Mit meiner Unterschrift beim EHC Kloten hat jeder gesehen, dass das keine Lüge war.
Zur Person: Larry Mitchell arbeitete von 2007 bis 2014 als Trainer und Manager in Personalunion bei den Augsburger Panthern. Nach der Trainer-Station in Straubing (2014 bis 2017) war er zwischen 2017 und 2022 als Sportdirektor beim ERC Ingolstadt tätig.