Die Wüste lebt. Der Spruch ist für die Glücksspielmetropole Las Vegas eine schamlose Untertreibung. Nirgendwo in die USA gibt es mehr Bling-Bling und schönen Schein. Wer sich vergnügen, berauschen oder ins (Un-)Glück stürzen will, besucht die Glitzerwelt mit ihren einarmigen Banditen im Wüstenstaub von Nevada. Zu den Attraktionen zählt seit wenigen Stunden nun auch die wohl beste Eishockey-Vereinsmannschaft der Welt. Die ist im Gegensatz zu Venedigs Canale Grande, dem Eiffelturm oder den ägyptischen Pyramiden von Vegas ein Original. Die Golden Knights feierten den größten Triumph im Profi-Eishockey und stellen die wohl beste Vereinsmannschaft der Welt. Im Finale um den Stanley bezwangen die goldenen Ritter in nur fünf Partien die Florida Panthers mit 4:1-Siegen. Im entscheidenden Match feierte das Team um Kapitän Mark Stone nicht nur irgendeinen Sieg: Das 9:3 war eine Machtdemonstration.
Gleich mit ihrem ersten Titelgewinn hat das Team von Trainer Bruce Cassidy im sechsten Jahr seines Bestehens Geschichte geschrieben. Schneller als das zweitjüngste NHL-Franchise bis zum Stanley Cup waren bislang nur die Edmonton Oilers in ihrer fünften NHL-Saison vor 39 Jahren. Das aktuelle Oilers-Team um den deutschen Star Leon Draisaitl darf sich lediglich damit trösten, in der zweiten Play-off-Runde am späteren Champion gescheitert zu sein. 2017 waren die Ritter in Las Vegas gegründet worden und durften sich aus allen Mannschaften einen starken Spieler herauspicken. Nun haben sie die großen Namen der National Hockey League (NHL) in die Wüste geschickt.
Vor einem Jahr jubelte der Augsburger Nico Sturm
Der mächtige NHL-Boss Gary Bettmann lobte gewohnt überschwänglich: "Was in dieser Arena und außerhalb davon abgeht, ist unglaublich und ein Beleg dafür, was für ein großartiger Eishockey-Markt das ist", sagte Bettmann zum Publikum, ehe er Kapitän Stone die begehrteste Eishockey-Trophäe der Welt überreichte. "Vegas, ihr wisst in der Tat, wie man eine Party schmeißt." Die Knights sind Nachfolger der Colorado Avalanche. Vor genau einem Jahr hatte der gebürtige Augsburger Nico Sturm den riesigen Silberpokal in die Höhe gestemmt und wenig später im Rathaus seiner Heimatstadt präsentiert. Hinterher erzählte Sturm, dass er trotz einer schweren Ellenbogenverletzung aufgelaufen war. Das ist die normale Härte in einer Sportart, in der spätestens in den Play-offs über Blessuren nur noch grob in Unterkörper- oder Oberkörper-Verletzung eingeteilt wird. Am liebsten wird jedoch geschwiegen, um dem Gegner nicht den Hauch einer Schwachstelle zu offenbaren.
Nun wurde bekannt, dass beim Endspielgegner Florida Stürmerstar Matthew Tkachuk im vierten Match trotz eines gebrochenen Brustbeins aufgelaufen war. Ebenfalls erst jetzt sickerte durch, dass sich Panthers-Verteidiger Aaron Ekblad trotz mehrerer Verletzungen in die Montur zwängte. Der wichtigste Abwehrdirigent brach sich in der ersten Serie gegen Boston einen Fuß. Dann kugelte er sich zweimal die Schulter aus und kämpfte schließlich mit einem Riss in der Bauchmuskulatur. Schmerzmittel rein und raus aufs Eis lautet offenbar die zweifelhafte Devise.
Boston Bruins scheiterten trotz NHL-Rekord
In Las Vegas beginnt nun die große Party. "Endlich ist es wahr geworden. Hier stehen wir jetzt als Stanley-Cup-Champions und ich freue mich riesig für die Spieler, für diese Stadt und dieses Team", sagte Kapitän Stone. In seiner Mannschaft steht mit Jonathan Marchessault ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter Profi. Der 32-jährige Kanadier war niemals bei der NHL-Talentziehung, dem Draft, von einem Klub gezogen worden. Nun erhielt der Stürmer die Conn Smythe Trophy als wertvollster Spieler der NHL-Play-offs. Er erzielte 13 Tore in den Play-offs und war mit 25 Punkten hinter seinem Teamkollegen Jack Eichel zweitbester Scorer der Endrunde.
Zwar waren die Boston Bruins mit dem NHL-Rekord von 65 Saisonsiegen als bestes Vorrundenteam in die Play-offs gestartet. Doch die K.o.-Spiele haben ähnlich wie der Fußball-Pokal – hiermit fünf Euro für das Phrasenschwein – ihre eigenen Gesetze. Nicht unbedingt die beste Mannschaft, sondern der verschworenste Haufen setzt sich durch. Für die Experten kommt der Triumph der Retortentruppe nicht völlig überraschend. Mit fünf Play-off-Teilnahmen in ihren sechs NHL-Jahren sammelte Las Vegas einiges an Erfahrung. Mit den goldenen Rittern gibt es seit dieser Woche einen Grund mehr, die Glitzermetropole in der Mojave-Wüste anzusteuern. Spektakel ist garantiert.