Wie wichtig Balljungen sind, haben die Fußball-Fachleute natürlich immer schon gewusst. José Mourinho, selbst ernannter „Special One“ und aktuell Trainer von Fenerbahçe Istanbul, hat während seiner Zeit bei Tottenham Hotspur zum Beispiel schon ein Loblied auf sie verfasst. Der konkrete Fall, der den Portugiesen ins Schwärmen gebracht hatte, war natürlich ein Tor für sein damaliges Team gewesen. Im Champions-League-Spiel zwischen Tottenham und Piräus im Dezember 2019 hatte ein Balljunge den Ball zum Einwurf weitergeleitet und somit das zwischenzeitliche 2:2 durch Harry Kane ermöglicht. Die Spurs gewannen nach einem 0:2-Rückstand noch mit 4:2. Mourinho rühmte den Jugendlichen daraufhin so: „Um das zu tun, musst du ein wirklich guter Balljunge sein. Er versteht das Spiel, er liest das Spiel. Er ist Teil des Spiels und spielt es sehr gut.“ Tatsächlich ist von vielen späteren Fußball-Profis überliefert, dass sie einst auch Balljungen waren: Philipp Lahm und Aleksandar Pavlović bei den Bayern, Nuri Şahin beim BVB, Kylian Mbappé bei der AS Monaco.
Ob dem 15-jährigen Noel Urbaniak auch eine große Karriere beschieden sein wird, ist noch unklar. Fakt ist aber: Der Teenager hatte beim 3:3 der DFB-Elf gegen Italien bekanntlich das zwischenzeitliche 2:0 durch Musiala mit einer schnellen Weitergabe an Kimmich vorbereitet. Während Italiens Hintermannschaft noch diskutierte, fand die Kimmich-Ecke Musiala und der das Tor – auch dank Urbaniak. Der kann sich seither vor Einladungen zu Fußballspielen, Auftritten im ZDF-Sportstudio und der Eröffnung von Möbelhausern kaum noch retten. Es scheint, als ob die Balljungen zwischen Garmisch und Flensburg es Urbaniak nun nachtun wollen. Am Wochenende hatte es in der 2. Liga einen ähnlichen Fall gegeben. Es lief die 34. Minute im Spiel zwischen dem SC Paderborn und dem 1. FC Köln, als ein Passversuch von Paderborns Casper Terho an der rechten Außenlinie geblockt wurde. Ein Balljunge warf den Ball blitzschnell zu Terho. Dessen schnell ausgeführter Einwurf resultierte in der zwischenzeitlichen Führung der Ostwestfalen. Der Fall fand nicht ganz so viel Beachtung. Wohl, weil es „nur“ die zweite Liga war und Paderborn am Ende mit 1:2 verloren hatte. Dennoch könnte es einer der letzten dieser Fälle sein, in denen ein Balljunge eine entscheidende Rolle spielte.

Nuri Sahin, Aleksandar Pavloic und Messi waren einst auch Balljungen
Denn die 36 Vereine der ersten und zweiten Liga haben sich erst kürzlich auf einen einheitlichen Regelkatalog für Balljungen verständigt. Einem Bericht der FAZ zufolge haben sich die sportlichen Führungskräfte der Vereine auf einer Tagung mündlich darauf geeinigt, dass Balljungen nicht mehr zu den Spielern werfen, sondern den Ball auf einem Hütchen in der Nähe der Seitenlinie platzieren. Wenn es einen Einwurf gibt, kann sich ein Spieler so direkt einen Ball von einem der Hütchen holen. Es ist eine Praxis, die in der englischen Premier League schon Usus ist. Auch einzelne Vereine wie Leverkusen und der FC Augsburg setzen stellenweise schon jetzt darauf. Der Ansatz soll das Spiel allgemein schneller machen – würde aber den Faktor aushebeln, dass ein gedankenschneller Balljunge das Spiel so beeinflussen kann, wie es Urbaniak beim Länderspiel gelungen ist.
Die aktuellen Fälle überdecken auch, dass Balljungen mitunter eine sinistre Seite in das Spiel gebracht haben. Der vielleicht berüchtigtste Fall spielte sich 2013 im englischen Ligapokal-Halbfinale zwischen Chelsea und Swansea City ab. Swansea lag vorne, als ein Balljunge namens Charlie Morgan den Ball absichtlich langsam losließ, um Zeit zu schinden. Chelsea-Profi Eden Hazard verlor die Nerven und versuchte, ihm den Ball wegzuschlagen – traf dabei aber den Jungen selbst, der pikanterweise auch noch der Sohn des Klubdirektors von Swansea war. Hazard bekam dafür eine Rote Karte.
Und auch anfangs erwähnter José Mourinho, bekanntlich auch ein Freund der dunklen Mächte im Fußball, kennt die andere Seite des Balljungen-Geschäfts. In seiner Zeit bei Real Madrid wurde er 2011 während eines Pokalspiels gegen den Stadtrivalen Atlético dabei erwischt, wie er einem Balljungen zurief: „Nicht so schnell, nicht so schnell!“ TV-Kameras hatten die Szene damals festgehalten. Auch das ist für Mourinho offenbar Teil des Spiels.

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