Während sich die einen in den kommenden Tagen mit Lichterketten, Plätzchenbacken und Adventsmarkt-Besuchen in gediegene Weihnachtsstimmung versetzen, ist es für die anderen an der Zeit, endlich wieder das Hühnerkostüm aus dem Schrank zu holen. Vorausgesetzt sie haben eine Eintrittskarte für jenes sportliche Großereignis ergattert, dass London jedes Jahr um die Weihnachtszeit in den Ausnahmezustand versetzt: die Darts-Weltmeisterschaft im legendären Alexandra Palace.
30.000 Fans sollen in diesem Jahr allein aus Deutschland anreisen. Und es ist zu vermuten, dass die zu diesem Anlass so gern getragenen Hühnerkostüme reichlich fantasievolle Konkurrenz bekommen. Schließlich sind Alltags-Klamotten im Hexenkessel des „Ally Pally“ zutiefst verpönt. Wer nicht mindestens als Obelix, Spiderman, Catwoman oder Krankenschwester Einlass begehrt, wird von der feierwütigen Darts-Gemeinde nicht wirklich ernst genommen.
Darts-WM konkurriert mit "Sissy" und dem "Traumschiff"
Was zu einer absurd-lustigen Mixtur aus Sport und Spektakel führt, der sich scheinbar auch das Fernsehpublikum bei aller besinnlichen Weihnachtsstimmung nicht entziehen kann. In einer Zeit, in der "Drei Nüsse für Aschenbrödel", "Sissy" und "Das Traumschiff" eigentlich Hochkonjunktur haben, erreicht die Darts-WM immer neue Top-Quoten.
So sahen im vergangenen Jahr fast vier Millionen Menschen auf Sport1 das Halbfinale zwischen dem „German Giant“ Gabriel Clemens und dem Engländer Michael Smith. Dem frei empfangbaren TV-Sender bescherte dieses Spiel damals den Tagessieg, keine deutsche Sportsendung hatte prozentual mehr Zuschauer. Mit allein fünf deutschen Spielern in diesem Jahr in London wird man sich beim Sender in Erwartung neuer Rekorde schon die Hände reiben.
Vom Sport mit Kneipen-Image zum angesagten Show-Event
Dass Darts in weiten Bereichen sein Kneipen-Image abgelegt hat und nun als angesagtes Show-Event daherkommt, liegt aber nicht nur an der kostümierten Fangemeinde. Auch der Sport beeindruckt: etwa die filigrane Genauigkeit, mit der die internationale Darts-Elite einen 180er nach dem anderen an die Scheibe nagelt. Genau 901 Mal fiel im vergangenen Jahr die höchstmögliche Punktzahl unter dem ohrenbetäubenden Gekreische der Fans. Unbestritten positiv in diesem Zusammenhang ist, dass kaum ein anderer Sport Mathematik-Kenntnisse so fördert wie Darts. Schnellrechnern erschließt sich sofort, wohin der Pfeil als Nächstes fliegen muss, damit Hühner, Supermänner und Krankenschwestern wieder ausflippen.
Und wem ein solcher Trubel um die Weihnachtszeit dann doch zu viel ist, dem bleiben ja immer noch "Sissy" und "Das Traumschiff".