Im Nachhinein dürfte es den deutschen Darts-Profi Gabriel Clemens ein bisschen trösten, dass er seine einzige WM-Niederlage gegen den frisch gekrönten Weltmeister Michael Smith einstecken musste. Im Halbfinale hatte sich der bis dahin furios aufspielende Saarländer alle Mühe gegeben, den so stoisch wie kühl werfenden Engländer aus dem Konzept zu bringen. Doch es nützte nichts, Smith mit seiner brillanten Fähigkeit, drei Darts in Folge in die Triple 20 zu nageln, blieb im traditionsreichen Alexandra Palace der unangefochtene Dominator.
Seit Dienstagnacht ist klar, nicht einmal der dreifache Weltmeister aus den Niederlanden, Michael van Gerwen, konnte den überragenden Smith ausbremsen. In einem aufsehenerregenden wie hochklassigen Finale, das von den Experten mit Superlativen nur so überhäuft wurde, lieferten die zwei Michaels mit das Beste ab, was es im Darts-Sport je gegeben hat. Kommentatoren schrien sich die Seele aus dem Leib angesichts des sensationellen Neun-Darter-Finish von Smith, das in die Geschichtsbücher eingehen wird.
Darts-Weltmeister Michael Smith zimmert dieses eine perfekte Spiel an die Scheibe
Schließlich gelingt nicht jedem Weltmeister im Finale dieses eine perfekte Spiel, wie es Smith im zweiten Satz an die Scheibe zimmerte – neun akkurat gesetzte Pfeile, die die 501 auslöschten. Seit zwölf Jahren hatte es das in keinem WM-Finale mehr gegeben. Zumal auch Konkurrent van Gerwen in diesem „Leg“ (Durchgang) acht perfekte Darts spielte, aber mit dem letzten Wurf das entscheidende Feld verfehlte. Im Gegensatz zu Smith, der mit seinem letzten, präzise auf der Doppel-Zwölf einschlagenden Pfeil die ohnehin schon beseelte Anhängerschaft endgültig zum Ausflippen brachte. „Darts is coming home“, sangen die englischen Fans ab da unaufhörlich, bis ihr Idol tatsächlich den WM-Titel mit einem 7:4-Erfolg an sich gerissen hatte.
Und auf einen Schlag verpufften bei Michael Smith die so lange zur Schau getragene Coolness und das Pokerface. Fast hätte er, überwältigt von seinen Gefühlen, sogar vergessen, Kontrahent van Gerwen die Hand zu schütteln. Denn so schnell er konnte, rannte der aufgewühlte Smith von der Bühne hinunter ins Publikum, um mit Tränen in den Augen seine Frau und seine beiden Söhne in die Arme zu schließen. „Das Gefühl, das ich direkt nach meinem Sieg hatte, wird niemals getoppt werden. Egal, was ich in diesem Sport in der Zukunft mache“, sagte er anschließend.
Der 32-Jährige mit der respekteinflößenden Optik eines kampfbereiten Türstehers kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus, als er bei der Siegerehrung endlich die 25 Kilogramm schwere Sid Waddell Trophy in die Höhe recken durfte, der er zuvor schon ganz behutsam ein Küsschen aufgedrückt hatte. Denn Michael Smith hat sportlich viele Rückschläge erlitten. Schon einige Male war der ehemalige Fliesenleger aus St. Helens, einer 100.000 Einwohner-Stadt zwischen Liverpool und Manchester, an großen Titeln vorbeigeschrammt. Zweimal hat er bereits ein WM-Endspiel verloren: 2019 mit 3:7 schon einmal gegen van Gerwen, 2022 mit 5:7 gegen den Schotten Peter Wright.
Darts-Weltmeister Michael Smith möchte einen Bullen kaufen und Ferdinand nennen
Die Enttäuschung war jedes Mal groß. Denn vor vier Jahren hatte Smith angeblich geplant, den WM-Pokal zu seiner kurz danach stattfindenden Hochzeit mitzubringen. Daraus wurde aber ebenso nichts wie aus dem Kauf eines echten Bullen im vergangenen Jahr. Den wollte sich der „Bully Boy“, wie Smiths Turniername lautet, bei einem Titelgewinn zulegen und ihn Ferdinand nennen. „Man kann ja nicht zu meinem Haus kommen und keinen Bullen sehen, oder?“, sagte Smith damals.
Ein Wunsch, den er sich dank des opulenten WM-Preisgelds nun locker erfüllen könnte. Mit seinem Titel wird Smith allerdings nicht nur um 500.000 Pfund (rund 565.000 Euro) reicher, sondern steht erstmals auch als Nummer eins auf der Weltrangliste. Er hat damit den bisherigen Spitzenreiter Gerwyn Price (Wales) auf Rang vier abgedrängt. Michael van Gerwen bleibt auf Rang drei. Der Schotte Peter Wright, der schon frühzeitig ausgeschieden ist, rangiert auf Rang zwei. Und erstmals hat es auch ein deutscher Dartsspieler unter die Top 20 der Welt geschafft. Nach seinem starken Turnier rangiert der „German Giant“, Gabriel Clemens, auf Rang 19. Damit ist ihm eine Teilnahme am Darts-Masters von 27. bis 29. Januar in Milton Keynes sicher.
Gabriel Clemens, Michael van Gerwen und Gerwyn Price spielen am 5. Januar in Neu-Ulm
Live in der Region zu sehen sind die Topspieler der Darts-WM aber bereits am 5. Januar bei der Schwaben Darts Gala 2023 in Neu-Ulm. Zugesagt hat nach Angaben der Veranstalter die Creme de la Creme des internationalen Darts-Sports, neben den Top-Spielern Michael van Gerwen, Gerwyn Price, Peter Wright und Gabriel Clemens auch eine der wenigen Frauen auf diesem Spitzen-Niveau, die Engländerin Fallon Sherrock.