Der 15. Dezember und damit auch der Start der Darts-WM rückt immer näher. Mit welchen Gefühlen gehen Sie diese WM an?
Basti Schwele: Auf jeden Fall mit Hochgefühlen. Die Darts-WM ist der Höhepunkt des Jahres. Dazu kommt, dass sich in dem Sport aus deutscher Sicht unglaublich viel getan hat. Gabriel Clemens war vergangenes Jahr im Halbfinale und hat da wirklich etwas aufgebaut. Das spürt man auch, das fühlt man, das kriegst du von den Leuten zurück. Seit Wochen sprechen mich alle auf die Darts-WM an, egal ob im Fußball- oder im Eishockeystadion. Wir haben zum ersten Mal fünf deutsche Profis dabei. Das ist etwas ganz Besonderes und auch ich kann es kaum erwarten.
Zugleich liegt die Darts-WM auch terminlich ganz clever: Zwischen Mitte Dezember und Anfang Januar gibt es wenig andere sportliche Veranstaltungen.
Schwele: Strategisch kannst du das nicht viel besser legen. Zudem schafft die Darts-WM gleich zwei Meilensteine: Zum einen ist sie der Abschluss des alten Jahres, außerdem kommt der erste Weltmeister des neuen Jahres aus dem Darts.
Knapp vor dem WM-Finale ist vergangenes Jahr Gabriel Clemens gescheitert, im Halbfinale war Schluss. Dieses Jahr startet er erst in Runde zwei in die WM, da droht ihm aber ein Duell mit Senkrechtstarter Gian van Veen. Wie sehen Sie seine Chancen?
Schwele: Van Veen gilt als das große Talent, ja. Aber erstmal muss er sein Spiel in der ersten Runde gewinnen. Gabriel "Gaga" Clemens hat zwar nicht das beste Jahr seiner Karriere gespielt, aber die Weltrangliste spricht eine klare Sprache: Da steht Gaga auf 20 und van Veen auf 45. Außerdem hat Gaga einen großen Vorteil: Er weiß, wie eine WM funktioniert, wie es im Ally Pally zugeht. Er hat dort im vergangenen Jahr seinen größten Erfolg gefeiert und wird da Selbstvertrauen daraus ziehen.
Darts hat in Deutschland einen riesigen Aufschwung erfahren. Was bislang fehlte: ein Zugpferd. Hat Clemens denn das Zeug dazu? Er ist jetzt nicht gerade der Showman.
Schwele: Das stimmt, er ist vom Charakter her sehr eigen. Aber das macht auch seine Persönlichkeit aus. Ich kenne niemanden, dem so vieles so egal ist, der einfach nur spielen will. Er konzentriert sich voll auf sein Spiel. Er hätte seinen Halbfinal-Einzug auch völlig anders ausschlachten können, sei es von der Vermarktung her oder monetär. Aber das passt eben nicht zu Gaga. Und ich finde es super, dass er sich da nicht verbiegen lässt. Das macht aber allgemein die Darts-Spieler aus: Da hebt keiner ab, dieser Sport ist sehr geerdet, und das macht ihn auch so interessant. Zugleich war Clemens nach der Darts-WM zu Gast im ZDF-Sportstudio, das darf man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen. Da kommen vielleicht mal die Eishockey-Spieler hin, wenn sie eine Silbermedaille bei der WM gewonnen haben.
Zugleich ist ein Spieler wie Peter Wright mit seinem farbigen Irokesen-Schnitt der Spieler mit dem größten Wiedererkennungswert der Darts-WM. Auch Wright hat sich diesen Look erst im Laufe seiner Karriere zugelegt.
Schwele: Aber bei Wright würde ich nicht sagen, dass er sich verbiegt. Es ist eine Kunstfigur, die er ausfüllt, wenn er die Darts-Bühne betritt. Dann wird er zu Snakebite (sein Künstlername, Anm. d. Red.), dem Spieler mit den bunten Haaren und den ausgefallenen Klamotten. Abseits der Bühne ist er weiterhin der zurückhaltende, fast schüchterne Peter. Wenn Clemens eine ähnliche Rolle spielen würde – das fände ich schwierig. Das ist in Deutschland ein noch schmalerer Grad als das in England der Fall ist.
Dieses Jahr sind erstmals fünf Deutsche dabei: Gabriel Clemens, Martin Schindler, Ricardo Pietreczko, Dragutin Horvat und Florian Hempel. Was trauen Sie denen zu?
Schwele: Martin Schindler ist die deutsche Nummer zwei. Er hat letztes Jahr seinen ersten WM-Sieg geholt. Er ist ein überragender Darts-Spieler, hat aber teilweise Probleme, diese Qualität auf die Bühne zu bringen, vor allem bei einem großen Publikum. Er ist seit zwei Jahren sehr konstant und ich traue ihm zu, mindestens ein Spiel zu gewinnen. Ricardo Pietreczko ist die größte Rampensau unter den deutschen Spielern. Der kann mit Publikum umgehen und er hat gezeigt, dass er ein Winner-Typ ist. Als erst zweiter Deutscher hat er einen Titel bei der PDC-Tour geholt (German Darts Championship, Anm. d. Red.), und das auch noch im Finale gegen Michael van Gerwen. Ich glaube, dass er ein verdammt heißes Eisen bei dieser WM sein könnte. Dragutin Horvat ist zum zweiten Mal dabei. Er ist ein ganz bescheidener Typ, dessen Hobby mit großem Erfolg Darts ist. Er ist gereift, macht sich aber keinen großen Druck. Florian Hempel hat ein schwieriges Jahr hinter sich und kommt mit dem größten Druck aller deutschen Spieler zur WM. Für ihn geht es um die Tour-Card, also um den Status als Profi-Spieler, das ist schon hart. Er hat gezeigt, dass er unter Druck funktioniert, aber das wird diesmal auch nötig sein. Er muss mindestens ein Spiel gewinnen, je nachdem, wie die anderen spielen. Für ihn steht am meisten auf dem Spiel. Er kommt aus dem Handball, dem Profi-Sport – deswegen weiß er, wie er mit dieser Ausgangslage umgehen muss.
Das Alexandra Palace wird in diesem Jahr einen starken deutschen Schwerpunkt haben, offenbar ging jede vierte Karte nach Deutschland, insgesamt machen sich also über 30.000 Darts-Fans aus Deutschland auf den Weg nach London. Warum finden wir Deutsche das Spiel so gut?
Schwele: Das ist eine gute Frage. Ich kann nicht für alle sprechen, aber jeder, der sich Darts anschaut, selbst spielt oder sogar auf ein Turnier geht und mit den Spielern spricht, steckt sich mit dem Darts-Fieber an. Das Suchtpotential ist enorm groß. Das sehe ich an mir, ich stehe mittlerweile in fast jeder freien Minute am Darts-Brett. Die Einfachheit des Sports ist ein großer Plus-Punkt: Du kannst diesen Sport mit einfachen Mitteln selbst ausüben. Du brauchst keinen Klub, nur dich selbst, das Darts-Board und drei Pfeile. Dann kommt natürlich der Party-Effekt dazu. Die Deutschen sind ein Party-Volk, wie die Engländer und die Niederländer. Drittens sind viele Sportfans den anderen großen Sportarten überdrüssig geworden. Viele Leute haben keine Lust mehr auf die Scheinwelt des Fußballs und das Verhalten von vielen Sportlern. Beim Darts sind es normale Typen, die oft noch aus Handwerksberufen kommen. Natürlich wird auch da mittlerweile gutes Geld gezahlt, aber die Spieler wissen, was sie dem Darts zu verdanken haben. Jeder Topspieler wird sich immer Zeit für ein Foto und einen Plausch mit einem Fan nehmen.
Wie wichtig ist für Sport1 die Darts-WM?
Schwele: Gemeinsam mit dem Live-Spiel der zweiten Bundesliga und dem Doppelpass zählt Darts für Sport1 zu den wichtigsten Übertragungen. Wir sind mit fünf Leuten, unter anderem Moderatorin Katharina Kleinfeldt und Experte Max Hopp, von Anfang an vor Ort. Mein Co-Kommentator Robert Marijanović und ich fliegen am 31. Dezember nach London und werden ab dem Viertelfinale aus London kommentieren. Das ist Teil der Wertschätzung: Bislang wurde die Darts-WM aus München kommentiert. Wir wollen dem Weltverband PDC aber auch zeigen, dass wir ein verlässlicher Partner sind und diesen Sport wertschätzen.
Sie kommen ursprünglich nicht vom Darts, sondern sind Eishockey-Spieler. Wie haben Sie sich in das Spiel hineingearbeitet?
Schwele: Das geht an und für sich recht schnell. Aber ich habe noch das große Glück, einen sehr guten Experten an meiner Seite zu haben. Robert Marijanović ist jemand, dessen Expertise ich gar nicht hoch genug einschätzen kann. Er ist nicht nur selbst Darts-Spieler und war schon dreimal bei der WM dabei, sondern kennt einfach jeden und ist essenziell wichtig für die Übertragungen. Es ist jedes Mal viel Vorbereitung notwendig. Denn von den 96 Spielern, die dieses Mal antreten, ist etwa die Hälfte noch nie im TV aufgetreten. Das macht mir aber auch Spaß, denn jeder Spieler bei dieser WM hat es verdient mal im Mittelpunkt zu stehen. Dazu kommt es, dass nationaler Patriotismus für Darts-Fans keine so große Rolle spielt, die Fans interessieren sich auch für einen Spieler von den Philippinen genauso wie für Gabriel Clemens.