Beim Entsorgungsverband Saar dürften sie am Sonntagabend sehr genau verfolgt haben, was ihr Angestellter Gabriel Clemens im Londoner Alexandra Palace getrieben hat. Genauer gesagt: was dem Industriemechaniker, der für die Reparatur von Wasserpumpen auf Kläranlagen zuständig war, gelungen ist.
Clemens, der seit 2018 freigestellt ist, um sich auf seine Karriere als Darts-Profi zu konzentrieren, warf in einem umkämpften Match den amtierenden Weltmeister Peter "Snakebite" Wright (ja, den mit dem Irokesenschnitt)) aus dem Turnier. Damit sorgte "Gaga" Clemens nicht nur für ein dickes Ausrufezeichen, sondern ist auch der erste Deutsche, der im Achtelfinale der WM steht.
Nach dem Sieg war Gabriel Clemens "ziemlich leer"
Wer glaubt, dass Clemens nach dem Sieg völlig euphorisch vor die Mikrofone tritt, kennt den 37-Jährigen schlecht. Der Saarländer gilt im Gegensatz zu den vielen Lautsprechern im Darts-Zirkus als äußerst zurückhaltend. Bei Sport1 sagte ein kontrolliert wirkender Clemens: "Im Moment bin ich ziemlich leer. Mir fehlen die Worte, ich bin einfach nur total glücklich."
Vielleicht ist gerade diese Unscheinbarkeit für Clemens, der im Vorfeld der WM als deutscher Top-Spieler galt, auch eine seiner größten Stärken. Seinen Spitznamen "The German Giant" verdankt er seiner Körpergröße von 1,91 Metern sowie seiner Körperfülle – nicht seinem Auftreten. Weltmeister Wright sagte nach seiner Niederlage: "Ich habe das Match auf die leichte Schulter genommen und verdient verloren." Und auch der Weltranglistenerste Michael van Gerwen musste später am Abend bei seinem Interview nach dem Einzug in die nächste Runde nachfragen, wie "der Deutsche gleich noch mal heißt, der Wright aus dem Turnier geworfen hat". Den Luxus, unterschätzt zu werden, dürfte Clemens aber nicht mehr lange genießen können – spätestens seit diesem Sontagabend im Alexandra Palace.
Ohnehin scheint spätestens jetzt alles möglich zu sein bei dieser WM, die inmitten der Corona-Pandemie in einer Ausnahmesituation und ohne die sonst johlende Zuschauerkulisse stattfindet. Mit Weltmeister Wright schied nach den beiden Engländern Rob Cross und Michael Smith bereits der dritte Favorit aus, bevor das Achtelfinale begonnen hat. Der Pole Krzysztof Ratajski, mit dem es Clemens in der Runde der letzten 16 Spieler zu tun bekommt (Dienstag ab 19 Uhr, live auf Sport1 und DAZN) scheint jedenfalls alles andere als eine unlösbare Aufgabe zu sein.
Wird Gabriel Clemens das deutsche Zugpferd für den Darts-Sport?
Fügt Clemens bei der WM seinem Traum noch weitere Kapitel zu – er könnte das deutsche Zugpferd sein, auf das die seit Jahren boomende Sportart hierzulande gewartet hat. Kommentator Elmar Paulke hatte das im Interview mit unserer Redaktion vor WM-Start angedeutet: "Ich bin gespannt, was in Deutschland passiert, wenn es einen deutschen Top-Spieler geben wird. Das wird dem Sport nochmals einen großen Schub geben." Gabriel Clemens sei da "auf einem guten Weg", sagte Paulke – und sollte Recht haben.
Vom gemütlichen Auftreten von Clemens sollte man sich übrigens nicht täuschen lassen. Mit einer unglaublichen Verbissenheit arbeitet er, der von seiner Freundin Lisa gemanagt wird, an seiner Karriere. Seit 2018 arbeitet er mit dem ehemaligen Kampfsport-Weltmeister Mark Klinger zusammen. Dessen Structogram-Training analysiert die Persönlichkeitsstruktur des Athleten und geht im Training auf dessen Stärken und Schwächen ein. Im Mentalsport Darts kommt Clemens sein kontrolliertes Wesen zwar zugute – daran, dass er von Zeit zu Zeit aber auch mehr Emotionen zeigen soll, erinnern ihn drei rote Punkte auf seinen Darts-Pfeilen. Klinger, der schon mit Fußballteams oder dem Triathleten Jan Frodeno zusammen gearbeitet hat, ist von dem Potential seines Klienten überzeugt und glaubt an ihn als Weltmeister – wenn nicht jetzt, dann morgen.
Clemens selbst spricht natürlich nicht vom Titel. Für den bodenständigen Saarländer ist es schon ein Erfolg, vom Darts leben zu können. Das funktioniert aktuell ganz gut: Bis zur WM hat er als Nummer 31 der Weltrangliste 165.000 Pfund eingespielt, mit dem Erreichen des Achtelfinales liegt seine Börse bei dem seit 15. Dezember laufenden Turnier bei 82.500 Pfund. Für den Entsorgungsverband Saar bedeuten diese Zahlen: Gabriel Clemens wird seinem Arbeitgeber wohl noch auf unbestimmte Zeit fehlen.
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