Tapfer und öffentlichkeitserprobt, wie die von ihren vielen Krisenmomenten gebeutelten Angehörigen von Borussia Dortmund sind, hatten sie schnell ein paar positive Formulierungen parat, wo eigentlich nicht viel mehr war als bitterer Schmerz in der Frühlingsnacht von Wembley. In kaum einem Rückblick auf das große Endspiel gegen Real Madrid fehlte der Begriff „Stolz“, den die Spieler und die Leute im Umfeld der Mannschaft empfunden haben wollen, nachdem sie am Ende mit 0:2 verloren hatten. Nicht nur Sportdirektor Sebastian Kehl hatte das Gefühl, „supernah dran“ gewesen zu sein an einem historischen Coup. Nur noch ein letzter kleiner Schritt fehlte zur Unsterblichkeit, wie in der mit Superlativen angefüllten Fußballwelt gerne behauptet wird, wenn es um die ganz, ganz großen Titel geht.
Niederlage im Champions-League-Finale: Ein BVB-Star weinte bitterlich
Das war ein guter Grund für eine tiefe Trauer, denn wenn kein großes Wunder geschieht, wird diese Chance nicht so schnell wiederkommen. Marcel Sabitzer weinte bitterlich, andere starrten mit blassen Gesichtern vor sich hin, „es tut weh“, sagte Kapitän Emre Can. Zugleich war aber auch noch ein anderes Gefühl präsent, ein Staunen über eine geheimnisvolle Kraft, die die englische Sun am Sonntag als „die schwarze Magie der Männer in Weiß“ beschrieb, der der BVB zum Opfer gefallen war. Ein Zauber, der tatsächlich an die Erbarmungslosigkeit von Harry Potters Gegenspieler Voldemort erinnerte.
Dass hinter der Grausamkeit der Spanier keine Absicht steckt, war da wenig tröstlich. Niederlagen gegen das Real Madrid dieser Saison enthalten gewissermaßen automatisch den Stoff, aus dem die gruseligsten Albträume entstehen. Wie so viele andere Teams zuvor hatten die Dortmunder das Gefühl, nur einen kleinen Schritt entfernt zu sein vom großen Coup, in diesem Fall sogar von der Erfüllung der süßesten Fußballerträume überhaupt. Real wirkte satt, träge, müde, taumelnd, reif für den Sturz vom Gipfel, um am Ende doch zu triumphieren.
Verblüffende Dortmunder Überlegenheit in der ersten Hälfte
Im Rückblick erschien die verblüffend klare Überlegenheit der Dortmunder wie ein großer Bluff. Niclas Füllkrug traf den Pfosten (24.), nachdem Karim Adeyemi kurz zuvor eine noch bessere Möglichkeit bei einem Eins-gegen-Eins gegen Madrids Torhüter Thibaut Courtois vergeben hatte (21.). „Wenn wir das 1:0 machen, dann haben wir sehr große Chancen, das Ding zu ziehen“, sagte Nico Schlotterbeck, wobei Real in der zweite Halbzeit einfach gute Antworten fand und daher keinesfalls mit Glück gewann.
Es waren die Spanier, die diesen einen kleinen Fehler nutzten, als Toni Kroos einen perfekt ausgeführten Eckball auf Daniel Carvajal schlug, der seinem Gegenspieler Ian Maatsen entkommen war und das 1:0 köpfte (74.). Der arme Maatsen, den der BVB vom FC Chelsea ausgeliehen hat und den der Revierklub gerne fest verpflichten möchte, produzierte dann auch noch einen schwerwiegenden Fehlpass, der Reals zweites Tor durch Vinicius Junior ermöglichte (83.).
Das Ergebnis ließ sich entgegen der Dortmunder Erzählung also ganz gut mit dem Spielverlauf erklären. Reals Trainer Carlo Ancelotti hatte in der Halbzeit die passende Feinjustierung vorgenommen, ließ seine Mannschaft etwas tiefer stehen, während der BVB keine hilfreichen Impulse von außen bekam. Auswechslungen machen diese Mannschaft schon länger eher schwächer als besser, selbst an einem Tag wie diesem, an dem kein wichtiger Spieler verletzt fehlte. Die Qualität in der Tiefe des Kaders ist verbesserungswürdig. Die eingewechselten Marco Reus, Jamie Bynoe-Gittens, Séabstien Haller und Donyell Malen brachten nicht eine einzige gefährliche Aktion zustande. „Es war ein schwieriges Spiel für uns vor allem in der ersten Halbzeit“, sagte Ancelotti, aber: „Es geht im Finale darum, zu gewinnen, nicht darum zu spielen.“
Einen ganz ähnlichen Satz hatte vor dem Spiel auch schon Edin Terzic formuliert, mit dem Unterschied, dass Real sich seit mehr als 40 Europapokal-Jahren an diesen Grundsatz hält, während sich bei Borussia Dortmund ein Kreis der Vergeblichkeit schließt. 2013, als der BVB letztmals im Endspiel dieses Wettbewerbs stand, hatte Klubchef Hans-Joachim Watzke seinen Klub zum „zweiten Leuchtturm“ im deutschen Fußball neben dem FC Bayern erklärt. Was jedoch folgte, war eine einzigartige Phase der Münchner Dominanz, in der Reus zum Gesicht der unerfüllten Dortmunder Träume wurde.
Mats Hummels wird den BVB wohl verlassen
Dieser absolvierte nun in London seine letzte Partie für seinen Herzensklub, auch Mats Hummels wird den Verein wohl verlassen, auch wenn er sagt, er habe „keine Ahnung“, ob er noch einmal einen neuen Vertrag unterschreibt. Aber nachdem er Trainer Terzic in der Woche vor dem Endspiel mit sehr harten Worten kritisiert hatte, ist eine weitere Zusammenarbeit wohl kaum vorstellbar. In der Geschäftsführung hat Watzke die sportliche Gesamtverantwortung an Lars Ricken übergeben, in der Bundesliga sind neben München auch Leverkusen und Leipzig Konkurrenten, die wahrscheinlich nicht wieder verschwinden, alles entwickelt sich weiter.
Der europäische Königsklassenwettbewerb wird in der kommenden Saison in einem neuen Format gespielt. 2025 nehmen die Dortmunder außerdem an der aufgeblähten und über vier Wochen ausgetragenen Klub-WM teil. Und der neue Sponsor, der Waffenproduzent Rheinmetall, wird immer dabei sein, was das Image des Klubs spürbar verändert. Insofern war diese Nacht von London auch etwas für Nostalgiker, die Abschied nehmen wollten von diesem faszinierend ursprünglichen BVB, der in den Jahren mit dem Trainer Jürgen Klopp entstand, von dem aber nicht mehr viel übrig sein wird, wenn das kommende Spieljahr beginnt.