Wahrscheinlich verliert der FC St. Pauli mit 0:2. Anschließend treten die Spieler mit einem wohlbekannten Gefühl die Rückreise an. Genervt von der Niederlage, aber eben auch im Wissen, mithalten zu können. Eben das war den Hamburgern vor der Saison nicht von vielen zugetraut worden. Ehe sie nun aber am 27. Spieltag der Bundesliga beim FC Bayern antreten (Samstag, 15.30 Uhr, Sky), rangiert der Klub auf Rang 15 und fünf Punkte vor dem Relegationsrang. Lediglich in zwei Ligaspielen in dieser Saison kassierte die Mannschaft mehr als zwei Gegentore. Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Titel. Für den FC St. Pauli wäre der Klassenerhalt wie ein Triple-Erfolg des FC Bayern. Bislang stellen die Hamburger hinter den Münchnern und dem FSV Mainz die beste Abwehr der Liga.
Der Fußball der Hamburger hat wenig mit der Punkrock-Attitüde zu tun, die der Klub mitunter monstranzig vor sich herträgt und daher eher einmal zu oft als einmal zu selten als „Kult-Klub“ bezeichnet wird. Die von AC/DC angeschlagenen Teufelsglocken läuten selbstredend noch immer vor jedem Heimspiel, was danach folgt aber ist allzu irdisch. Die Hamburger spielen möglicherweise den am besten strukturierten Fußball der Liga. Das ist nicht im Sinne kreativer Schnörkeleien nett anzusehen, folgt aber einem stringenten Plan. Andere Wege, die Klasse zu halten, existieren nicht. Der Marktwert des kompletten Kaders beträgt rund 55 Millionen – so viel wie der rechte Oberschenkel von Jamal Musiala.
Mit Geschäftsführer Andreas Bornemann und Trainer Alexander Blessin hat sich ein Duo gefunden, dass diesen Weg in gedeihlicher Zweisamkeit bestreitet. Bornemann gelang es mit der Verpflichtung des Coaches zum zweiten Mal in Folge, eine herausragende Entscheidung für eine der wichtigsten Personalien im Klub zu treffen. Zuvor hatte er dem erst 29-jährigen Fabian Hürzeler die Mannschaft im Abstiegskampf der Zweiten Liga anvertraut. Hürzeler hatte zuvor beim bayerischen Regionalligisten Pipinsried als Spielertrainer gearbeitet und war anschließend Co-Trainer bei Nachwuchsmannschaften des DFB. Er führte den FC St. Pauli nicht nur zum Klassenerhalt, sondern ein Jahr später auch in die Erste Bundesliga. Es war Endstation der gemeinsamen Reise, für eine Ablöse in Höhe von 7,5 Millionen Euro wechselte der Trainer zu Brighton & Hove Albion in die Premier League nach England.
Das Generieren von Ablöse gehört zum Geschäftsmodell der Hamburger – allerdings im Normalfall die Spieler betreffend. Geschäftsführer Bornemann ist zu einem Nischen-Spezialisten geworden. So haben unter anderem Omar Marmoush und Viktor Gyökeres bereits für die Hamburger gespielt. Der eine wechselte im vergangenen Winter von Eintracht Frankfurt nach Manchester, der andere besitzt mittlerweile einen Marktwert von 75 Millionen Euro und stürmt für Sporting Lissabon. Zuletzt verpflichtete St. Pauli in der Winterpause den Gambier Abdoulie Ceesay vom estnischen Erstligisten Paide Linnameeskond. Man müsse sich auf Märkten umsehen, die für andere Vereine keine Rolle spielen, so Bornemann. Dabei setzen die Hamburger verstärkt auf die mittlerweile globale Datenerfassung. Es geht darum, Wahrscheinlichkeiten abzuwägen. Das persönliche Scoutingnetzwerk umspannt nicht zwingend die Kleinstadt (8000 Einwohner) im Zentrum Estlands. Schon der belgische und niederländische Markt, auf dem sich häufig deutsche Mittelklassevereine bedienen, ist dem FC St. Pauli im Normalfall zu überlaufen.
Das Hinspiel gewann der FC Bayern dank Musiala
Das betrifft allerdings nicht die Trainerposition. Blessin wurde von Bornemann vom belgischen Erstligisten Royale Union Saint-Gilloise verpflichtet. Bochum holte den alten Fahrensmann Dieter Hecking, Union Berlin den wohlbekannten Steffen Baumgart – in Hamburg setzte man auf ein hierzulande eher unbekanntes Gesicht. Das zahlt sich bislang aus. Unter Blessin punktet die Mannschaft verlässlich gegen Teams, die ebenfalls um den Klassenerhalt kämpfen. Heidenheim, Berlin, Hoffenheim oder Kiel etwa verloren gegen St. Pauli. Gegen die Top-Klubs der Liga wehrt sich der Underdog nach Kräften, verliert jedoch meist. Wie etwa im Hinspiel gegen die Bayern, als es am Ende 0:1 hieß.
Nun also steht das Rückspiel an und auf dem Feld wird wieder eine St.-Pauli-Mannschaft stehen, die aus bewährter Grundordnung nach bekannter Adenauer-Doktrin ihr Glück suchen wird: Keine Experimente. Vorne sollen Standardsituationen helfen oder der vor 15 Monaten von Regionalligisten Norderstedt verpflichtete Elias Saad. Wenn das nicht klappt, steht das immer noch eine der besten Defensiven der Liga. Und falls die doch mal überwunden wird: ärgern, analysieren, weitermachen. Auf dass am Ende der Klassenerhalt steht. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.
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