Als der FSV Mainz 05 Mitte Februar den Dänen Bo Henriksen als neuen Trainer verpflichtete, benötigten die Fans des selbsternannten Karnevalsvereins schon närrisch anmutenden Optimismus, um noch an den Klassenerhalt zu glauben. Platz 17 mit neun Punkten Rückstand auf den ersten Nichtabstiegsplatz in der -Bundesliga standen damals zu Buche. Doch die Reanimations- und Rettungsmission Henriksens gelang: Der Däne führte die Mainzer mit einem starken Punkteschnitt von 1,77 noch auf den 13. Platz.
Geht der Höhenflug der Mainzer auch in der neuen Saison einfach genau so weiter? Da sind Zweifel angebracht. In Mittelstürmer Ludovic Ajorque (Stade Brest) und vor allem dem luxemburgischen Taktgeber Leandro Barreiro (Benfica Lissabon) sind dem FSV zwei Eckpfeiler des Aufschwungs im Frühjahr weggebrochen. Auf dem Transfermarkt hielten sich die Rheinhessen zudem bisher vornehm zurück. Aufgefangen werden sollen die Qualitätsverluste weitgehend über das Kollektiv. „Unser Fußball steht für harte Arbeit und nicht für Tiki-Taka. Wir wollen eine Mannschaft sein, gegen die es immer schwer ist zu spielen. Das ist unsere Religion und unsere Kultur“, formulierte Henriksen im Kicker die Herangehensweise.
Welche Rolle kann dabei der Henriksen-Faktor spielen? Wenn sich in Mainz ein Trainer als volksnaher Motivationskünstler präsentiert, lassen die Vergleiche mit dem legendären Jürgen Klopp für gewöhnlich nicht lange auf sich warten. Bo Henriksen hat in seinem ersten halben Jahr in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Außergewöhnliches geschafft – muss diese fulminante Hauruck-Rettung jetzt aber in nachhaltigen Erfolg überführen. „In Mainz haben inzwischen alle den Glauben wiedergefunden. Jetzt geht es darum, jeden ein bisschen besser zu machen. Wir haben verstanden, dass wir so gut waren, weil wir ständig Vollgas gegeben haben. Die Gründe für den Erfolg waren außerdem, dass jeder jedem vertraut und die Taktik gestimmt hat“, sagte der 49-Jährige.
Henriksen in Mainz, Bo Svensson bei Union Berlin, Jess Thorup beim FC Augsburg – warum sind dänische Trainer in der Bundesliga gerade so angesagt? Das hat mehrere Gründe. Die Sprachbarriere ist in der Regel niedrig, die kulturellen Unterschiede gering. Henriksen präsentiert ebenfalls eine Erklärung für den Dänen-Hype in der Liga. „Die Trainingsmethoden haben sich in eine Richtung verändert, die der dänischen Mentalität ein bisschen entgegenkommt. Als ich 19 Jahre alt war, sind wir gesprungen, wenn unser Trainer sagte: Du musst springen. Heute fragen die Spieler: Warum soll ich springen? Es ist wichtiger geworden, in die Spieler hineinzuhorchen, viel mit ihnen zu sprechen, ihnen nah zu sein“, sagte er.
Warum müssen sich die Rheinhessen im Sommer bisher vor allem mit Vorkommnissen außerhalb des Platzes beschäftigen? Das liegt in einem Fall nicht in ihrer eigenen Macht. Der Japaner Kaishu Sano, der mit viel Vorschusslorbeeren verpflichtete Nachfolger Barreiros im Mittelfeld, saß in seiner Heimat 16 Tage lang im Gefängnis. Er stand unter Verdacht, mit zwei Freunden eine Frau vergewaltigt haben. In dieser Woche wurde das Verfahren eingestellt – er soll ins Trainingslager nach Tirol nachreisen. Und dann ist da noch die Causa Anwar El Ghazi. Den Niederländer mit marokkanischen Wurzeln stellten die Mainzer wegen israelfeindlichen Beiträgen in sozialen Netzwerken zunächst frei, begnadigten ihn wieder, um ihn schließlich doch noch zu feuern. Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung allerdings für unwirksam, der Verein soll knapp 1,7 Millionen Euro Gehalt nachzahlen. Nun kündigte El Ghazi und will damit bewirken, den Klub ablösefrei zu verlassen. Ob diese Kündigung rechtswirksam ist, ist allerdings noch offen.
Was macht Hoffnung auf eine zumindest sorgenfreie Saison? In Jonathan Burkardt, 24, und Brayan Gruba, 20, verfügen die Mainzer über eines der spannendsten jungen Offensivduos der Liga mit DFB-Perspektive. Der frühere Nationalspieler Nadiem Amiri bringt Struktur ins Spiel, die Mannschaft hat die Prinzipien des Henriksen-Fußballs verinnerlicht. Und dass die alte Mainzer Symbiose zwischen Fans und Mannschaft durch die emotionalen Momente rund um den Klassenerhalt reaktiviert wurde, dürfte in der neuen Saison auch helfen.
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