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Boxen: Augsburgerin Nikki Adler steht vor schwerstem Kampf ihres Lebens

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Augsburgerin Nikki Adler steht vor schwerstem Kampf ihres Lebens

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    Nikki Adler steht vor ihrem schwersten Kampf.
    Nikki Adler steht vor ihrem schwersten Kampf. Foto: Alexander Kaya

    Kann diese Frau tatsächlich jemandem körperlich weh tun? Wenn man sie sieht, mag man es nicht glauben. Nikki Adler ist eine hübsche, attraktive Erscheinung. Wenn Sie ihre blonden Haare offen trägt, erinnert Sie eher an ein Model aus der Kosmetikbranche. Auch auf Bildern von Promi-Veranstaltungen, auf denen sie mit der Schauspielerin Veronica Ferres in die Kamera lächelt, mit dem Turner Fabian Hambüchen über den roten Teppich läuft oder mit Ex-Handball-Nationaltrainer Heiner Brand plaudert, wirkt Nikki Adler eher wie eine Lady, die vor allem auf ein gepflegtes Äußeres Wert legt.

    Doch die Frau kann hart sein, brutal hart. Einer ihrer ehemaligen Trainer hat einmal gesagt: „Nikki schlägt zu wie ein Pferd.“

    Das muss sie auch. Schließlich ist sie die Weltbeste in ihrem Fach. Wenn die 30-Jährige im Boxring steht, fliegen die Fetzen. Die Augsburgerin ist sechsfache Weltmeisterin. Im Supermittelgewicht hat sie sämtliche Gürtel der vier wichtigsten Box-Verbände gewonnen. Zum Vergleich: Im Männerboxen gelang das bisher nur der bereits gestorbenen Box-Legende Muhammad Ali. Jetzt steht sie vor dem Kampf ihres Lebens und dafür trainiert sie, wenn es nach ihren eigenen Worten geht, wie „eine Blöde“.

    Nikki Adler isst vor allem Steaks und Gemüse

    Zuletzt war Sparringswoche in Halle an der Saale. Dort, wo sonst die Amateurboxer des örtlichen SV trainieren, stieg Adler in den Ring. Ihre beiden Gegner, der Südamerikaner Lopez-Lopez Litetio und Lisa Cielas, die 17. der Weltrangliste, versuchen nach Sichtung des Videomaterials so zu boxen, wie Adlers kommende Gegnerin Claressa Shields. Adler keucht und stöhnt. Die blonden Haare unter ihrem Helm kleben ihr am Nacken fest. Trainer Rene Friese gibt lautstark Kommandos: „Locker bleiben. Die Rechte oben lassen und immer an die Füße denken.“ Adler hockt nach der Trainingseinheit am Rand des Rings und lässt die Beine baumeln.

    Ihr Gesicht ist gerötet. Während Lopez-Lopez sie vorwiegend nur leicht touchiert hat, nahm ihre Kollegin Cielas keine Rücksicht. „Es geht an die Substanz. Lisa boxt hart. Schlimmer kann es kaum kommen“, sagt Adler stöhnend und nimmt einen Schluck aus der Trinkflasche. Sie hat bei diesen Trainingskämpfen fast nur die Deckung gesucht. „Eine Gegnerin, die in den ersten Runden immer schnell und hart schlägt, verlässt irgendwann einmal die Kraft“, weiß Adler aus Erfahrung.

    Nikki Adler mit ihrem Boxtrainer Rene Friese.
    Nikki Adler mit ihrem Boxtrainer Rene Friese. Foto: Jule Schutz

    In der kommenden Woche vor dem Kampf wird das Training zurückgefahren. Dann beginnt die Regenerierungsphase. Die Ernährung – hauptsächlich Steaks und Gemüse – bleibt gleich. Auch deshalb eine schwere Zeit für Adler: „Ich hätte so gerne ein Stück Kuchen.“

    Ihr Lebensziel ist Amerika

    Wer Adler kennt, weiß, dass bei allem sportlichem Erfolg ihr immer etwas gefehlt hat. Sie hat im Verlauf ihrer Karriere oft davon gesprochen, dass es für sie noch ein großes Ziel gibt: Amerika. „Da drüben will ich einmal kämpfen. Das ist ein ganz großer Traum von mir“, hat sie sehnsüchtig gesagt. Dieser Wunsch wird ihr spät, aber endlich erfüllt. Nach ihrem sechsten WM-Sieg im März dieses Jahres gegen Jennifer Rancier aus der Dominikanischen Republik kam ein Anruf, auf den auch Adlers Managerin Jule Schutz gewartet hat. Am anderen Ende der Leitung war Amerika.

    Das Management von Claressa Shields, der zweifachen Olympiasiegerin, hatte sich gemeldet. Die bisherige Amateurin ist vor kurzem ins Profilager gewechselt und wollte dringend einen WM-Kampf für ihre weitere Karriere. Die Wahl fiel auf das Nonplus-Ultra der Frauen-Box-Szene: auf Nikki Adler. Am kommenden Freitag steigt Adler in Detroit um 22 Uhr Ortszeit (4 Uhr MEZ) in den Ring. Momentan finden noch Verhandlungen mit deutschen Fernsehsendern statt.

    Es war ein langer Weg dorthin. Adler musste viele Hürden überspringen. Sie fiel auf die Nase und sie ist wieder aufgestanden. Rückschläge haben sie stark gemacht. Hinzu kommt, dass Frauenboxen keine Nische ist, in der man finanziell überleben kann. Das gelang in Deutschland lediglich Regina Halmich. Ihre Kämpfe wurden auch im Fernsehen übertragen. Nach Halmich lag das Frauenboxen brach,

    Nikki Adler mit ihrer Managerin Jule Schutz.
    Nikki Adler mit ihrer Managerin Jule Schutz. Foto: Jule Schutz

    Erst jetzt in Amerika bekommt Adler eine halbwegs vernünftige Kampfbörse. Von 50.000 bis 60.000 Euro ist die Rede. Auch deshalb, weil der amerikanische Fernsehsender Showtime, der auch kürzlich den Fight zwischen Wladimir Klitschko und Anthony Joshua übertragen hat, live berichten wird. Das Interesse in Amerika ist groß. Vor allem natürlich wegen Shields. Nicht nur weil sie zweifache Olympiasiegerin ist.

    Adlers Gegnerin hat eine Menge durchgemacht

    Sondern wegen ihrer tragischen Lebensgeschichte. Shields kommt aus Flint der Nähe von Detroit. Ihr Vater sitzt lange Zeit im Gefängnis. Sie wird als Jugendliche von einem Liebhaber ihrer Mutter, die drogensüchtig ist, vergewaltigt. „Wenn ich in den Ring gehe, dann brauchen sie mich bloß anzuschauen, um zu erkennen, dass ich eine Menge durchgemacht habe. Sie können den Schmerz in meinen Augen sehen und ahnen, dass ich ihn rauslassen werde,“ sagt sie einmal in einem Interview. Aufgrund ihrer Schlagkraft heißt Claressa Shields in den USA nur „T. Rex“. Nach ihrem Olympiasieg im Jahr 2012 macht sie ihren Highschool-Abschluss. Mittlerweile scheint es, dass sie das Trauma ihrer Jugend überwunden hat. Shields schaut auch stark auf ihr Äußeres. „Wenn ich aus dem Ring komme, mache ich mir meine Haare. Da bin ich eine Lady. Im Ring bin ich ein Biest“, sagt die 22-Jährige.

    Ganz anders ist das Leben von Nikki Adler. Das gleicht einem Tanz auf zwei Hochzeiten. Boxen und Beruf. Sie beginnt nach der Schule eine Lehre bei der Post. Dort arbeitet sie noch immer und beliefert als Angestellte die Bewohner in Meitingen (Kreis Augsburg) mit Paketen und Briefen. Ab fünf Uhr ist sie auf den Beinen. Vor einem schweren WM-Kampf und einer harten Vorbereitung ein Unding.

    Von der Arbeit wird Nikki Adler freigestellt

    Wie schon so oft in den vergangenen Jahren wird sie von ihrem Arbeitgeber über sechs Wochen freigestellt. „Wir haben eine gemeinsame Lösung gefunden“, sagt Adler und schiebt gleich hinterher: „Ich habe tolle Arbeitskollegen und einen tollen Chef.“ Für Adler ist die Post ein Faustpfand für die Zukunft: „Ich könnte heute gut über die Runden kommen, ohne zu arbeiten, aber das ist mir zu gefährlich. Wenn mir im nächsten Kampf etwas passiert, habe ich gar nichts mehr.“ Adler hat einige Kleinsponsoren, die unter anderem ein Auto oder Kosmetikartikel kostenlos zur Verfügung stellen, oder sie finanziell unterstützen.

    Nikki Adler arbeitet als Postbotin.
    Nikki Adler arbeitet als Postbotin. Foto: Marcus Merk

    Wer Nikki Adler schon ein paar Jahre kennt, merkt, dass sie reifer, eloquenter, souveräner und taffer geworden ist. Sie lacht viel und oft. Wenn sie sich freut, benützt sie Wörter wie „Wow“, „Yeahh“ oder „das ist Bombe“. Vor einigen Jahren wirkte sie noch wesentlich unsicherer. Das hat Gründe. Denn in der Zeit nach Halmich sucht die Boxszene verbissen nach Nachfolgerinnen. Nikki Adler, die gebürtige Augsburgerin mit kroatischem Hintergrund ist gerade dabei, sich in Deutschland einen Namen zu machen. Noch unter ihrem bürgerlichen Namen Nikolina Orlovic schickt sie etliche Gegnerinnen auf die Bretter und gewinnt die deutsche Meisterschaft und die Europameisterschaft.

    Es dauert nicht lange, da unterschreibt sie im Jahr 2007 in Berlin beim Wiking-Boxteam ihren ersten Profivertrag. Alle ihre Wünsche scheinen in Erfüllung zu gehen. Doch Nikki Adler lernt dabei auch das hässliche Gesicht des Boxsports kennen. Versprechen von Seiten des Managements werden nicht eingehalten. Sie fühlt sich „gelinkt“ und im Stich gelassen. „Berlin war für mich die Hölle. Mir ging es überhaupt nicht gut. Ich war auf mich allein gestellt und zu weit weg von Augsburg. Damals habe ich sehr viel mit meinen Eltern und meiner Schwester Daniela telefoniert“, erzählt sie einmal.

    Nikki Adler lebt noch bei den Eltern

    Apropos Familie: Für Adler ein Hort der Geborgenheit. Sie wohnt noch zusammen mit ihren Eltern und der Labradorhündin Jacky im Augsburger Stadtteil Pfersee. Einen festen Freund hat sie nicht. „Dafür habe ich momentan keine Zeit“, sagt Adler lächelnd. Von Mutter und Vater wird sie immer unterstützt. Schon als Mädchen ist die kleine Nikki anders als andere. Barbiepuppen sind ebenso wenig ihr Ding wie Ballett oder irgendwelche Prinzen in Märchenschlösser. Am liebsten sieht sie sich mit ihrem Vater Boxkämpfe der Gebrüder Klitschko im Fernsehen an. Beide hinterlassen großen Eindruck bei ihr. „Ich habe immer zu meinem Vater gesagt, dass will ich auch einmal machen“, erzählt sie lachend.

    Nikki Adler trägt Briefe und Pakete aus.
    Nikki Adler trägt Briefe und Pakete aus. Foto: Marcus Merk

    Es dauert dennoch bis zu ihrem 15. Lebensjahr, bis sie mit dem Kickboxen anfängt. Das Mädchen ist mit einer Portion Talent ausgestattet. 2004 wird sie Bayerische Meisterin. Doch Kickboxen macht sie nicht so richtig glücklich. Sie verdreht die Augen und sagt: „Mit den Füßen zu schlagen, dazu war ich immer zu faul.“

    Ihrer Karriere tut das keinen Abbruch. Wer Adler trainieren sieht und dabei ihre muskulösen Oberarme betrachtet, kann sich in etwa vorstellen, wie eine rechte Gerade von ihr schmerzen kann. Mit drei verschiedenen Trainern hat sie bisher alle ihre 16 Profikämpfe gewonnen. Für ihren derzeitigen Coach Rene Friese, der sie seit ihrem sechsten WM-Sieg betreut, ist Adler ein Phänomen: „Sie lebt nur für diesen Sport, weil sie diesen Sport liebt. Das macht sie einzigartig.“ Friese muss es wissen. Der frühere Jugend-Vizemeister, der in der ehemaligen DDR auch für die Junioren-Nationalmannschaft boxte, hat bisher einige renommierte Boxer trainiert. Wie Robert Stieglitz den Weltmeister im Supergewicht, Europameister Robin Krasniqi oder die fünffache Weltmeisterin Christina Hammer. In der ehemaligen DDR verpasst Friese seiner Boxerin auch den Feinschliff für Amerika.

    Ihre Managerin ist ihre Vertraute

    Neben ihrem Trainer Rene Friese gehört vor allem Jule Schutz, ihre Managerin, zu ihren derzeitigen Vertrauten. Seit knapp vier Jahren kümmert sich die Programmdirektorin von Antenne Thüringen um die Augsburger Boxerin. Seit Schutz die Dinge in die Hand genommen hat, ist einiges passiert. Unter dem Slogan „Nikki muss heißer sein als jede Frau und härter als jeder Mann“, versucht sie die Boxerin zu vermarkten und zu platzieren. Schutz hat ein Gespür dafür, allerdings ist das mit harter Arbeit verbunden. Schutz spricht dann von „Klinken putzen.“ Sie bringt Adler nicht nur auf Promi-Partys, wie den Wiener Filmball unter; durch ihre beharrliche Art, schafft sie es auch, dass Fernsehsender auf die Augsburgerin zukommen. Adler wurde nicht nur für die RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten gebucht.“

    Nikki Adler ist sechsfache Weltmeisterin.
    Nikki Adler ist sechsfache Weltmeisterin. Foto: Alexander Kaya

    Sie durften auch bei der ARD im „Tigerentenclub“ den Kids das Boxen erklären oder bei Vox in „das perfekte Dinner“ zeigen, dass sie neben Boxen auch kochen kann. Vom Bezahlsender Sky wird sie auch ab und zu in der Halbzeitpause bei einem Fußballspiel des FC Augsburg zu einem Statement gebten. Manche Einladungen musste sie auch schweren Herzens absagen. Ausgerechnet jene von Hollywood-Star Sylvester Stallone, der die Hauptrolle im mehrteiligen Kino-Blockbuster „Rocky“ spielte. Der wollte für die amerikanische Fernsehshow „Beastmaster“ die Augsburgerin anwerben. In dieser Sendung messen sich 20 weibliche und männliche Teilnehmer in Martial Arts (Kampfkünste), Krafttraining und Boxen. Doch aufgrund eines WM-Kampfes in Saarbrücken bekam Rocky einen Korb.

    Fast ein Jahr nach dieser Absage ist der Traum von Amerika dennoch wahr geworden. Deutsche Boxer in Amerika standen bisher fast ausnahmslos auf verlorenem Posten. Max Schmeling war im Jahr 1936 der letzte Deutsche der damals in den Staaten gegen Joe Louis einen Kampf gewonnen hat. Selbst Regina Halmich hat 1994 ihren Kampf in Amerika verloren. Halmich hat Adler via Facebook schon längst Mut gemacht: „Endlich mal ein guter Frauenboxkampf. Das fehlt in Deutschland komplett. Viel Glück, Nikki.“ Trainer Friese beziffert die Chancen gegen Shields auf 50:50: „Es wird schwierig. Ich hoffe vor allem auf ein faires Kampfurteil. Allein ein Punktsieg ist in Amerika kaum möglich.“ Für Adler selbst wird es der Kampf ihres Lebens. Am Sonntag fliegt sie über den großen Teich. Es ist zugleich ihre schwerste und ihre schönste Reise: „So eine Chance bekomme ich nie mehr. Ich werde alles geben.“ Nikki Adler ist bereit für Amerika.

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