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Analyse: Millionen für Nagelsmann, Hütter und Rose: Wie viel ist ein Bundesliga-Trainer wert?

Analyse

Millionen für Nagelsmann, Hütter und Rose: Wie viel ist ein Bundesliga-Trainer wert?

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    Julian Nagelsmann ist ganz oben angekommen, ein Star der Bundesliga-Branche. Aber sein Wechsel zum FC Bayern birgt auch ein Risiko.
    Julian Nagelsmann ist ganz oben angekommen, ein Star der Bundesliga-Branche. Aber sein Wechsel zum FC Bayern birgt auch ein Risiko. Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters-Pool, dpa

    Ein Samstag im Juli 2016. Auf dem Sportplatz des FC Issing findet eines dieser kleinen Hobbyturniere statt, mit denen Amateurvereine in der Sommerpause ihre Plätze beleben. Spaß steht im Vordergrund, nicht das Gewinnen, als Teams mit Frauen und Männern auf Feldern mit kleinen Toren gegen den Ball treten. Alles nicht weiter ungewöhnlich, wäre da nicht dieser Zuschauer. Am Spielfeldrand verfolgt Julian Nagelsmann das Treiben. Und das ungestört. Weder Autogramm- noch Selfiejäger umzingeln den groß gewachsenen jungen Mann im weißem Polo-Shirt.

    Nagelsmann ist in Issing südlich von Landsberg aufgewachsen, bei ihm stehen seine Mutter Burgi und Schwester Vanessa. Nagelsmann ist damals 28 Jahre alt und seit fünf Monaten Trainer der TSG Hoffenheim. Nie zuvor war jemand jünger, als er diese leitende Position eines Bundesligisten übernommen hat. Als er im Februar die Stelle antrat, war das mediale Interesse immens, der Boulevard schrieb vom „Wunder-Trainer“.

    Nagelsmann entspricht damals dem Zeitgeist, dient als Prototyp einer neuen Trainergeneration. In der fachliches Wissen weit mehr Beachtung geschenkt wird als Erfahrung. In der die Qualität der Arbeit nicht mehr an Nationalspieler-Meriten festgemacht wird, sondern allein an der Kompetenz, die er sich im Rahmen seiner Ausbildung erworben hat. Mancher meint es positiv, mancher abschätzig, wenn er damals von „Laptoptrainern“ spricht.

    Wie zielstrebig Nagelsmann seinen Weg geht, wird mit den ersten Sätzen im Nebenraum des Issinger Sportheims deutlich. „Im Fußball bin ich groß geworden, das habe ich erlernt. Da traue ich mir einiges zu, bin überzeugt von meinen Ideen“, sagt er. Dass er wegen einer Verletzung früh den Traum einer Profikarriere aufgeben musste, sieht er nicht als Nachteil. „Die Gefahr besteht darin, alles weiterhin so zu machen, wie man es erlebt hat. Verändert sich eine Situation, funktioniert Handeln nach der Erfahrung nicht mehr.“

    Wechsel zum FC Bayern: Julian Nagelsmann ist nun ein Star seiner Branche

    Fünf Jahre später kann man sich schwerlich vorstellen, Nagelsmann unbehelligt auf einem Dorfsportplatz anzutreffen. Besucht er seine Heimat, wird er möglichst wenige Menschen darüber informieren. Nagelsmann ist ganz oben angekommen, ein Star seiner Branche. Ab Sommer trainiert er den FC Bayern München. Betritt also die Bühne eines Weltvereins.

    In vielerlei Hinsicht ist Nagelsmann die Personalie. Mit 33 Jahren ist er jüngster Bayern-Trainer aller Zeiten. Weil RB Leipzig kolportierte 25 Millionen Euro Ablöse kassiert, steigt Nagelsmann zum teuersten Trainer der Fußballgeschichte auf. Sein Transfer ist der bisherige Höhepunkt eines nie dagewesenen Trainer-Wechsel-Dich in der Bundesliga, das Diskussionen rund um die gesamte Berufsbranche ausgelöst hat. Nicht mehr nur für Spieler werden unvorstellbare Summen ausgegeben. Nicht mehr nur Spieler nutzen Ausstiegsklauseln in Verträgen. Nicht mehr nur Spieler äußern öffentlich Wechselwünsche und setzen Arbeitgeber unter Druck.

    Adi Huetter (links) ist der Trainer-Aufsteiger des Jahres. Er hat mit Frankfurt viel erreicht - und ist entsprechend begehrt auf dem Fußball-Markt.
    Adi Huetter (links) ist der Trainer-Aufsteiger des Jahres. Er hat mit Frankfurt viel erreicht - und ist entsprechend begehrt auf dem Fußball-Markt. Foto: Jan Hübner, Witters

    Dass Trainer ihre Karriere mit Verve vorantreiben, ist nicht neu. Schließlich sind Stellen rar. Aktuell bemühen sich in Deutschland knapp 900 Fußballlehrer mit gültigen Lizenzen um eine von 36 Cheftrainerstellen in der ersten und zweiten Liga. Viele warten, die Arbeitslosenquote ist hoch. Mancher verliert die Geduld und flüchtet in belgische, niederländische oder österreichische Ligen.

    Auch in der Vergangenheit haben sich Vereine Wunschlösungen viel kosten lassen. André Villas-Boas vom FC Porto war dem FC Chelsea 2011 elf Millionen Euro wert; und als Markus Weinzierl 2016 unbedingt zum FC Schalke 04 wollte, brachte der Wechsel dem FC Augsburg drei Millionen Euro ein.

    So rasant hat sich das Trainerkarussell in der Bundesliga noch nie gedreht

    Dass nun derart lebhaft diskutiert wird, begründet sich in der Zahl der Fälle und den finanziellen Dimensionen. So rasant hat sich das Trainerkarussell noch nie gedreht. Dortmund, Mönchengladbach, Frankfurt, Leipzig, Wolfsburg, München – Top-Teams tauschen Trainer und sind bereit, mehr Millionen als je zuvor auszugeben. Klubbosse fragen sich: Wie viel ist eine Spitzenführungskraft wert? Lohnt sich die Investition? Und wie hoch ist das Risiko eines Verlustgeschäfts?

    Auch so einer, der weiß, was er will - und was er wert ist: Trainer Marco Rose - noch Mönchengladbach, bald Dortmund.
    Auch so einer, der weiß, was er will - und was er wert ist: Trainer Marco Rose - noch Mönchengladbach, bald Dortmund. Foto: Thorsten Wagner, Witters

    In Corona-Zeiten müssen Klubs Einbußen im mittleren zweistelligen Millionenbereich verkraften. Kader werden reduziert, Lohnkosten gedrückt. Die Zurückhaltung auf dem Transfermarkt wird sich im Sommer fortsetzen. Werden trotzdem Spieler verpflichtet, wirken sich Fehlgriffe noch verheerender aus. Als Jürgen Klinsmann beim FC Bayern anheuerte, versprach er, jeden Spieler jeden Tag besser machen zu wollen. Gelungen ist ihm dies mäßig. Doch darum geht es: einen Bessermacher zu finden. Sind Manager überzeugt und sehen sie keine Alternative, schlucken sie die Kröte der Ausstiegsklausel.

    Als Manager in Freiburg, Köln, Augsburg und St. Pauli hat Andreas Rettig mit vielen Trainern zusammengearbeitet. Dieser bringe den Spielern nicht nur bei, wie man den Ball mit der Innenseite passe, meint Rettig, als Fußballlehrer und Ausbilder vermittle er Werte. „Der Trainer hat in hohem Maße eine Vorbildfunktion bezüglich seines Verhaltens, seiner Einstellung und seiner öffentlichen Darstellung.“

    Entsprechend kritisch beurteilt Rettig daher, wenn Trainer Praktiken von Spielern übernehmen, wenn sie Handgelder kassieren, sich Vertragsunterschriften bezahlen lassen oder von Ausstiegsklauseln Gebrauch machen. „Mit Vertragsbeginn schwächt der Trainer seine Position im Verein. Weil er signalisiert, dass er auf gepackten Koffern sitzt. Ich sehe darin einen Imageverlust, eine Schramme bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit.“

    Klassische Retter in der Bundesliga sind selten geworden

    Rettig, 58, trieb einst als Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) die Vermarktungsinteressen der Bundesligisten voran, inzwischen stellt er den Turbokapitalismus des Fußballs infrage und vertritt verstärkt Faninteressen. So schlägt Rettig eine Solidaritätsabgabe vor, zehn Prozent der Ablösesumme für einen Trainer sollten zum Bund Deutscher Fußball-Lehrer oder in deren Akademie fließen. „So könnte man etwas an die Trainerausbildung zurückgeben, und davon profitieren am Ende alle.“

    Fernab wirtschaftlichen Denkens wird der Mann an der Seitenlinie erstes Opfer von Misserfolg bleiben.
    Fernab wirtschaftlichen Denkens wird der Mann an der Seitenlinie erstes Opfer von Misserfolg bleiben. Foto: Frank Peters, Witters

    Fernab wirtschaftlichen Denkens wird der Mann an der Seitenlinie erstes Opfer von Misserfolg bleiben. Allein in der laufenden Saison wechselten Bundesligisten neunmal den Trainer. Klassische Retter, die Jörg Bergers und Huub Stevens, sind indes selten geworden. Sportliche Leiter setzen auf moderne Trainertypen, deren Wissen sich nicht aus Erfahrungen als Profispieler speist.

    Lutz Hangartner ist Verfechter dieses Wandels. Er erinnert sich an die Anfänge. „Die Alten hatten Probleme damit, das zu akzeptieren. Aus ihrer Sicht drangen junge No-Names in Bereiche ein, in denen sie nichts zu suchen hatten.“ In den 1980er-Jahren trainierte Hangartner mal den SC Freiburg in der zweiten Liga, seit fast einem Jahrzehnt ist er Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL).

    Hangartner erlernte das Trainerhandwerk von Hennes Weisweiler. Den wiederum beeinflusste Sepp Herberger. Über Jahrzehnte hinweg hatte sich in Deutschland ein autoritärer Trainerstil verfestigt, den die Rehhagels, Happels, Feldkamps und Magaths praktizierten. Schonungslos und mit antiquitierten Trainingsmethoden befehligten sie alleinig ihre Truppen.

    Ein erfahrener Trainer ist erschüttert über den heutigen Umgangston

    Es sei aber nicht alles schlecht gewesen, wirft Hangartner ein. „Der Trainer war eine Respektsperson, die nicht unter der Gürtellinie angegriffen wurde.“ Ihn erschüttert der Umgangston, mit dem Trainern heutzutage öffentlich und in sozialen Medien begegnet werde. Auch wenn die hohen Ablösesummen einen anderen Eindruck vermittelten, betont der 77-Jährige: „Der Stellenwert des Trainers ist über Jahre geschwächt worden.“

    Im Januar 2000 wurden ehemalige Nationalspieler wie Brehme, Buchwald oder Littbarski innerhalb von sechs Monaten zum Fußballlehrer durchgewunken. Normalerweise dauert das ein Jahr. Ins Bild passte, dass der ehemalige Nationaltorhüter Jens Lehmann Jahre später noch von sich behauptete: „Ich habe keinen Trainerschein, aber ich denke, dass ich morgen anfangen könnte, eine Mannschaft zu trainieren.“

    Doch ehemalige Adlerträger genießen längst keinen Sonderstatus mehr. Unter dem Schock der Europameisterschaft 2000, als das Nationalteam ein erbärmliches Bild abgegeben hatte, revolutionierte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seine Nachwuchsarbeit. Die der Spieler, aber auch die der Trainer. Bei DFB-Ausbildern gilt inzwischen der Grundsatz: Trainer und Spieler sind unterschiedliche Berufe. Inhalte sind angepasst, Theorie zählt mehr als praktische Erfahrung.

    Nicht zufällig war der ehemalige Mathematiklehrer Volker Finke einer der ersten Trainer, der im Wortsinn lehrte. Unvergessen der damals unbekannte Fußball-Professor Ralf Rangnick, der im ZDF-„Sportstudio“ die Viererkette dozierte, danach kamen Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel. Wer bereit war, moderne Wege zu gehen und sich anzupassen, blieb im Geschäft.

    Ex-Trainer Armin Veh sagt: Trainer mit 20, das ist mir zu früh

    Der Augsburger Armin Veh war 29 Jahre jung, als in den 90ern seine Trainerkarriere begann. Nicht in der Bundesliga, sondern der drittklassigen Regionalliga. „Gleich in der ersten Liga zu beginnen, war kein Thema“, betont Veh. Nach Stationen beim FC Augsburg, SSV Reutlingen und Hansa Rostock machte Veh 2007 mit dem VfB Stuttgart in der Bundesliga sein Meisterstück. Ob in Wolfsburg, Hamburg, Frankfurt oder Köln – Veh war Teil der steten Verwissenschaftlichung des Fußballs. Gegen prinzipiellen Jugendwahn wehrt sich der 60-Jährige allerdings. „Eine Trainerkarriere mit 20 Jahren anzufangen, ist mir zu früh. Praktische Erfahrungen sollte man schon vorher sammeln.“

    „Eine Trainerkarriere mit 20 Jahren anzufangen, ist mir zu früh", sagt der Augsburger Ex-Trainer Armin Veh.
    „Eine Trainerkarriere mit 20 Jahren anzufangen, ist mir zu früh", sagt der Augsburger Ex-Trainer Armin Veh. Foto: Ulrich Wagner

    Wenn Julian Nagelsmann im Sommer die Aufgaben beim FC Bayern übernimmt, wird ihn ein mehrköpfiges Team unterstützen. Trainingslehre, Pädagogik, Psychologie oder Spielanalyse – für jeden Bereich kann er auf Expertenwissen zurückgreifen. Inzwischen Standard. Doch die Verantwortung trägt letztlich er alleine. Der 33-Jährige tritt den Beweis an, dass seine Trainergeneration nicht nur Erkenntnisse, sondern bedeutende Titel und Trophäen gewinnen kann.

    Größtmöglichen Erfolg erreichte der Münchner Fußballkonzern, wenn er einem erfahrenen, eher väterlichen Trainertypus das Vertrauen schenkte. Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes und Hansi Flick überzeugten nicht unbedingt durch Fachwissen über Dreierkette oder abkippende Neun, vielmehr fanden sie in die Köpfe der Bayern-Stars. Wussten mit deren Befindlichkeiten umzugehen und griffen dabei auf den Erfahrungsschatz einer langen Trainer- und Spielerkarriere zurück. Nagelsmann hingegen überzeugte bislang durch nerdiges Taktikwissen, für das sich titellose Talente empfänglich zeigten.

    Der FC Bayern hat sich auf ein Experiment eingelassen. Auf eines mit ungewissem Ausgang.

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