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WM 2018: Wie die Weltmeisterschaft zu Putins Spielen werden soll

WM 2018

Wie die Weltmeisterschaft zu Putins Spielen werden soll

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    Russlands Präsident Wladimir Putin und Fifa-Präsident Gianni Infantino.
    Russlands Präsident Wladimir Putin und Fifa-Präsident Gianni Infantino. Foto: Maxim Shipenkov, dpa

    Es hätte Großbritannien werden können. Auch Spanien und Portugal. Oder Belgien und die Niederlande. Doch an einem späten Moskauer Abend im Dezember 2010 titelte die russische Internetzeitung gazeta.ru – damals noch regierungskritisch – gewohnt ironisch: „Russland hat die Fußball-WM gewonnen“. Bei minus 25 Grad freuten sich ein paar versprengte russische Fans über „die Siege: Olympia, Formel 1, Fußball-WM“, wie sie begeistert im Schnee sagten.

    Gewonnen war da natürlich noch nichts oder zumindest wenig. Gewonnen war lediglich der Zuschlag für die Ausrichtung der Spiele, gemeinsam mit Katar, wo der Ball in vier Jahren quasi im Sand rollen soll. Kaum hatte der damalige Präsident des Fifa-Weltfußballverbandes, Joseph Blatter, den Zettel mit dem Wort „Russia“ hochgehalten, fingen bereits die Diskussionen über die Farce der Vergabe an, die eine systemimmanente Logik offenbarte. Diskussionen über die gekaufte WM. Katar soll den Fifa-Funktionären Luxus-Flüge bereits zur Fußball-WM nach Brasilien spendiert, den Verwandten besagter Fifa-Funktionäre mit Bauaufträgen gewinkt, Millionenbeträge auf das Konto einer Funktionärstochter überwiesen haben. Russland kam im Zuge des Entsetzens über die Vergabe nach Katar fast schon milde davon. Da war die Rede von gekauften Stimmen, auch mit teuren Bildern, man prangerte die in Russland üblichen „Otkaty“ bereits für die Ausschreibungen an, so heißen Bestechungsgelder für Beamte und Politiker im Russischen. Es blieb jedoch lediglich bei den Korruptionsvorwürfen, die sowohl Russland als auch Katar bis heute vehement bestreiten.

    Der damalige FIFA-Chefermittler Michael Garcia hatte einen Bericht zur WM-Vergabe verfasst.
    Der damalige FIFA-Chefermittler Michael Garcia hatte einen Bericht zur WM-Vergabe verfasst. Foto: Walter Bieri (dpa)

    Der Fifa-Ermittler Michael Garcia bekam kein Visum mehr für Russland

    Selbst der Prüfbericht zur WM-Vergabe des US-Anwalts und Fifa-Ethikkommissionsermittlers, Michael Garcia, erbrachte keinen zwingenden Beweis, dass die WM gekauft worden war. Der Bericht zeigt zwar die Abgründe der Fußball-Welt in der Ära Blatter auf, doch er liefert keine Fakten, die juristisch relevant wären. Moskau ist ohnehin nicht gut auf Garcia zu sprechen, beschuldigt es ihn doch, für die Inhaftierung von Viktor But, dem damals meistgesuchten Waffenhändler der Welt, mitverantwortlich zu sein. But wurde 2012 zu 25 Jahren Haft verurteilt. Dem Russen, der „Händler des Todes“ genannt wurde, war nachgewiesen worden, Waffen an etliche Diktatoren rund um den Globus verkauft zu haben. Garcia bekam aufgrund dessen kein Visum mehr für Russland.

    Von seinem Posten als Fifa-Chefermittler war der Jurist bereits 2014 zurückgetreten, die Fifa hätte seinen Bericht gern weiter unter Verschluss gehalten. Die Altlasten der Blatter-Zeit sickerten allerdings dennoch nach außen, die Veröffentlichung so mancher Details passt nicht zu dem, was der Blatter-Nachfolger, Gianni Infantino, eigentlich bewirken will und pathetisch versprochen hatte: einen moralischen Neuanfang im Weltfußball.

    Putin betont immer wieder: "Es wird ein wunderbares Fest"

    Die WM in Russland bleibt weiterhin umstritten, Infantinos Dauergrinsen bei seinen Besuchen in Russland und sein Verstummen, wenn das Thema auf das staatlich gelenkte russische Dopingsystem kommt, zeigt keinen Funken dieses vermeintlichen Neubeginns. Putin und Infantino brauchen einander, sie brauchen diese Weltmeisterschaft. Der Schweizer, um zu zeigen, dass die Blatter-Ära wirklich vorbei ist, der Russe, um seine Legitimation zu stärken, um von strukturellen Problemen in seinem Land abzulenken. Ein solches Großereignis lässt Russland nach außen als das Land präsentieren, wie es sich die Führung wünscht: modern und weltoffen. „Es wird ein wunderbares Fest“, sagte Russlands Präsident bei der kürzlichen Sitzung mit den Vertretern des russischen Sicherheitsrates.

    Russlands Präsident Wladimir Putin (l) posiert mit den beiden Fußballlegenden Pele (M) und Maradona.
    Russlands Präsident Wladimir Putin (l) posiert mit den beiden Fußballlegenden Pele (M) und Maradona. Foto: Aleksey Nikolskyi (dpa)

    Er wiederholt diesen Satz bei jeder Gelegenheit, wenn es um die WM geht. Ein Fest, um vor allem seinem Volk zu zeigen: Seht her, wir sind nicht isoliert, die ganze Welt kommt zu uns, die ganze Welt achtet uns! Damit sendet er wieder einmal das Signal, dass solche „Errungenschaften“ nur funktionieren, weil er an der Macht ist und Russland sich mit ihm als selbstbewusstes und aufstrebendes Land zeigen kann. Auch wenn die Beziehungen zum Westen spätestens seit der Krim-Annexion durch Russland schwer beschädigt sind. Jede Kritik aber prallt an der Führung in Moskau ab. Sie verkauft sie gern als Verschwörung gegen Russland und pflegt damit seine Wagenburg-Mentalität. Selbst der Rückzug des Vize-Premiers Witali Mutko als Vorsitzender des russischen Fußballverbandes, weil der internationale Druck auf russische Sportfunktionäre immer größer geworden war, ist nichts weiter als Kosmetik.

    Mutko, ein langjähriger Vertrauter Putins, nimmt sich zur WM aus der Schusslinie und sieht seinen auf sechs Monate angelegten Verzicht nicht als Schuldeingeständnis ein. Den Kritikern gilt der einstige Sportminister als staatliches Übel im russischen Sport. Ein Wille zur ehrlichen Aufarbeitung des Doping-Systems ist im offiziellen Moskau nicht vorhanden. Staatliche Orchestrierung von Doping streitet die russische Führung kategorisch ab. Wie solle das gehen, wenn internationale Trainer angeheuert würden, hatte Mutko, der sein Land stets geschickt bei den olympischen Gremien und der Fifa zu vertreten wusste, einst gespielt naiv gefragt. Dass auch russische Nationalspieler Teil des gelenkten russischen Dopingsystems sein sollen, gilt der Regierung ebenfalls als Angriff aus dem Westen. Zumal sie sich darauf beruft, dass nichts nachzuweisen sei. Die Fifa hatte erst kürzlich die meisten Verdächtigen unter den russischen Fußballern von solchen Vorwürfen freigesprochen.

    Putin selbst kann nicht so viel mit Fußball anfangen

    Auch mit dem Abschluss der Ermittlungen zur WM-Vergabe ist in Bern dann zu rechnen, wenn von Kaliningrad bis Jekaterinburg längst der Ball rollt – und damit nicht nur Geld für die Eliten bringt, sondern auch das Image eines Präsidenten stärkt, der zwar ein lausiger Fußball-Liebhaber ist, Putin begeistert sich vielmehr für Eishockey und Sambo – eine, kurz gesagt, sowjetische Version des Judo –, aber der Welt „perfekt organisierte Fußball-Spiele“ verspricht.

    Rund 15 Milliarden Euro soll der Neubau von Stadien – die Spiele finden in zwölf Arenen von elf Städten statt –, Flughäfen, Bahnstrecken, Hotels gekostet haben. Selbst die Kritiker betrachten diese als „Motor für die Stadtentwicklung“, zumindest in den Orten der Spiele. Die Nationalbank hat bunte 100-Rubel-Scheine mit Fußballmotiv in einer Auflage von 20 Millionen drucken lassen, die WM-Fußballfahnen wehen seit Tagen auf zahlreichen Brücken, die Aufschriften auf Bussen und Bahnen weisen die Menschen auf das Großereignis hin. Die Austragung der WM im Land erfüllt die meisten Russen mit Stolz – und oft mit vollkommener Gleichgültigkeit. Als „Land der hoffnungslosen Fußballfans“ wird Russland zuweilen beschrieben, der „Sbornaja“, wie die Nationalmannschaft heißt, werden kaum Chancen aufs Weiterkommen zugerechnet. Fußball gilt als Rüpelsport im Land. Niemand, der klug sei, interessiere sich dafür, sagen die Russen oft.

    Die Korruption wird von der Bevölkerung hingenommen

    Die Klagen über die Korruption bei der Vergabe der Spiele scheinen den meisten im Land egal zu sein. Sie halten die Vetternwirtschaft in Russland ohnehin für gegeben – und sagen: „Wenn da schon Geld hin- und hergeschoben wird, dann wollen wir etwas für unseren Alltag davon haben.“ Mit der WM, so sind sie sich sicher, haben sie das. Straßen ohne Straßenlöcher („Welch ein Segen!“), neue Flughäfen („Endlich eine Vielfalt der Mobilität“), selbst reparierte Busse oder gestrichene Blumenkübel („Macht das unsere Städte nicht hübsch?“) lassen sie über die Bereicherung ihrer Eliten im Zuge von Großereignissen in ihrem Land gleichgültig hinwegsehen. Die, in deren Stadt die Spiele stattfinden, fangen an, den Fußball zu lieben. „Der Fußball macht unseren Alltag einfacher, unsere Straßen sauberer, den Service besser“, sagen viele. Aber lieben sie deshalb auch ihren Präsidenten?

    Dieser Artikel ist Teil unserer WM-Beilage, die am 12. Juni unserer Zeitung kostenlos unserer Zeitung beiliegt. E-Paper-Abonnenten können die Beilage hier lesen.

    Hier finden Sie den kompletten Spielplan zur WM, den Sie über diesen Link auch im PDF-Format zum Ausdrucken finden: Spielplan zum Herunterladen und Ausdrucken.

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