Jens Zimmermann und Helmer Litzke machen ihren Job am Stadionmikrofon der Vierschanzentournee in Oberstdorf schon viele, viele Jahre. Voller Leidenschaft und Inbrunst animieren sie das Publikum dazu, insbesondere den deutschen Springern oben am Startbalken eine Schallwelle der Begeisterung und ein Wimmelbild von zigtausend schwarz-rot-goldenen Fähnchen hochzuschicken.
Am Sonntag kam das Moderatoren-Duo beim Auftaktwettbewerb der Vierschanzentournee kaum hinterher mit ihrer Gute-Laune-Animation, schließlich trug nach einer überragenden Qualifikation am Samstag fast jeder vierte der insgesamt 50 Springer den DSV-Adler auf dem Anzug. Zwölf Springer im Finale brachte den Deutschen vor Österreich, Polen und Norwegen (jeweils sechs Springer) zwar zwischenzeitlich den Meistbeteiligungspreis, kaufen konnten sie sich davon aber nichts. Doch Bundestrainer Werner Schuster sollte recht behalten, dass mindestens einer seiner Jungs um den Sieg mitspringen könne.
Vierschanzentournee 2018: Kobayashi gewinnt in Oberstdorf vor Eisenbichler
Es war am Ende sein Trainings-Weltmeister Markus Eisenbichler, der die Kohlen aus dem Feuer holte und als umjubelter Zweiter dem Dauersieger Ryoyu Kobayashi nicht nur Paroli bot, sondern dem 22-jährigen japanischen Überflieger auch gehörig auf den Pelz rückte. Die Winzigkeit von 0,4 Punkten fehlte dem 27-jährigen Siegsdorfer zu seinem ersten Weltcup-Sieg.
Eisenbichler, der seinen zweiten Platz vom ersten Durchgang (133 Meter) mit einem Satz auf 129 Metern im zweiten verteidigte, sah sich aber nicht als Verlierer gegen Kobayashi (138,5/126,5): „Ich bin überglücklich und würde jetzt am liebsten heulen vor Glück.“ Lokalmatador Karl Geiger und Stefan Leyhe, die mit den Rängen zwölf und 13 nicht ganz ihre Erwartungen erfüllen konnten, freuten sich im Auslauf ausgelassen über den Podestplatz ihres Teamkollegen „Eisei“. Eisenbichler verriet sein Erfolgsrezept: „Ich bin mit vollen Akkus hierhergekommen. Die freien Tage an Weihnachten, ein bisschen auf den Berg hoch, das war Gold wert.“
Im Überschwang des Erfolges zündete Bundestrainer Schuster zum Jahreswechsel sogar eine verbale Rakete in Richtung Konkurrenz: „Vielleicht ist das ja der Knotenlöser für Markus. Jetzt kommen eigentlich nur noch Schanzen, die er im Schlaf springen kann.“ Schuster entging freilich nicht, dass der ansonsten so coole Japaner Kobayashi im zweiten Durchgang Nerven zeigte: „Auch er musste Federn lassen.“ Will heißen: Trainer und DSV-Tross glauben weiter fest daran, nach den Springen in Garmisch, Innsbruck und Bischofshofen den Tournee-Gesamtsieg wieder nach Deutschland zu holen – 17 lange Jahre nach Sven Hannawald.
Wellinger und Freund enttäuschen beim Auftakt-Springen der Vierschanzentournee
Der Weg dorthin führt aber nur über Kobayashi. Der 22-jährige Shooting-Star aus dem Land der aufgehenden Sonne demonstrierte mit seinem fünften Triumph im achten Weltcup-Springen dieser Saison erneut das stabilste Flugsystem – den Finalsprung mal ausgenommen. Auch Frauen-Bundestrainer Andreas Bauer, der mit der Gesamtweltcup-Führenden Katharina Althaus das Tournee-Springen im mit 25.500 Zuschauer ausverkauften Stadion am Schattenberg live verfolgte, zeigte sich begeistert vom Sprungstil des Japaners. „Wahnsinn, wie er vom Schanzentisch weg beschleunigt. Das macht momentan den großen Unterschied.“
Die Mannschaftsleistung der DSV-Springer stufte Bauer „ebenfalls hoch ein. Und den zuvor hoch gehandelten Karl Geiger nahm Bauer explizit in Schutz: „Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ein Springen vor der Haustüre ist schwieriger als jedes andere. Du hast einfach nicht die Ruhe, die du für zwei richtig gute Sprünge brauchst.“ Geiger selbst wusste nicht so recht, wie er Rang zwölf, seine schlechteste Weltcup-Platzierung dieser Saison, erklären sollte: „Ich wäre gern etwas besser gesprungen, aber Eisei hat gezeigt, wie es geht. Dennoch bin ich happy. Das war eine coole Stimmung und ein solider Wettkampf.“
Es war aber auch ein Springen mit zahlreichen Überraschungen: Olympiasieger Andreas Wellinger stürzte ebenso vom Himmel wie die Norwegen-Stars Anders Fannemel und Skiflug-Weltmeister Daniel Andre Tande. Der 24-jährige Ruhpoldinger sprach nach Rang 39 Klartext: „In der Quali ein Schritt nach vorn, heute wieder zwei zurück. Das ist scheiße.“ Während Wellinger darüber klagte, dass er am Tisch „zu spät dran war und ins Leere sprang“, haderte Richard Freitag als 16. über sein abhandengekommenes Fluggefühl: „Auf den ersten Metern stimmt’s nicht. Das fühlt sich immer zu früh an.“
Glücksgefühle überkamen nach Rang drei den Österreicher Stefan Kraft in seinem Wohnzimmer Oberstdorf. „Das war ein perfekter Auftakt, nach so langer Zeit mal wieder aufs Stockerl zu kommen.“